„Hier fühle ich mich pudelswohl.“ E. Schmid auf ihrem roten Sofa im Wohnzimmer. Foto: Steinert

Wie viele Extras darf sich eine Rentnerin leisten, deren Rente das Sozialamt aufstockt? Wie viel Maßregelei muss sie ertragen? Und warum kann das Leben trotzdem zu „zwei Dritteln wunderschön“ sein? Zu Besuch bei Elke Schmid.

Dürrlewang - Schuhe ausziehen?“ Statt einer Antwort tippt sich Elke Schmid aus dem Junoweg in Dürrlewang mit dem Finger an die Stirn. „Kommen Sie herein“, kommandiert die 65-Jährige stattdessen, deutet auf die Garderobe im Flur und stapft schon mal in die Küche. Schmid läuft barfuß. „Ist es denn schon 13 Uhr?“, fragt sie. „Ich wollte mir noch einen anderen Pullover anziehen.“ Es ist 13.09 Uhr. Aha. Das ist sie also, die Frau Schmid. Mit einer Beschwerde hatte sie sich bei der Filder-Zeitung gemeldet. Sie fühlte sich von einem Computer-Geschäft übers Ohr gehauen – ob das nicht eine Geschichte für die Zeitung wäre? Umständlich gab sie zu Protokoll, was ihr widerfahren war. Begann im Anschluss, weil die Kollegin am Telefon so nett zuhörte, von sich zu erzählen. Rentnerin, Altersarmut und die ständigen Kämpfe mit den Ämtern um Kleinstbeträge. 38 Jahre ihres Lebens hat sie gearbeitet, dennoch liegt ihre Rente unter dem Grundsicherungsniveau, 722 Euro bekommt sie im Monat. Um 172 Euro wird ihr dieser Betrag vom Sozialamt aufgestockt, damit sie auf 894 Euro kommt, eine Leistung zur Grundsicherung. Arm im Alter trotz Arbeit: Das könnte ein Thema sein. Zumal Frau Schmid bereit ist, mit Namen in der Zeitung zu stehen. Keine anonyme Frau S. aus S.. Doch der erste Eindruck im Hausflur bremst meinen Elan. Wird Frau Schmid die Geschichte tragen? Elke Schmid geht in die Küche. „Was wollen Sie trinken?“ Der Gast hat Tee mitgebracht, einen Earl Grey. „Ah“, macht Schmid. „Vielen Dank.“ Sie legt die Packung auf dem Tisch ab. „Den hätten Sie aber nicht mitbringen müssen.“ Sie habe doch Kräutertees da, Kaffee natürlich auch. „Wollen Sie was zum Schleckern? Spekulatius?“, lockt Elke Schmid freundlich. Nein? „Aber was Salziges! Ich hab’ Käsestangen.“ Sie geht ins Wohnzimmer und angelt nach der Packung. „Lassen Sie es sich schmecken!“ Die Packung Earl Grey bricht sie auch an. „Dann mache ich Ihnen Ihren Tee.“ Sie setzt in der Küche Wasser auf. Die Situation ist noch mal gerettet – Frau Schmid sei Dank. Wer mit aktuell 374 Euro im Monat seinen Alltag bestreiten muss – alles, was neben Miete, Heizung, Wasser und Krankenversicherung anfällt – ist bedürftig. Frau Schmid sieht aber nicht so aus, als lade sie Journalisten ein, damit sie Tee mitbringen. Schnell zum Thema: 374 Euro im Monat – wie geht das eigentlich? „Das möchte ich auch gerne wissen“, sagt Schmid. Sie deutet auf eine Karte an der Wand. „Ich lebe über meinen Verhältnissen, aber immer noch unter meinem Niveau“, steht dort. Dabei fühlt sich Elke Schmid eigentlich „pudeleswohl“ – trotz der Diskrepanz zwischen dem Niveau und den Verhältnissen in ihrem Leben. „Zu 40 Prozent schimpfe ich, zu 60 Prozent finde ich das Leben wunderbar.“ Weil sie sich in ihrer Wohnung in Dürrlewang wohlfühlt. Weil ihr die Ideen nicht ausgehen. Es darf eben nur nichts schief gehen. Ein Beispiel: Ihr jährlicher Antrag auf Befreiung von den Rundfunkgebühren kam nicht rechtzeitig an, sondern mit zwei Tagen Verspätung. Das bedeutet für Schmid die bange Frage: „Muss ich jetzt für den Monat Dezember GEZ-Gebühren zahlen?“ 17 Euro für Radio und Fernsehen, fünf Prozent dessen, das sie monatlich zur freien Verfügung hat. „Am Essen kann ich sparen“, sagt Schmid und deutet auf ihre Hüften, „ich kann ja vom Fett zehren.“

Schwerer falle es ihr, manche Amtsentscheidung nachzuvollziehen. „Das kostet mich Nerven – oft wegen nichts.“ Ein weiteres Beispiel: Im vergangenen Jahr hat die Stuttgarter Wohnungsbaugesellschaft Häuserblocks in Dürrlewang energetisch saniert. Auch den, in dem Elke Schmid wohnt. Im Jahr 2011 hat die Rentnerin deswegen weniger Heizenergie verbraucht, in Euro ausgedrückt: 291,33 Euro weniger. Das bedeutet für Schmid aber keinen Vorteil, sondern einen finanziellen Nachteil: Das städtische Sozialamt hat deswegen ihre monatliche Aufstockung gesenkt, schließlich habe Schmid dadurch ja ein Guthaben angehäuft. Immerhin, Schmid darf dieses monatlich abstottern. Sie seufzt: „Jetzt muss ich also punktgenau heizen.“ Beim Mitschreiben schaue ich mich um. Die Zimmer sind vollgestellt, überall Figürchen und Deko-Artikel, aber aufgeräumt. Alles sauber. Ich spüre, dass Frau Schmid meinen Inspektorenblick mitbekommen hat. Aber dann muss ich doch nachfragen: Über mir biegt sich ein Bücherregal unter der Last dicker Wälzer. Keines davon ist aus der Vaihinger Stadtteilbibliothek, alle sind ihr Privatbesitz. Frau Schmid, leihen wäre billiger. „Das geht nicht. Bücher muss ich besitzen. Die sind mein Luxus.“ Neulich hat sie noch einem ganz anderen Gelüst nachgegeben und aus einem Versandhauskatalog eine Kette mit einem Elefantenanhänger bestellt. 15 Euro für Schmuck – was für ein Vermögen. Aber Schmid fand das notwendig. „Elefanten mag ich. Meine rechte Seite ist meine Elefantenseite. Die ist seit dem Schlaganfall put-put.“ Dann liebt Elke Schmid Konzerte: Klassik, Jazz und Rock. Die Bonuscard der Stadt – „ein Segen“ für sie. Damit kann sie früh reservieren und bekommt, mit etwas Glück, eine Freikarte. Umsonst ist der Konzertbesuch für Schmid dennoch nie. „Mein Anstand sagt mir, dass ich dann wenigstens ein Wasser verzehren muss.“ Macht mindestens zwei Euro.

Silvester spielt im SI-Centrum eine ihrer Lieblingsbands. Seit Mitte November überlegt die 65-Jährige, wie sie es deichseln kann, den Eintritt zu finanzieren. „Irgendeine Idee kommt mir noch.“ Wenn es so weiter geht, hat sie mich. Also schnell die entscheidende Frage: Musste es so weit kommen? Deutschland ist nicht Albanien, mit ein bisschen Anstrengung – war da nicht mehr drin als eine Rente unter dem Grundsicherungsniveau?

„Vielleicht war ich zu gutmütig“, sagt Elke Schmid. „Und zu stolz – nein, streichen Sie das mit dem Stolz – schreiben sie lieber: zu dumm.“ Seit sie 14 Jahre alt ist, hat sie in der Gastronomie gearbeitet. „Da verdient man eben nicht viel.“ Als sie mit 30 Jahren umlernen wollte, sagte man ihr auf dem Arbeitsamt: Nee, Sie sind zu alt, um was Neues zu machen. Reisebürokauffrau, das hätte sie gerne gemacht, aber sie hat sich eben gefügt. „Dass mein Vater, als ich in unserer Gastwirtschaft gearbeitet habe, nur den Mindestsatz für meine Rente eingezahlt hat – was soll ich da jetzt noch tun?“ 1200 Mark netto im Monat im ehemaligen Hotel „ Anker“ in Möhringen, ein Zimmer mit Bad auf dem Flur dazu gratis, das war einer ihrer Löhne.

„Ich habe geahnt, dass ich eines Tages auf Hilfe vom Staat angewiesen sein werde.“ Schmid ahnte allerdings nicht, dass sie mit 52 Jahren bei der Arbeit wegen Überlastung zusammenbrechen und arbeitsunfähig werden würde. Dass man ihr auf dem Arbeitsamt dann riet, gleich die Erwerbs-minderungsrente zu beantragen – statt sich arbeitslos zu melden – das hat sie zusätzlich Rentenpunkte gekostet. Sie hätte in den 38 Jahren gerne mehr verdient, sagt Elke Schmid. „Dann hätte ich heute auch mehr Rente.“ Schwamm drüber. Sie lacht wieder. „Es gibt so viele schöne Kleinigkeiten im Leben.“