Karl-Heinz Esselborn hat sich selbst ein Ehrenamt geschaffen. Seit mehr als einem Jahr tritt er täglich in die Pedale und hebt auf, was andere achtlos weggeworfen haben. Die Abfälle transportiert er in seinem Fahrradanhänger.
Dürnau - Nanu! Ein Radfahrer, der Müll aufsammelt? In Dürnau gibt es das. Karl-Heinz Esselborn, seines Zeichens Ruheständler und gerade noch 74 Jahre jung, sieht in seiner sportlichen Radlerkluft nicht aus wie einer, der für jedes Fitzelchen Abfall anhalten würde. Doch genau das tut er. Jeden Tag. Bei Wind und Wetter, bei Sonnenschein oder Schnee. Auf seinen Touren über die Gemarkungen von Eschenbach, Bad Boll, Heiningen, Gammelshausen und Dürnau legt er gewöhnlich sechs bis zwölf Kilometer zurück. Stets an seiner Seite ist seine Hündin „Maja“, ein quirliger Yorkshire-Malteser-Mix.
Ein Tempo verrottet in drei Jahren
Karl-Heinz Esselborn ist ein begeisterter Radfahrer. Er hat schon die Alpen überquert, ist in den Dolomiten in die Pedale getreten und bereits mehrfach nach Schleswig-Holstein geradelt, wo er einst als Sohn eines Landwirts geboren wurde. Bei seinen Touren um Dürnau herum kann er es aber nicht sportlich angehen, sondern muss alle paar Meter anhalten, weil irgendetwas herumliegt, was da nicht hingehört. Dann schnappt er sich seine lange Greifzange und sammelt so ziemlich alles auf, was die Menschen so verlieren – oder achtlos wegwerfen. Das können leere oder auch volle Hundekotbeutel sein, Plastikfolien, Glasflaschen, Tampons, gelbe Säcke, die der Wind von irgendwoher getragen hat, und Tempos. „Wenn Erkältungszeit ist wie gerade, dann finde ich viele Papiertaschentücher“, erzählt und redet sich in Feuer. Es sei ein Irrglaube, dass die Zellulosetüchlein flugs verrotten würden. „Das dauert drei Jahre.“ Bananenschalen bräuchten sieben Jahre.
Auf die Idee, Müll einzusammeln, haben ihn vor etwas mehr als einem Jahr zwei Fernsehreportagen gebracht: über Vögel auf Helgoland, die ihre Nester aus Plastik bauen und in denen die Eier dann bei Regen „ersaufen“ und über den „Riesenplastikstrudel auf dem Pazifik“. Beides hat ihn erschüttert, und so hat er beschlossen, im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu tun. Da er täglich mit dem Hund rausmuss, fand er es naheliegend, in der Natur und in den umliegenden Orten Müll aufzuklauben. Dass das vom Rad aus geschehe, sei dem Umstand geschuldet, dass er schlecht zu Fuß sei. Leider, so bedauert er, sei sein Gleichgewichtssinn nicht mehr so gut, dass er die Abfälle im Fahren aufheben könne. Doch manchmal schaffe er das dann doch noch, erzählt der Ruheständler stolz, den man für gut zehn Jahre jünger halten könnte, als er es tatsächlich ist.
Er möchte ein Beispiel geben
Mit dem ökologischen Bewusstsein war es in den Kindertagen von Karl-Heinz Esselborn nicht weit her. Er erinnert sich noch gut, wie er als Jungspund auf einem Acker des elterlichen Bauernhofs eine leere Shell-Ölflasche jahraus, jahrein hoch- und runtergepflügt hat. „Plötzlich war sie weg“, erzählt er und schüttelt den Kopf, weil er damals nie auf die Idee gekommen wäre, die Flasche aufzuheben. Mittlerweile ist es dem Nordlicht, wie er sich selbst bezeichnet, wichtig, so viel Müll wie möglich zu vermeiden. Den kompletten Abfall, den Karl-Heinz Esselborn draußen aufpickt, sortiert er in seinem Fahrradanhänger vor. Zuhause wird er dann entsorgt: Plastikmüll kommt in den gelben Sack, Restmüll in die Tonne. Obwohl sein Müllbehälter nur alle vier Wochen geleert werde, habe es darin immer genug Platz für das, was er so gefunden habe, erzählt Karl-Heinz Esselborn, den es einst von Berufs wegen in den Süden verschlagen hat, weil er bei Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) in Nabern eine Anstellung als Ingenieur bekommen hatte. „Damals dachte ich, das machste jetzt ein paar Jahre, doch dort ist es mir supergut gegangen, und ich bin geblieben.“ Dann schmunzelt er und merkt trocken an: „Meine Frau ist Schwäbin, sonst wäre ich ausgewiesen worden.“
Inzwischen ist Karl-Heinz Esselborn weithin bekannt. Spaziergänger grüßen ihn freundlich, wenn er vorbeiradelt. „Interessanterweise sprechen mich vor allem jüngere Leute an, meistens Frauen, und loben mein Engagement“, erzählt er. Er hofft, dass er ein Beispiel geben kann, den Schülern etwa, die häufig eine Spur von Bonbonpapierle auf den Wegen um die Schule und den Kindergarten herum hinterlassen. „Da weiß man immer gleich, wann die Ferien wieder zu Ende sind.“