Sieht harmlos aus – ist es aber nicht: Juso-Chef Kevin Kühnert hat es geschafft, sich in der SPD an die Spitze der „No-Groko“-Bewegung zu setzen. Foto: dpa

Auf dem Parteitag in Bonn geht es für den SPD-Chef wieder einmal um alles oder nichts. Lehnt die Partei weitere Verhandlungen über eine große Koalition ab, ist Schulz am Ende, Deutschland ratlos und Angela Merkel ohne Mehrheit. Der 28-Jährige Kevin Kühnert ist der Wortführer der Gegner einer großen Koalition. Was macht den Juso-Chef für den angeschlagenen Martin Schulz so gefährlich?

Berlin - Mag sein, dass der Raum, in den Kevin Kühnert im Willy-Brandt-Haus zum Pressegespräch lädt, Kasino heißt. Aber das heißt nicht, dass dieser Juso-Chef, den noch im November kaum einer kannte, wie ein Spieler wirken will. Soll keiner auf die Idee komme, da blase ein durchgeknallter Traumtänzer im Kampf gegen ein Bündnis von CDU, CSU und SPD die noch so jugendlich wirkenden Pausbacken auf. Vor den Journalisten steht ein nett wirkender, konzentrierter, redegewandter Kerl. Typ: Praktikant.

SPD-Chef Martin Schulz hat ausgerechnet in diesem kleinen Mann seinen größten Gegner ausgemacht, denn wenn sich Kühnert auf dem SPD-Parteitag am Sonntag in Bonn mit einem Nein zur Groko durchsetzt, ist es wohl aus mit Schulz, den Kühnert vor einem knappen Jahr selbst noch als „Gottkanzler“ in den Himmel roter Heiligkeit gehoben hat. So etwas wäre gewiss ein „weitreichender Vorgang“, sagte Schulz. Jeder in der Parteispitze weiß diesen Satz zu deuten, Kühnert auch. Er will nicht schuld sein und wäre es doch.

Der Juso-Chef bleibt auf seiner „#NoGroKo-Tour“ durch ganz Deutschland in überfüllten Räumen moderat im Ton, aber hart in der Sache. Er preist den guten Kontakt, den er zu Schulz habe, er werde vor dem Parteitag noch einmal das Gespräch suchen. Schulz bringt das wenig, Kühnert viel, denn wer so höflich vorspricht, dem kann man schlecht wie einem ungezogenen Lausbuben die Ohren lang ziehen.

Lässiger Jeans-Typ

Kühnert streicht mit dem Kapital der Jugend ordentlich Rendite ein. Ein lässiger Jeans-Typ in sportlichen Tretern. Auf ihm findet sich nicht die graue Staubschicht der Macht. Er ist vielmehr derjenige, der in seiner Partei den Wischlappen schwingen und die SPD ins gelobte Land der Opposition führen will. Den Klassenkampf hat er nicht in die Wiege gelegt bekommen. Er hat sich wohl eher theoretischen Zugang zum demokratischen Sozialismus verschafft. Der Vater ist Finanzbeamter, die Mutter arbeitet in einem Job-Center. Solides Abitur, Politikstudium, eine Anstellung bei einem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Schon in jungen Jahren hat sich Kühnert bei den Jusos eingekapselt in die Debattenwelt der Politik, erst in Berlin, dann im Bundesverband. Was soll aus ihm schon werden, wenn nicht Berufspolitiker.

Deshalb empörte er sich auch gewiss in eigener Sache, als er auf dem SPD-Parteitag im Dezember darauf pochte, die Partei möge seiner Generation doch in vernünftigem Zustand vererbt werden: „Die Jungen haben ein Interesse, dass noch was übrig bleibt von diesem Laden, verdammt noch mal!“

Am 24. November, wenige Tage nach dem Rückzug der FDP aus den Gesprächen mit CDU, CSU und Grünen und kurz nach der Kehrtwende von Martin Schulz in Richtung große Koalition, wurde Kühnert zum Juso-Chef gewählt. Er nutzte die Gunst der Stunde, setzte sich sofort an die Spitze der No-Groko-Bewegung. Ein von Fieber geschwächter Schulz konnte ihm auf dem Bundeskongress nichts entgegensetzen. Kühnert pries die Jusos als „Bollwerk gegen die große Koalition“ und organisierte einen 100-Prozent-Beschluss dagegen. So ein Ergebnis war eigentlich bisher Martin Schulz vorbehalten, der mit dieser Maximalausbeute Parteichef wurde, aber das scheint Jahrzehnte her. Kühnert ist jetzt der Sympathiemagnet, nach dem sich viele ausrichten. Er ist der leuchtende Stern der Frustrierten. Er ist 28.

Was Schulz war, ist für manche jetzt Kühnert

Die Hoffnung, die Teile der Partei Kühnert nun entgegenbringen, die kennt Schulz nur zu gut. Vor knapp einem Jahr, als seine Kanzlerkandidatur bekannt wurde, galt diese Hoffnung noch ihm, weil er irgendwie neu war. Es waren vor allem die Jusos, die den 62-Jährigen auf Händen trugen, die den „Schulzzug“ mit aufs Gleis setzten, weil es schien, als habe Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments fernab des Gewächshauses des SPD-Establishments Wurzeln geschlagen. Jetzt aber ist Schulz zum Gralshüter dieses Establishments geworden und Kühnert der freie Geist, der die Sehnsucht nach einem Aufbruch zu neuen Ufern zu bedienen versteht.

Es ist deshalb bezeichnend, dass Kühnert nichts weiter tun muss, als den Parteichef zu zitieren. Jenen Schulz, der sich mit einem pathetischen Bekenntnis zur Erneuerung in der Opposition nach der Bundestagswahl im Amt halten konnte. Seine damaligen Argumente sind nun Kühnerts schärfste Waffe. Es sei „völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist“, hatte Schulz am Wahlabend gesagt. Erneuerung sei angesagt. Im Bundestag werde die SPD als Oppositionsführerin die AfD in die Schranken weisen. Dem hat Kühnert nichts hinzuzufügen.

Dass Kühnert den Sondierungsergebnissen nichts abgewinnen kann – geschenkt. Seine Bedenken gegen die große Koalition sind fundamental. Egal, welches Kaninchen Schulz auf dem Parteitag aus dem Hut zaubern wird, er wird den Juso-Chef nicht überzeugen.

Mit seiner konzilianten Art liefert Kühnert dabei wenig Angriffsfläche. Einen wilden Che Guevara könnte die erschöpfte Partei jetzt ohnehin ebenso wenig ertragen wie einen Theoriesturm marxistischer Prägung. Statt die Revolution auszurufen, versucht er den verunsicherten Genossen die Angst vor einem Groko-Nein zu nehmen. Man sei ja schließlich nicht dafür verantwortlich, dass Kanzlerin Angela Merkel eine Minderheitsregierung kategorisch ablehne. Die Kanzlerin sei „nicht in der Position zu bestimmen, dass es keine Minderheitsregierung gibt“. Die Verfassung sei „nicht auf ihre Gemütslage zugeschnitten“.

Von Rücktritt spricht Kühnert nicht

Kühnert ist vielleicht zu jung, um ganz nach oben gespült zu werden. Aber er ist alt genug, um jene, die in dieser zerbeulten SPD oben bleiben wollen, wegfegen zu können, und klug genug, sich bei solchen Gedanken, denen stets der widerliche Geruch des Verrats anhaftet, nicht erwischen zu lassen. Nichts werde besser, wenn nach einem Parteitagsvotum, egal wie es ausgeht, „einfach wild draufloszurückgetreten wird“, sagt er. Es gehe um die Sache, um Inhalte, weshalb er am Sonntag bei einem Nein der Delegierten ganz gewiss der Letzte sein werde, „der irgendwen zum Rücktritt auffordert“. Es klingt so harmlos, ist aber das Gegenteil.

Sie sind deshalb extrem nervös an der Parteispitze. Die meisten haben sich nach den Sondierungen an Schulz gekettet, drohen mit ihm unterzugehen, wenn die Sache schiefgeht. Klar, auch Schulz, der in allen Winkeln der Republik um Zustimmung wirbt, hat Unterstützer: Den DGB zum Beispiel, dessen Vorsitzender Reiner Hoffmann am Donnerstag abermals seine Unterstützung zusicherte, oder die sozialdemokratischen Oberbürgermeister. Aber die größte Kraft, auf die er setzen kann, wird gespeist aus der Angst vor Neuwahlen und der Furcht vor dem Zerfall. Sein größter Verbündeter ist die Lähmung der Partei.

Vom Sondierungspapier restlos überzeugt sind die wenigsten. Keine Bürgerversicherung, kein höherer Spitzensteuersatz, kein Verbot der Befristung von Arbeitsverhältnissen ohne Grund. Was Schulz als „hervorragendes Ergebnis“ gepriesen hat, ist den meisten zu wenig und jenen, die unbedingt rauswollen aus der Groko, sowieso egal. Es wird also knapp am Sonntag. Kühnert glaubt, dass die Groko-Gegner „eine echte, eine realistische Chance haben“, dass es zumindest knapp werden könnte. Im Parteivorstand fürchten sie, dass er recht behalten könnte.