Nach Einschätzung von US-Außenminister Antony Blinken steht der Iran kurz davor, „die Fähigkeit zur Herstellung von spaltbarem Material für eine Atomwaffe zu erlangen“. Foto: Imago/Pond5 Images

Die Sorge vor einer Eskalation des Konflikts zwischen dem Iran und Israel wächst. Ein Angriff auf den jüdischen Staat könnte jeden Moment erfolgen. Gelingt doch noch eine Entschärfung? Oder droht ein Flächenbrand in Nahost?

Am 6. Oktober 1973 – dem damaligen Datum von Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag – griffen die Streitkräfte Ägyptens und Syriens sowie weiterer arabischer Staaten Israel an.

25. Oktober 1973: Beginn des Jom-Kippur-Krieges

Der militärische Konflikt dauerte bis zum 25. Oktober 1973 und ist als Jom-Kippur-Krieg in die Geschichte eingegangen. Nach dem Palästinakrieg (1948/49), der Suezkrise (1956) und dem Sechstagekrieg von 1967 war er der vierte arabisch-israelische Krieg im Rahmen des Nahostkonflikts. Der Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens auf dem Sinai und den Golanhöhen überrumpelte die israelische Armee, die in ersten Tages des Krieges in die Defensive gedrängt wurde.

12./13. August 2024: Irans Angriff auf Israel?

Wiederholt sich die Geschichte? Findet, wie manche Experten befürchten, schon bald ein konzertierter Großangriff Irans und seiner Verbündeten, der libanesischen Hisbollah, der jemenitschen Huthi-Rebellen und der palästinensischen Hamas, statt?

Dieses von der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim News Agency veröffentlichte Foto zeigt eine Drohne, die während des iranischen Großangriffs im April auf Israel gestartet wird. Foto: Tasnim News Agency /Zuma Press/dpa

Ein mögliches Datum für eine Attacke könnte die Nacht vom 12. auf den 13. August. Dann nämlich beginnt Tisch’a beAv, am neunten Tag des Monats Av des Jüdischen Kalenders. Tisch’a beAv ist ein jüdischer Fast- und Trauertag, an dem der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch römische Legionen im Jahr 135 n. Chr. im Rahmen des jüdischen Bar-Kochba-Aufstands (132-135 n. Chr.) gedacht wird.

Doch anders als vor 51 Jahren ist Israel diesmal auf einen Angriff vorbereitet.

F-16 Kampfjet der israelischen Luftwaffe auf einer Luftwaffenbasis. Foto: Ariel Schalit/AP/dpa

Was geht im Iran derzeit vor sich?

Das „Wall Street Journal“ zitiert Beamte der US-Regierung, sie hätten seit diesem Wochenende beobachtet, dass der Iran Raketenwerfer bewege und militärische Übungen abhalte. Dies könne darauf hindeuten, dass sich Teheran auf einen Angriff in den kommenden Tagen vorbereitet.

Der Iran und seine Verbündeten in der Region haben angekündigt, Israel für die Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija in Teheran und des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukr in Beirut vergangene Woche hart zu bestrafen.

Welche Rolle spielt Russland in dem Konflikt?

Auch Russland mischt in dem drohenden Konflikt mit. Einem Medienbericht zufolge hat Moskau mit der Lieferung von modernen Radaranlagen und Ausrüstung zur Luftraumverteidigung an den Iran begonnen.

Der Iran habe zuvor in Vorbereitung eines möglichen Krieges mit Israel moderne Luftabwehrsysteme von Russland angefordert, berichtet die „New York Times“ unter Berufung auf zwei iranische Beamte, die mit der Kriegsplanung vertraut sein sollen. Die Lieferung sei angelaufen, hieß es nach Gesprächen des Sekretärs des russischen Nationalen Sicherheitsrates, Sergej Schoigu, mit ranghohen Vertretern des Irans in der iranischen Hauptstadt Teheran.

Auf diesem offiziellen Foto des Generalstabs der iranischen Streitkräfte schüttelt General Mohammed Hossein Bagheri (re.), Generalstabschef der iranischen Streitkräfte, während eines Treffens die Hand des russischen Ex-Verteidungsministers Sergej Schoigu. Foto: Uncredited/Public relation of the General Staff of Iran’s Armed Forces/AP/dpa

Wie würde Israel auf einen iranischen Angriff reagieren?

Israel wiederum droht dem Iran im Falle eines Angriffs mit einer weitaus härteren Reaktion als im April, als Teheran den jüdischen Staat mit 330 Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen attackierte.

Damals habe sich Israel auf Bitten der USA und anderer Verbündeter bei der Antwort auf die Aggression zurückgehalten, wie Israels nationaler Sicherheitsberater Zachi Hanegbi, erklärt. „Das ist jetzt eine neue Situation. Man kann sich einmal zurückhalten, nicht zweimal.“

Israels Luftverteidigungssystem. Foto: dpa-Infografik

Wie lange braucht der Iran noch zum Bau einer Atombombe?

Doch es könnte noch schlimmer kommen: Nach der jüngsten Einschätzung von US-Außenminister Antony Blinken steht der Iran kurz davor, „die Fähigkeit zur Herstellung von spaltbarem Material für eine Atomwaffe zu erlangen“.

Weil das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt worden sei, sei der Iran „wahrscheinlich nur noch eine oder zwei Wochen davon entfernt“, hatte Blinken am 20. Juli 2024 bei der Sicherheitskonferenz Aspen Security Forum im Bundesstaat Colorado erklärt. Zwar habe der Iran noch keine Atomwaffe hergestellt, aber die USA beobachteten die Entwicklungen dort sehr genau.

Ein Techniker arbeitet in der Uranumwandlungsanlage außerhalb der iranischen Stadt Isfahan. Foto: AP/Vahid Salemi/dpa

„Wenn man diese beiden Dinge zusammenbringt – das spaltbare Material und einen Sprengsatz – dann hat man eine Atomwaffe“, betont Blinken. In den letzten Wochen und Monaten habe man gesehen, dass der Iran mit seinem Atomprogramm vorankomme. Das Land mache Fortschritte in Bezug auf seine Kapazität zur Herstellung von spaltbarem Material. Nun beobachte man, was es in Bezug auf Waffen tun könnte. Die Aufkündigung sei für ihn „einer der größten Fehler, die wir in den letzten Jahren gemacht haben“, so Blinken.

Ist Teheran auf dem Weg zur Nuklearmacht?

Bereits im April hatte Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien, erklärt, dass der Iran mehr hochangereichertes Uran habe als er braucht, wenn er eine oder vielleicht sogar mehrere Atombombe bauen will.

„Kein Land, das noch keine Atombombe hat, reichert Uran auf diesem Niveau an: 60 Prozent.“Für einen Atomreaktor, zur Stromerzeugung reichen zweieinhalb bis vier Prozent. Für eine Atombombe braucht es 90 Prozent, aber 60 Prozent, 90 Prozent, „technisch gesprochen ist das fast identisch“, so Grossi weiter.

Verherrlichendes Plakat mit dem iranischen Raketenarsenal in der Stadt Zanjan. Foto: Imago/Zuma Wire

Was sieht die iranische Nukleardoktrin vor?

Der Iran hatte sich 2015 im Wiener Atomabkommen verpflichtet, sein Atomprogramm stark einzuschränken. Im Mai 2018 kündigte der damalige US-Präsident Donald Trump den Pakt, der den Bau iranischer Atombomben verhindern sollte, auf. Er verschärfte außerdem die Sanktionen. Im Gegenzug baute Teheran die Anreicherung von Uran stark aus und schränkte Kontrollen der Atomenergiebehörde IAEA ein.

Der neugewählte iranische Präsident Massud Peseschkian hat beteuert, sein Land baue keine Atombomben. „Ich möchte betonen, dass die Verteidigungsdoktrin des Irans keine Atomwaffen vorsieht“, schrieb der Präsident bei der Vorstellung seines außenpolitischen Kurses in der Zeitung„Tehran Times“. Die USA sollten sich mit dieser Realität abfinden und auf weitere Unterstellungen verzichten.

Auf diesem von der offiziellen Website des Büros des iranischen Obersten Religionsführers veröffentlichten Bild besucht Ajatollah Ali Chamenei (Mi.), Oberster Religionsführer des Iran, am 23. November 2023 eine Ausstellung über die Errungenschaften der Revolutionsgarde in der Luft- und Raumfahrt, während er von den Kommandeuren der Streitkräfte begleitet wird. Foto: AP/dpa

Hat der Iran schon bald genug angereichertes Uran?

Der technische Fortschritt, den Blinken sieht, könnte mit einer veränderten Konfiguration von Zentrifugen zusammenhängen, welche die UN-Atomaufsicht bereits  Anfang 2023 in den iranischen Atomanlagen gemeldet hatte.

Kurz darauf entdeckten Inspekteure in Iran Spuren von auf 84 Prozent angereichertem Uran. 90 Prozent gilt für die Herstellung einer Atomwaffe als Schwelle. Der Fortschritt in der Urananreicherung und die mögliche Produktion von spaltbarem Material sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Experten weisen darauf hin, dass der Iran weitere Schritte unternehmen müsste, um eine einsatzfähige Atomwaffe zu haben.

Dieses Satellitenbild von Planet Labs PBC zeigt die iranische Atomanlage in Isfahan, Iran, am 4. April 2024. Foto: Planet Labs PBC/AP/dpa

Wie sehen Experten die aktuelle Lage?

Fachleute gehen davon aus, dass Teheran nach dem Schlagabtausch gegen Israel im April ein verstärktes Interesse an der Entwicklung von Atomwaffen haben könnte. So sieht Ulrich Schlie, Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn, den Iran „unmittelbar“ vor der Bombe. Die Situation sei „brandgefährlich“.

Eine Frau geht in einem Erholungsgebiet im Norden Teherans an den im Iran produzierten Raketen und Satellitenträgern vorbei, die in einer Dauerausstellung gezeigt werden. Foto: AP/Vahid Salemi/dpa

Der Nuklear-Experte Behrooz Bayat, Senior Fellow am Center for Middle East and Global Order (CMEG) in Berlin, glaubt hingegen, dass es noch einige Zeit dauern könnte. „Die Islamische Republik ist nahe daran, genügend radioaktives Material für die Herstellung einer Atombombe zu haben.“

Für eine Bombe seien ein Trägersystem wie eine Rakete notwendig. Die ballistischen Raketen, die der Iran besitzt, reichten dafür nicht aus, erläutert Bayat. Von einer fertigen Bombe ist der Iran seiner Meinung nach „noch relativ weit entfernt, ich schätze zwei bis drei Jahre, sofern die Entwicklung ungehindert vorangehen kann“ (mit AFP/dpa-Agenturmaterial).

Info: Irans und Irans Militär im Vergleich

Rang
Laut dem „Global Firepower Index“ belegt der Iran Platz 14 der militärisch stärksten Länder der Welt und Israel Platz 17. Der „Global Firepower Index“ gibt einen Überblick über die Fähigkeiten eines Landes zur konventionellen Kriegsführung. Er berücksichtigt dabei unter anderem Faktoren wie die Größe des stehenden Heeres, Menschen im wehrfähigen Alter, Anzahl an Kriegsgerät und wirtschaftliche Stärke.

Iran

  • Bevölkerung: 88,5 Millionen
  • aktive Soldaten: 610 000
  • Reservisten: 350 000, einschließlich 200 000 Mann der islamischen Revolutionsgarden
  • Kampfpanzer: 2000 
  • gepanzerte Fahrzeuge: 65 000
  • Artilleriegeschütze: 3400
  • Flugzeuge: 551
  • Jagdflugzeuge: 186 (vor allem Mig-29 aus sowjetischer Produktion oder US-Maschinen vom Typ F-14 aus 1970er Jahren)
  • Bomber: 23
  • Transportflugzeuge: 86
  • Aufklärer: 10
  • Hubschrauber: 129, davon 13 Kampfhubschrauber
  • Kriegsschiffe: 101
  • ballistische Raketen: 3000 
  • Drohnen: nicht bekannte Anzahl

Israel 

  • Bevölkerung: 9,55 Millionen
  • aktive Soldaten: 170.000
  • Reservisten: 465.000
  • Luftwaffe: 612 Luftfahrzeuge
  • Jagdflugzeuge: 241 (vor allem F-15-, F-16-, F-35-Kampfjets aus US-Produktion)
  • Bomber: 39
  • Transportflugzeuge: 12
  • Aufklärer: 23
  • Hubschrauber: 146, davon 48 Kampfhubschrauber
  • Kriegsschiffe: 67
  • Kampfpanzer: 1370 Panzern
  • gepanzerte Fahrzeuge: 43.000
  • Artilleriegeschütze: 1100 
  • Raketenabwehr:  Iron Dome für kurze Distanzen, David’s Sling für größere ballistische Systeme, Arrow zur Abwehr von Mittel- und Langstreckenraketen
  • Atomwaffen: 90 laut Federation of American Scientists; 80 laut Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI): davon 30 Freifallbomben, die von Kampfjets abgeworfen werden können; 50 Sprengköpfe, die ballistisch vom Boden abgefeuert werden können; Trägerrakete: Jericho 3 (Luz YA-4), 4800 und 6500 Kilometer Reichweite und 1300 Kilogramm Gefechtskopf