Der Sozialarbeiter Solo spricht im Görlitzer Park mit einem Kollegen von der Polizei. Der Berliner Park gilt als Drogenumschlagplatz. Foto: ausblenden.de/Marlene Gawrisch

Sozialarbeit statt Gesetzeshärte, das ist der neue Kurs im Görlitzer Park in Berlin. Aber funktioniert das? Die Reporterin ist unterwegs mit einem Mann, dem die Drogendealer vertrauen.

Berlin - Guinea liegt im Görlitzer Park. Es ist eine Bank. Mamadou und David (Namen geändert) haben sie in Beschlag genommen. Zwischen ihnen steht ein Rucksack. Links und rechts haben sie Jacken ausgebreitet. Es sieht aus, als würden sie hier wohnen.

Der Görli ist ihr Zuhause, eine grüne Oase mitten in Berlin-Kreuzberg – einerseits. Ein Symbol für Drogenkriminalität und Politikversagen – andererseits. Daran wird man erinnert, wenn man die Falckensteinstraße in Richtung Görli entlang schlendert. Es ist ein Spießrutenlauf, vorbei an zwei Dutzend Afrikanern. Sie haben sich vor dem Eingang aufgebaut, Markenturnschuhe an den Füßen und bunte Basecaps auf den Köpfen. Sie stehen da wie Türsteher. Plötzlich raunt einer: „Hey, willst Du was kaufen?“

Souleymane Sow (45) kennt die Jungs mit Namen. Er weiß, woher sie kommen und was sie hier suchen. Mamadou zum Beispiel, der Hipster von der Parkbank. „Der stammt aus demselben Land wie ich, aus Guinea. Er kommt nach dem Unterricht in der Sprachschule.“ Solo, wie Sow genannt wird, begrüßt ihn freundschaftlich. Er hat ihre Hautfarbe, spricht ihre Sprache. Er sagt ihnen, wo es langgeht. Das ist sein Job. Solo ist einer von vier sogenannten Parkläufern, die der Bezirk probehalber engagiert hat.

Dialog statt Repression ist die neue Strategie

Drogenhandel, Schlägereien, Diebstähle. So sah der Alltag im Görli aus. Berlins damaliger Innensenator Frank Henkel (CDU) ging mit aller Härte gegen Dealer und ihre Konsumenten vor. Das Problem löste er damit nicht. Die Männer wichen in umliegende Straßen aus. Der neue Senat hob die Null-Toleranz-Politik auf. Dialog statt Repression ist die neue Strategie.

Solo versucht, sie umzusetzen. Ein Mann mit der Statur eines Boxers und dem Schalk im Blick. Er sagt: „Ich kann alle afrikanischen Dialekte, die die Jungs sprechen.“ Aber vielleicht ist die Sprache gar nicht das Wichtigste. Solo war noch ein Teenager, als er 1986 mit dem Flugzeug nach Berlin kam, ein Touristenvisum im Gepäck. Er sagt: „Mein Weg war also nicht viel anders als der der Jungs. Bloß, dass ich nicht gedealt habe.“

Als hätten sie einen verschollenen Verwandten wiedergefunden

Es ist ein warmer Tag. Solo setzt sein Basecap ab und schlüpft in seine Fleecejacke. „Parkläufer“ steht auf dem Rücken. Aber muss man im Görli noch erklären, wer Solo ist? Geboren in Conakry, der Hauptstadt von Guinea, als Sohn des Chefs der Kriminalpolizei. Sein älterer Cousin studierte in den 80ern in Berlin. Da will er auch hin. Es ist der Traum aller Afrikaner, nach Europa zu gehen. Die einen wollen das schnelle Geld verdienen und es der Familie nach Hause schicken. Die trifft man im Görli. Solo will Diplomat werden. Heute lacht er über sich selber, wenn er daran denkt, wie naiv er war. „Papa und Mama haben ja bis dahin alles für mich gemacht.“

Fünf Jahre kämpft er um das, was sie im Görli „Aufenthalt“ nennen. Drei Hochzeiten und drei Scheidungen begleiten seinen Weg. Er schlägt sich mit Jobs auf dem Bau und als Musiker durch, dann erst bekommt er einen deutschen Pass. Der Traum vom Studium ist geplatzt, er macht eine Ausbildung zum Personenschützer.

Der Görli ist jetzt sein Revier. Wenn er mit seinem Kollegen Özcan durch den Park streift, winken ihm viele schon von weitem zu. „Yo, Brother“ rufen sie. Eine eigenartige Verwandlung geht dann mit den Afrikanern vor. Ihre düstere Miene hellt sich auf. Einige lachen. Es ist, als hätten sie einen verschollenen Verwandten wiedergefunden. Liebling Görli oder Papa Afrika.

Solo muss den Dealern immer wieder die Regeln einbläuen

Das klingt harmonischer, als es ist. Denn die Männer kommen und gehen. Aber die Reviere bleiben dieselben. Solo hat sie auf einer Karte eingezeichnet. Guinea gibt es gleich dreimal, es sind drei Parkbänke rund um das Café Edelweiß herum. Ghana, Mali und Nigeria markieren den Weg zur Skalitzer Straße.

Solo steckt seine Karte wieder weg. Es ist nicht seine Aufgabe, dem Drogenhandel einen Riegel vorzuschieben. Er sagt, er sei kein Polizist. „Man muss den Leuten irgendwie helfen. Man kann nicht sagen, ich mach die Tür für dich auf, aber du darfst hier nicht arbeiten. So fördert man doch Kriminalität.“ Aber das zu ändern, sei die Aufgabe der Politik. Sie schließe die Augen vor diesem Problem. Hier im Görli muss er die Folgen ausbaden. Er muss den Dealern immer wieder die Regeln einbläuen: sich nicht vor den Eingängen zu postieren, keine Frauen belästigen, Kinder in Ruhe lassen.

Er muss sich aber auch zwischen sie stellen, wenn Krieg ausbricht, weil Drogendealer die unsichtbaren Ländergrenzen überschritten haben und in fremden Revieren wildern. Ist das nicht frustrierend? Solo seufzt. Er sagt, manchmal erkenne er sich in den Jungs wieder. „Ich war genauso dickköpfig.“

Nach anderthalb Jahren zieht der Bezirk Kreuzberg eine positive Bilanz

Aber sein Verständnis hört dort auf, wo sie das Gesetz mit den Füßen treten – und das passiert immer wieder. Auf dem Weg zum Bauernhof trifft er Amadou aus dem Senegal. Er sitzt auf einer Bank in der Sonne, ein Mittvierziger mit Turban auf dem Kopf. Er ist mit einer Deutschen verheiratet. Er fühlt sich als Kreuzberger. Er passt auf. Er erzählt Solo, was er am Abend davor beobachtet hat. Dass ein Junge aus Guinea in der Wiener Straße eine Autoscheibe zertrümmert und einen Laptop gestohlen habe. Solo kennt den Jungen. Er ist wütend. Er sagt, den werde er sich vorknöpfen: „Der muss sich stellen!“

Nach anderthalb Jahren zieht der Bezirk eine positive Bilanz. Es heißt, die Straftaten und die Zahl der Beschwerden von Anwohnern sei zurückgegangen, auch dank regelmäßiger Polizeistreifen. Papa Afrika könnte sich darüber freuen. Aber er ist auch genervt. Er sagt, wenn er Urlaub in Guinea mache, warne er die Jungs: „Bleibt hier!“ Überzeugen kann er sie nicht. „Sie fragen dann, wenn es nicht toll ist, warum fliegst Du dann wieder zurück?“

Der Drogenumschlagplatz Görlitzer Park

Der Görlitzer Park ist einer der bekanntesten Drogenumschlagplätze der Republik. Gerade wird dort ein Konzept erprobt, das der Parkrat, ein Gremium von Anwohnern, entwickelt hat. Ein Parkmanager soll dafür sorgen, dass der Ort wieder ein Ort für alle wird, für Anwohner und Drogendealer. Eine Sporthalle, in der alle zusammen trainieren, das ist eines seiner geplanten Projekte. Freie Hand hat er nicht. Streng achtet der Parkrat darauf, dass Kreuzberg nicht gentrifiziert wird.