Mit allen Mitteln kämpft die Polizei im Hafen von Antwerpen gegen den Kokainschmuggel. Auch Drogenspürhunde sind im Einsatz. Foto: AFP/Valeria Mongelli

Der Hafen in Antwerpen ist Hauptumschlagplatz für Kokain in Europa. Die organisierte Kriminalität hat inzwischen Auswirkungen auf den gesamten Staat.

Der Lkw-Parkplatz am Asiadok-Noordkai im Hafen von Antwerpen ist voll belegt. Ein 30-Tonner rollt auf der Suche nach einer Lücke auf eine unbefestigte Ausweichfläche unter einer Brücke. Der polnische Fahrer ist müde, die Fahrt nach Belgien hat viel länger gedauert als geplant. Alle hier warten das Wochenende ab, am Montag werden die Sattelschlepper im Hafen beladen, und die Männer machen sich wieder auf ihren Weg quer durch Europa.

Die Kollegen nicken – alle bleiben stumm

Natürlich wissen die Fahrer, was sie transportieren, das ist genau in den Frachtpapieren festgehalten. Und dennoch gibt es immer wieder Überraschungen. In Antwerpen ist der zweitgrößte Hafen Europas in den vergangenen Jahren zum Hauptumschlagplatz für Kokainhandel auf dem Kontinent geworden. „Wir haben davon gehört“, sagt einer der Lkw-Fahrer eher wortkarg, „aber wir wissen davon nichts, wir machen hier nur unsere Arbeit“. Seine Kollegen nicken.

Im Jahr 2021 beschlagnahmten die belgischen Behörden fast 90 Tonnen Kokain, was einen Anstieg von 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutete. Dieser Rekord wird in diesem Jahr bereits wieder gebrochen.

Die Polizei geht davon aus, dass bis Jahresende die 100-Tonnen-Marke überschritten wird. So wurden allein Mitte November bei einer Razzia fast acht Tonnen Kokain entdeckt, im Wert von über 200 Millionen Euro. Der Stoff war in einem Container voller Bananen aus Ecuador versteckt. Im Oktober wurden in einem Schiff aus Surinam mehr als sechs Tonnen der Droge gefunden.

Keine Kapazitäten zum Verbrennen von Kokain

Solche Erfolge im Kampf gegen die Schmuggler stellt die Polizei allerdings vor ein unerwartetes Problem. Das gefundene Kokain muss sofort verbrannt werden, doch im Moment fehlen dazu die Kapazitäten. „Wenn wir eine große Drogenrazzia haben, im Sinne von fünf bis acht Tonnen, kann nicht alles sofort vernichtet werden, wegen der Kapazität der Verbrennungsanlagen“, erklärt Francis Adyns, Sprecher des belgischen Finanzministeriums. Dieses Problem zieht ein weiteres Problem nach sich. Das beschlagnahmte Kokain muss zwischengelagert werden, eine Nachricht, die natürlich auch im kriminellen Milieu schnell die Runde macht und neue Begehrlichkeiten weckt.

Gekämpft wird im Milieu mit harten Bandagen

„Der Straßenpreis für ein Gramm Kokain liegt bei etwa 50 Euro“, erklärt der Sprecher Francis Adyns. „Man kann sich also vorstellen, wenn wir einige Tonnen eingezogen haben, welcher Betrag da zusammenkommt.“

Gekämpft wird im einschlägigen Milieu mit äußerst harten Bandagen. Was das heißt, zeigte sich vor einigen Wochen. Im September konnte von der belgischen Polizei offensichtlich in letzter Minute die Entführung des Justizministers Vincent Van Quickenborne vereitelt werden. In der Nähe seines Wohnhauses wurde von den Ermittlern ein Auto mit Kalaschnikows und mehreren anderen Waffen entdeckt.

Die Behörden sprachen damals von einer „ernsten Bedrohung“ des Justizministers, der der ausufernden Drogenkriminalität im Sommer offen den Kampf angesagt hatte. Quickenborne stattete etwa die zuständigen Behörden mit mehr Personal aus, schuf eine neue Ermittlungsbehörde für den Hafen und schloss einen Auslieferungsvertrag mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ab. Dafür sollte der Politiker offenbar büßen.

Alle hängen in den Geschäften mit drin

Der Hafen von Antwerpen erstreckt sich rechts und links der Schelde auf über 130 Quadratkilometern, die durchzogen sind von einem Geflecht aus rund 400 Kilometer Straßen und über 1000 Kilometer Schienen. Jedes Jahr werden in Antwerpen zwölf Millionen Tonnen Container umgeschlagen.

Doch nicht nur wegen dieser schieren Größe der Hafenanlage ist die Suche schwierig; möglich macht den florierenden Schmuggel auch die Korruption in großem Stil, wie die EU-Beobachtungsstelle unterstreicht. Hafenarbeiter, private Wirtschaft, Regierungsangestellte – alle hingen zum Teil in den Geschäften mit drin.

Die drogenbezogene Gewalt nimmt zu

Die kriminellen Netzwerke von Belgien und den Niederlanden seien eng miteinander verzahnt, erklärte der niederländische Kriminologe Cyrille Fijnhout der Tageszeitung „De Volkskrant“. „Niederländische Kriminelle gehen nach Belgien und umgekehrt, sie missbrauchen die Grenze, um der eigenen Polizei und Justiz zu entgehen.“ Fijnhout sieht mafiaähnliche Strukturen in beiden Ländern. „Wir sehen, dass die Grundzüge der Mafia übernommen werden bis zur höchsten Ebene, wie Gewalt gegen den Staat.“ Jüngst schlug der Generalstaatsanwalt von Brüssel, Johan Delmulle, Alarm. Er beschrieb, dass es zu einem „immer gewalttätigeren Wettbewerb zwischen den Clans und zu Konflikten mit hauptsächlich niederländischen kriminellen Organisationen“ komme. Dadurch nehme auch die drogenbezogene Gewalt zu. Delmulle sprach von Angriffen mit Granaten, Einschüchterung und Morden. Zudem lege der Kokainhandel den Keim für andere Formen der Kriminalität wie Geldwäsche und Korruption.