Maximal 15 Minuten: Die Rettungsdienste werden daran gemessen, ob sie die Hilfsfrist einhalten Foto: dpa

Die Reutlinger OB Barbara Bosch soll künftig das Deutsche Rote Kreuz in Baden-Württemberg leiten – Auf sie wartet ein Berg von Aufgaben

Stuttgart - Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Baden-Württemberg steht vor einschneidenden personellen und strukturellen Veränderungen. Nach 16 Jahren an der Spitze gibt im Herbst Präsident Lorenz Menz (82) das Amt in jüngere Hände. Eine Findungskommission will der Landesversammlung nach Informationen unserer Zeitung am 29. September die Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch (59) als Menz‘ Nachfolgerin vorschlagen. Die parteilose Kommunalpolitikerin, die zeitweise Vizepräsidentin des DRK im Südwesten war, sei bereit, den ehrenamtlichen Führungsposten zu übernehmen, heißt es aus gut informierten Kreisen.

Auf die neue Chefin des Landesverbands mit seinen 34 Kreisverbänden und 10 000 Mitarbeitern wartet ein Berg von Aufgaben. Als die dringlichste gilt die Lösung des Nachwuchsproblems im Rettungsdienst, denn durch den Wechsel im Berufsbild vom Rettungsassistenten zum Notfallsanitäter ergibt sich eine längere Ausbildungszeit, und somit fehlen dem DRK derzeit Hunderte Fachkräfte. Wo das DRK darüber hinaus Hand anlegen muss, hat Präsident Menz dieser Tage auf einer Landesausschusssitzung in der ihm eigenen Zurückhaltung angedeutet. So plädierte er vor den Chefs der 34 Kreisverbände dafür, dass die bisher weitgehend autonom agierenden Gliederungen viel stärker organisatorisch und finanziell kooperieren. „Wenn wir nicht zur Ansammlung von Biotopen werden wollen, über die andere Akteure nur noch müde lächeln, müssen wir zu einem größeren Miteinander kommen“, warnte er und schlug vor, ein externes Gutachten zur Organisationsentwicklung des DRK einzuholen.

Südbaden geht eigene Wege

Der Appell umschreibt nicht einmal ansatzweise den Druck von Politik und Öffentlichkeit, unter dem das DRK gegenwärtig steht, denn zahlreiche Rettungsdienstbereiche im Land halten die Hilfsfrist von maximal 15 Minuten nicht ein. Das haben Medien in den vergangenen Jahren immer wieder dokumentiert – zuletzt der SWR in einer aufwendigen Recherche.

Auch in der Landesregierung wachsen deshalb die Zweifel, ob die kleinteilig an Kreisgrenzen orientierten Rettungsdienstbezirke noch zeitgemäß sind. Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat im Februar gesetzliche und organisatorische Änderungen angekündigt, um „einen Rettungsdienst aus einem Guss“ zu erhalten. Ob dies auch bedeutet, dass das Land die 32 Integrierten Leitstellen – hier werden Hilfeersuchen und Einsätze der Rettungsdienste koordiniert – stärker unter seine Fittiche nimmt, ist derzeit noch offen.

Die Landtags-FDP hat sich kürzlich nach dem Stand erkundigt – die Antwort Strobls steht noch aus. „Aus dem Rettungsdienst hören wir, dem Minister fehle der Mut zur Reform“, grummelt Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Dabei habe der Rettungsdienst „gravierende Probleme“.

Damit wächst auch der Druck auf die beiden Landesverbände, stärker zusammenarbeiten oder gar zu fusionieren, denn 66 Jahre nach Gründung Baden-Württembergs ist das DRK im Südwesten noch immer getrennt: Südbaden geht in Gestalt des DRK Baden eigene Wege. Das hält Menz für nicht mehr zeitgemäß. Zwar gebe es eine gemeinsame Landesschule und eine gemeinsame Abteilung Rettungsdienst, heißt es in seinem Bericht, aber „das Erreichte kann kein Endzustand sein. Die Zusammenarbeit ist auch kein Selbstzweck, sondern soll das Rote Kreuz im deutschen Südwesten stärker machen“, sagt Menz, der in seiner aktiven Beamtenlaufbahn Amtschef im Staatsministerium war. Politik und Kostenträger ließen das DRK nicht selten wissen, „wie schwer sie sich tun mit einem Verband, der oft nicht geschlossen auftritt“, sagt er. Menz sieht jetzt die badische Seite am Zug, doch von dort seien die Signale „unterschiedlich“. Mit anderen Worten: Freiburg will nicht.

Auch der Geschäftsführer geht

Ärger droht dem DRK auch an anderer Stelle, denn seit die beiden DRK-Landesverbände vor einigen Monaten ihre Gliederungen angewiesen haben, Notfallsanitäter künftig nur noch an den elf DRK-eigenen Landesschulen ausbilden zu lassen, um deren Kapazität auszulasten, wehren sich private Lehrinstitute juristisch gegen diesen Boykottaufruf. Die Folge: eine einstweilige Anordnung gegen diese Weisung samt der Drohung von Ordnungsgeld und Haft. Die neue Präsidentin wird aber auch mit der Frage konfrontiert werden, wie die Wartezeiten für den Krankentransport verringert werden können – und das bei wachsendem Druck privater Anbieter. Der Aufgabenkatalog für Barbara Bosch ist – so sie denn Ende September gewählt wird – ellenlang. Dabei hat sie mit ihrem Hauptamt als OB von Reutlingen ohnehin einen prall gefüllten Terminkalender. Dass sie den zeitlichen Aufwand von Menz wird betreiben können, der auf so gut wie jeder Kreisversammlung präsent war, wird bezweifelt.

Obendrein geht auch der hauptamtliche Landesgeschäftsführer Hans Heinz (66) demnächst in den Ruhestand. Es wird erwartet, dass er noch den Übergang an der Spitze managt. Das DRK Baden-Württemberg steht also vor turbulenten Zeiten.