Marc Groß ist derzeit rund um die Uhr im Einsatzstab gefragt. Foto: /DRK-LV BW

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist im Einsatz gegen das Coronavirus an vorderster Front dabei. Landesgeschäftsführer Marc Groß sieht jeden Tag, wie die Preise für medizinisches Material explodieren. Er fordert von den Menschen soviel Disziplin wie möglich.

Stuttgart - Materialmangel, erkranktes Personal und steigende Erkranktenzahlen – die Helfer sind bereits jetzt am Anschlag. Ein Gespräch mit Marc Groß, dem neuen Geschäftsführer des DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg.

Herr Groß, Sie sind erst seit drei Monaten Geschäftsführer des DRK-Landesverbandes Baden-Württemberg. Hätten Sie geahnt, so schnell in einer Extremlage zu stecken?

Nein. Ich hatte tatsächlich nur wenige Wochen zur Eingewöhnung. Dann waren wir direkt im Krisenmodus, denn wir haben ja schon im Februar die Quarantänestation für China-Rückkehrer in Kirchheim/Teck eingerichtet. Seither sind wir in Schichten rund um die Uhr im Einsatzstab in unserer Landesgeschäftsstelle gefordert. Dort arbeiten normalerweise etwa 75 Leute, jetzt haben wir möglichst wenige vor Ort, meist nur acht bis neun. Von dort aus liefern wir unseren Kreisverbänden Lagebilder und tragen ihre Bedarfe an die zuständigen Ministerien weiter. All das ist sehr herausfordernd, aber man kann auch mitgestalten.

Wie beteiligt sich das DRK am Kampf gegen das Virus?

Alle unsere 34 Kreisverbände sind auf vielfältige Art und Weise im Einsatz. Wir unterstützen die Kommunen bei den Fieberambulanzen, fahren Rettungsdienst oder bieten Notbetreuung für Kinder an. Unsere Ortsvereine organisieren Nachbarschaftshilfe oder einen Einkaufsservice und dienen oft als erster Ansprechpartner für Leute, die helfen wollen. Bei der Planung und dem späteren Betrieb von Quarantäneeinrichtungen im Land sind wir ebenfalls beteiligt. Das ist eine äußerst personalintensive Sache. Außerdem unterstützen viele Helfer die Krankenhäuser mit Infoständen oder bei der Zuführung von Patienten. Unser Fachpersonal betreibt außerdem eigene Telefon-Hotlines für die Bürger, mit denen wir das Gesundheitswesen entlasten.

Wie viele DRK-Helfer sind im Einsatz?

Der überwiegende Teil unserer hauptamtlichen Mitarbeiter sind bereits im Einsatz, wenn man die Arbeit in den vielen Pflegeheimen und im Rettungsdienst dazu zählt. Außerdem sind rund 800 Ehrenamtliche bereits vor Ort oder in Krisenstäben aktiv. In Alarmbereitschaft sind jedoch nahezu alle. Falls notwendig unterstützen wir durch Schulungen von Infektionsschutzexperten. Diese werden oft auch onlinebasiert durchgeführt.

Gibt es bei Ihnen schon Ausfälle durch Covid-19-Erkrankungen?

Wir haben in verschiedenen Regionen und Einheiten Leute in Quarantäne, aber nur vereinzelt tatsächliche Erkrankungsfälle. Man darf aber nicht vergessen, dass auch die normale Erkältungs- und Influenzawelle noch nicht vorbei ist.

Erwarten Sie Personalengpässe?

Wir haben grundsätzlich eine hohe Belastung für unsere Kräfte. Man weiß nie, ob ein Patient, egal was er hat, infiziert sein könnte. Die Engpässe werden größer werden in den nächsten Wochen. Wenn es nicht anders geht, wird auch bei uns mild erkranktes Personal in Schutzkleidung weiterarbeiten müssen. Man darf nicht vergessen, dass wir auch einen grundsätzlichen Mangel an Ärzten haben. Es wird auf jeden in der Bevölkerung ankommen, der eine entsprechende medizinische Ausbildung hat. Bei uns etwa ist die Landesschule für die Ausbildung geschlossen. Wir greifen nun auch auf die Lehrkräfte als Notfallpool zurück, damit es durch Quarantänemaßnahmen zu keinen Schichtausfällen kommt. Außerdem sprechen wir mit großen Unternehmen wie Porsche, die uns bereits ihr medizinisches Personal anbieten. Und wir haben ein Online-Tool für Ärzte entwickelt, die eine Zeit lang aus dem Beruf raus waren, damit sie sich schnell wieder einarbeiten können.

Sind die massiven Eingriffe in das öffentliche Leben sinnvoll?

Wir sind sehr dankbar, dass die Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Das erhöht die Achtsamkeit der Leute und verringert die Belastung für die Helfer. Wir alle müssen uns jetzt noch für einen gewissen Zeitraum so diszipliniert verhalten wie möglich. Wenn man das Risiko für die Mitmenschen senkt, unterstützt man auch die Helfer.

Mancherorts sieht man Menschen, die den Einsatzkräften vom Balkon aus applaudieren. Welche Erfahrungen machen Sie?

Die Helfer haben eine große Drucksituation. Da ist Wertschätzung das A und O. Man sieht in der Bevölkerung, dass die Leute den Einsatz anerkennen. Manche bedanken sich. Und auch politisch gibt es bei aller Krise ein paar positive Aspekte. Auf einmal gehen Einsichten und Gesetzesänderungen, die zuvor jahrelang nicht auf den Weg gekommen sind, ganz schnell. Das könnte zum Beispiel für die lange diskutierte Kompetenzerweiterung für die neuen Notfallsanitäter gelten.

Oft kritisiert wird der Mangel an Material wie Schutzmasken. Wie sieht es da aus?

Die Preise sind explodiert. Wir versuchen, so gut es geht, seriöse Angebote herauszufiltern. Stoßen wir auf einen Anbieter, den wir nicht kennen, bestellen wir erst einmal eine kleinere Menge, um zu sehen, ob überhaupt etwas kommt. Wir hangeln uns im Moment so durch und helfen uns unter den verschiedenen Hilfsorganisationen auch gegenseitig aus. Wenn die Politik Material bekommt, liefert sie es sofort aus. Diese Tranchen reichen aber nur für zwei, drei Tage. Da sind wir alle gemeinsam gefordert, aber diese Arbeitsweise stößt an Grenzen. Es gibt immer mehr Erkrankte und Infektionsfahrten. Wir müssen unsere Mitarbeiter schützen. Deshalb sind wir auch dagegen, medizinische Standards herabzusetzen. Wir können aber eines versprechen: Wir werden, wo immer es geht, den Menschen in Baden-Württemberg weiter beistehen. Wir lassen niemanden zurück.