Christian Lindner in der Stuttgarter Oper beim Dreiköningstreffen. Foto: dpa

Auf ihrem Dreikönigstreffen versuchen die Liberalen das Jamaika-Aus endgültig hinter sich zu lassen und in die Offensive zu kommen. So unsicher die Lage sein mag, auf ein Ziel können sich alle einschießen: Kanzlerin Angela Merkel.

Stuttgart - Ein lässig dahin geworfener Scherz, versehen mit einem Hauch Selbstironie, so beginnt FDP-Chef Christian Lindner eine der schwierigsten Reden seiner Karriere. Nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen, für die er und seine Partei außerhalb des eigenen Dunstkreises noch immer reichlich Prügel beziehen, muss er sich beim Dreikönigstreffen in Stuttgart für Vergangenes rechtfertigen und zugleich den Blick der Partei nach vorne in eine unübersichtliche Zukunft richten. Also versucht er, die Stimmung erst einmal etwas zu lockern, heißt die Besucher bei der „Partei mit eingebautem Nervenkitzel“ willkommen, beim „Berüchtigtsten und Spannendsten“, was die deutsche Politik derzeit zu bieten habe. Die erste Mutprobe hätten seine Gäste also 2018 schon mal bestanden.

Noch einmal beschwört er den Geist der Wiederauferstehung seiner vielfach totgesagten Partei bei der Bundestagswahl, erinnert an seine Rede 2014 an selber Stellen, als die Sternsinger nicht mehr erschienen, weil die Kirchengemeinde nach dem demütigenden Bundestags-Aus der FDP 2013 irrigerweise davon ausgegangen waren, die Partei gäbe es gar nicht mehr. Und er beschreibt in wenigen Worten die Gebrauchsanweisung liberalen Denkens, die man sich in harten Zeiten selbst verordnet habe: frei von Angst, frei von organisierten Interessen, unabhängig von anderen Parteien. So kommt er recht schnell zum Versuch der Rechtfertigung. Kanzlerin Angela Merkel und die Grünen hätten „unter willfähriger Beteiligung der FDP“ das Versäumnis tilgen wollen, dass 2013 Schwarz-Grün scheiterte. Sie hätten damit aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht: „Wenn wir eines nicht mehr sind, dann Steigbügelhalter“, so Lindner: „Mag der Druck auch noch so groß werden, diese innere Überzeugung geben wir nicht mehr auf“.

FDP im Kreuzfeuer der Kritik

Er verweist auf die sieben Landesminister, die seine Partei mittlerweile in drei Landesregierungen stelle und die 80 Bundestagsabgeordneten, will damit sowohl den Vorwurf, keine Verantwortung übernehmen zu wollen, entkräften, als auch dem einen oder anderen Verzagten eine positive Leistungsbilanz vor Augen halten. Gerade weil die FDP wieder ein Machtfaktor sei, so seine Deutung, gerate sie jetzt wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Kein Grund zur Sorge also, eher eine besondere Art der Bestätigung.

Lässig und cool will er auch wirken, als der Jamaika-Killer den Kamerateams wenige Stunden zuvor beim bunten Abend der Landes-FDP in der Schwabenlandhalle vor die Linsen läuft. Er trägt Sneakers einer trendigen Sportschuhmarke, ein weißes T-Shirt, keine Krawatte, eine dunkelblaue Wollweste und eine graue Stoffhose, die aussieht, als habe er sie einem verdutzten Start-Up-Nerd im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg eben erst vom Leib gerissen.

Will Lindner Macron nacheifern?

Wie eine wandelnde Litfaßsäule macht er da für sich selbst Werbung als einen Vertreter jener „neuen Generation Deutschlands“, die er 2018 zu einer Art Bewegung zum Leben erwecken will. Gespeist aus verschiedenen politischen Lagern, vornehmlich dem der Union. Das klingt tatsächlich so, als wolle er Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und dessen Bewegung „En Marche“ nacheifern, dessen überparteilichen Politikansatz er in höchsten Tönen zu loben weiß.

Es ist deshalb kein Zufall, dass Lindner und die Seinen auffällig häufig mutmaßliche Merkel-Skeptiker aus den Reihen der Union loben und zu einer lebhaften Debatte aufrufen. Eine Antwort und ein Gegenmodell will Lindner so entwickeln zu den Regierungen der vergangenen Jahre, in denen zwar Minister und die Juniorpartner SPD und FDP kamen und gingen, aber eine stets blieb: Angela Merkel.

Lindner adressiert die Verantwortung klar

Der von den Kritikern Gejagte will so selbst Jäger werden. Großwildjäger. Die Rolle des Buhmanns, der in der verregneten Nacht zum 20. November zur Geisterstunde in der Berliner Landesvertretung Baden-Württembergs Deutschland im Stich gelassen hat, will er beim Dreikönigstreffen endlich hinter sich lassen, indem er die Verantwortung klar adressiert: Merkel ist schuld. Altes Denken. Kraftloses Handeln. Ideenloses Verwalten. Das ist aus seiner Sicht der Dreiklang, der Soundtrack zum Herbst ihrer Amtszeit.

So lässig er auch wirken will, so ist ihm doch in seltenen Momenten extreme Anspannung anzumerken, etwa dann, wenn er einer Journalistin im Gespräch gereizt Gereiztheit unterstellt, obwohl diese völlig unaufgeregt eine harmlose Frage gestellt hat. Es mag daran liegen, dass er ein Jahr hinter sich hat, wie es härter nicht sein könnte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er den Zustand fürchtet, mit dem er nun, nach Wahlerfolg und Jamaika-Aus konfrontiert wird: Die Ungewissheit.

„Eine neue Generation für Deutschland“

Da hilft es sehr, sich auf ein konkretes Ziel zu fokussieren. Einen Gegner aus einem anderen Lager aufs Korn zu nehmen, zerstreut Selbstzweifel. Lindners Slogan, „eine neue Generation für Deutschland“, ist deshalb nichts weiter als die liberale Schreibweise des Satzes: „Merkel muss weg.“ Generalsekretärin Nicola Beer, eigentlich eine eher Brave ihrer Zunft, erinnert daran, dass in der Gefahrgutverordnung im Straßenverkehr die Raute, also Merkels Symbol gelassener Machtentfaltung, „ein Hinweis auf Gefahr“ sei. Auch Lindner attackiert abermals die Kanzlerin, weil diese eine Minderheitsregierung ja nur deshalb scheue, weil sie dann endlich mal im Parlament „für ihre Politik werben, ihre Politik erklären und überhaupt erst mal eine eigene Meinung haben müsste.“ Auf sie mit Gebrüll, das ist die Losung. Angriff statt Defensive.

Dabei war sich Lindner, was die Folgen des Rückzugs aus den Jamaika-Verhandlungen angeht, keineswegs sicher und an der Spitze der Partei hatten sie vor dem Hintergrund möglicher Neuwahlen fast schon panische Angst davor, dass die Umfragen nach dem Rückzug aus den Verhandlungen einbrechen könnten. Die Fünf-Prozent-Hürde als kaum zu nehmendes Hindernis ist nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 ein Trauma, das die Partei noch immer nicht überwunden hat. Kommt hinzu, dass die Partei zwar alles andere als zerstritten ist. Aber es gibt schon auch einige an diesem Parteiabend, die im Hintergrund einräumen, dass sie schon gern regiert hätten. Aus Verantwortung, aber natürlich auch, weil der FDP die Lust an der Macht auch in der außerparlamentarischen Opposition nicht vergangen ist.

Umfragen bleiben stabil, Mitgliederzahlen steigen

In dieser Partei des Wettbewerbs wurde noch nie ein Parteichef aus Sympathie im Amt gehalten, sondern nur, weil mit ihm ein Renditeerwartung verbunden wurde. Die hat Lindner in den vergangenen Jahren zwar stets deutlich übertroffen. Wenn aber jetzt die Gewinnmargen kleiner werden, dürften in der FDP die Debatten über den Kurs der Partei umso lauter werden. Einen Vorgeschmack lieferten vor Dreikönig schon mal die linksliberalen Altvorderen Sabine-Leutheusser Schnarrenberger und Gerhart Baum, die das Jamaika-Aus bedauerten und davor warnten, in der Flüchtlingspolitik am rechten Rand im Revier der AfD zu fischen. Die beiden mögen mittlerweile in weiter Entfernung um den Kern der Macht kreisen. Aber sie zeigen, dass Lindner im Begriff ist, den Status eines unangreifbaren Anwärters Heiligenverehrung zu verlieren.

Deshalb ist für ihn die Botschaft so wichtig, dass die Umfragen stabil blieben und die Zahl der Mitglieder trotz des Endes der Jamaika-Träume weiter gestiegen ist. 12.362 neue Mitglieder könne man 2017 verbuchen. Hinzu komme ein Spendenrekord, den man sich nicht habe träumen lassen. Soll keiner glauben, die Himmelfahrt mit ihm ist mit dem Einzug in den Bundestag schon beendet. Die Beute, die er an Dreikönig verspricht? Merkel. Und die Aussicht auf eine liberale Handschrift in einer Koalition mit einer erneuerten Union nach dem Ende der Ära dieser Kanzlerin. Mal sehen, wie lange die FDP bereit ist, auf den Zahltag zu warten.