An der Rotenbergstraße setzt Gunter Demnig einen Stolperstein für den 1940 in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordeten Ernst Dreher. Foto: Sabine Schwieder

Der Künstler Gunter Demnig hat in der Rotenberg-, der Grünblick- und der Farrenstraße im Stuttgarter Osten drei weitere Stolpersteine verlegt. Die Schicksale der Opfer sind oft nur schwer zu recherchieren.

S-Ost - Die kleine quadratische Grube ist noch mit Zeitungspapier gefüllt – und doch zieht sie schon die Blicke der Passanten auf sich. Mitglieder der Initiative Stolperstein Stuttgart-Ost stehen in der Rotenbergstraße und warten auf den Künstler Gunter Demnig, der an diesem Tag im Osten drei Stolpersteine für Euthanasie-Opfer verlegen wird. Was einmal mit einer kleinen Kunstaktion in Berlin begann, ist mittlerweile in mehr als 20 europäischen Ländern ein fester Begriff: Bald sind es schon 55 000 Steine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern.

Das Haus Rotenbergstraße 120, in dem Ernst Dreher gelebt hat, gibt es nicht mehr: Ein größerer Neubau trägt die Nummer 118. Die eigentliche Verlegung des Stolpersteins geschieht recht schnell. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, setzt der Künstler den neuen Stein mit der goldenen Plakette schweigend in das dafür vorgesehene Loch. Gerhard Hiller von der Initiative hält einen kleinen Vortrag über die juristischen Voraussetzungen der Euthanasie, eine Akkordeonspielerin begleitet die Feierlichkeit. Der Künstler selbst ist schnell wieder zum nächsten Schauplatz unterwegs: Sein Terminkalender ist dicht gefüllt.

Arzt veranlasst Zwangssterilisation

Ernst Dreher, 1908 geboren, machte nach der Schule eine Malerlehre. Später arbeitete er in der Lederwarenfabrik Roser in Feuerbach als Hilfsarbeiter. Er musste Farbpulver für die Lederfärbung mischen und aufbereiten. Im Jahr 1935 zeigten sich erste Symptome einer Schizophrenie. Er selbst war der Meinung, die Arbeit mit den Farben sei der Grund dafür.

Aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde Ernst Dreher bereits im nächsten Jahr sterilisiert. Veranlasst wurde dies von Obermedizinalrat Karl Lempp, dem Chefarzt des Städtischen Kinderkrankenhauses und zugleich stellvertretenden Leiter des Gesundheitsamtes. Dieser Arzt war für zahlreiche Zwangssterilisationen in Stuttgart verantwortlich. Nachdem Ernst Dreher in verschiedenen Kliniken war, wurde er am 9. Dezember 1940 in der Anstalt Grafeneck ermordet – vier Tage, bevor das Töten dort aufhörte.

Hilfsarbeiter im Schlachthof

In der Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomadingen im Landkreis Reutlingen wurden von Januar bis Dezember 1940 mehr als 10 600 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Auch Karl Wieland, für den Gunter Demnig an diesem Tag einen Stolperstein vor dem Haus Grünblickstraße 1 setzt, war ein Opfer dieser Anstalt. Der 1871 in der Gemeinde Kirchenkirnberg geborene Hilfsarbeiter arbeitete im Stuttgarter Schlachthof in Gaisburg und wurde im Juli 1932 krankheitsbedingt in den Ruhestand versetzt. 1933 wurde er ins Bürgerhospital eingewiesen und wegen einer „präsenilen Psychose und Demenz“ in eine Heil- und Pflegeanstalt überwiesen. Am 27. Mai 1940 wurde er nach Grafeneck verlegt und nach seiner Ankunft ermordet.

Der Stolperstein vor dem Haus Farren-straße 21 erinnert an Hedwig Lutz, die im Jahr 1906 in Steinheim/Murr geboren wurde. Das Mädchen arbeitete als 14-Jährige in einer Bürstenfabrik in Ludwigsburg und war später kurzfristig bei Bosch und bei der Firma Bleyle in Stuttgart beschäftigt. 1926 heiratete sie den Küfer Karl Lutz und zog in die Farrenstraße 21.

Schwierige Recherche

Im Juni 1932 kam sie mit der Diagnose Schizophrenie in die psychiatrische Abteilung des Bürgerhospitals. Sie war anschließend in mehreren Heilanstalten, bevor sie am 13. August 1940 nach Grafeneck kam und dort wie viele andere Opfer in einer als Duschkammer getarnten Gaskammer ermordet wurde.

Grafeneck, so sagt Gudrun Greth von der Initiative Stolperstein Stuttgart-Ost, war für die Nationalsozialisten eine Art Übung für die spätere Tötungsmaschinerie. „Ein Bereich, in dem man nur schwer recherchieren kann“, berichtet Gunter Demnig, der sich an dieser Stelle etwas Zeit für ein Gespräch mit den Umstehenden nimmt, „vermutlich muss man von sehr viel mehr Opfern der Euthanasie ausgehen, als bisher bekannt ist.“