Das Filmset in einer der Tunnelröhren des S-21-Bahnprojekts in Stuttgart-Wangen. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Für einige Szenen der Neuverfilmung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ steigt der Regisseur Burhan Qurbani mit seinem Filmteam gut 35 Meter in die Tiefen der S-21-Tunnelbaustelle in Stuttgart-Wangen.

Stuttgart - Mit einem unerwartet starken Ruck setzt sich der Aufzug in Bewegung und gleitet langsam in die Tiefe hinab. Mit jedem Meter sinkt die Temperatur spürbar. Wo an der Oberfläche noch angenehme 28 Grad herrschen und die Sonne den Körper wärmt, sind es am Boden der Tunnelbaustelle des S21-Bahnprojekts Stuttgart-Ulm in Wangen nur noch kühle 18 Grad. Das Tageslicht wird hier unten von dem unnatürlich anmutendem Licht der Baustellenlampen ersetzt. Gut 35 Meter unter der Erde ist die Luft merklich trocken. Der stetige Zug in den, von Menschenhand künstlich geschaffenen verwinkelten Röhren innerhalb der Tunnelbaustelle trägt noch bei, zu diesem Gefühl der inneren Dürre.

In dieser für den Menschen eher unwirtlichen Umgebung finden an diesem Tag Filmaufnahmen für die Neuverfilmung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ des Regisseurs Burhan Qurbani statt. Dafür muss auf umständlichem Wege Kameraequipment, Kulissenmaterial, Verpflegung und natürlich das etwa 50 Mann starke Filmteam mitsamt den Schauspielern über einen Lastenaufzug in die Tiefe hinabgelassen werden. Das ist beschwerlich und kostet Zeit. Fast einen kompletten Tag braucht das Team der Sommerhaus Filmproduktionsfirma aus Ludwigsburg, um das Filmset in der neun bis zehn Meter breiten Tunnelröhre zu errichten.

Der Mensch ist hier unten das schwächste Glied in der Kette

Ein dumpfes Geräusch signalisiert der menschlichen Fracht im Aufzug das Erreichen des Schachtbodens. Mit einem lauten Klacken öffnen sich die beiden Gittertüren und geben den Weg in die Stuttgarter Unterwelt frei. „Der Mensch ist hier unten das schwächste Glied in der Kette“, warnt Vorarbeiter Gottfried Krainer seine Begleiter in breitem steirischem Dialekt vor den Gefahren, die in den dunklen und unübersichtlichen Tunnelröhren hinter jeder Ecke lauern können. Der Österreicher Krainer ist für die Sicherheit des kompletten Filmteams während der Dreharbeiten verantwortlich. Arbeiter, die die schweren Maschinen und Geräte im Tunnel bedienen müssen, haben oft eine sehr eingeschränkte Sicht und einen großen toten Winkel. Da kann man als Einzelner schnell mal übersehen werden. Selten geht ein solcher Unfall auf einer Tunnelbaustelle glimpflich aus.

Momentan befinden sich die Tunnelarbeiter in einem der letzen Bauabschnitte, kurz vor dem Neckar . Bald werden sie sich unterhalb des Flusses der Landeshauptstadt hindurchgraben, um in Obertürkheim wieder an die Oberfläche zu stoßen. Zukünftig wird dort der ICE in Richtung Ulm verkehren.

Tunnelbaustelle von Stuttgart 21 ist perfekter Drehort

Genau diese Stelle haben der Regisseur Qurbani und die Produktionsfirma als Drehort für insgesamt drei Szenen ihres Spielfilms gewählt. „Wir haben zuerst in Berlin und in Köln nach passenden Kulissen gesucht“, berichtet Qurbani, der ursprünglich aus Scharnhausen auf den Fildern stammt und ein Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg ist. In den beiden Großstädten seien sein Team und er aber nicht fündig geworden. Da kam ihnen die Idee, bei der Projektleitung des Bahnprojektes Stuttgart-Ulm vorzusprechen. Es wurde ein Besichtigungstermin der Tunnelbaustelle vereinbart, die Verantwortlichen prüften die technischen Voraussetzungen und gaben ihr Einverständnis. So spielen die betreffenden Szenen des Spielfilms zwar in der Unterwelt Berlins, gedreht werden sie aber in einem Abschnitt innerhalb der Tunnelbaustelle von Stuttgart 21.

Für den Regisseur war die Rückkehr nach Stuttgart etwas ganz Besonderes. „Man fühlt sich sofort wieder wie zu Hause. Egal, wo ich zwischenzeitlich auf der Welt unterwegs bin, es zieht mich immer wieder zurück ins Ländle.“ Nun steht er zusammen mit seiner Filmcrew, den Schauspielern und dem Technikteam auf dem steinigen Boden in Stuttgarts Untiefen. Bekleidet sind alle Beteiligten ausnahmslos mit grellgelben oder leuchtend orangfarbenen Sicherheitswesten, Gummistiefeln und farbigen Bauarbeiterhelmen. Für die drei Szenen unter Tag sind rund eineinhalb Tage Drehzeit eingeplant, eine zusätzliche Szene wird vor oberirdischer Baustellenkulisse gedreht. Der Zeitplan ist zwar knapp, doch Burhan Qurbani ist zuversichtlich. Als die erste Szene im Kaste ist, hallt sein begeisterter Ruf von den Tunnelwänden wieder: „Wir haben unseren ersten Schuss!“ Es werden noch einige mehr werden an diesem Tag.