Den Schlussapplaus von „Onegin“ drehte das „Cranko“-Filmteam bereits im Herbst. Derzeit ist es mit seinen Kameras überall in der Stadt unterwegs. Foto: Stuttgarter Ballett/SB

Scheinwerfer, Kameras und neugierige Passanten: Die Dreharbeiten für den Kinofilm „Cranko“ sorgen an vielen Stellen in Stuttgart für Aufmerksamkeit.

Was in Großstädten mit begehrten Filmkulissen wie New York oder Paris für Verdruss sorgt, weckt in Stuttgart vor allem Neugierde. „Hier können Sie gerade nicht durch, bitte gehen Sie hinter dem Landtag vorbei oder am anderen Ufer des Eckensees“, erklärt der Sicherheitsmann am späten Freitagabend immer wieder geduldig gegenüber Passanten und Radlerinnen im Oberen Schlossgarten. Und die meisten nehmen den Umweg ohne Murren auf sich – freilich nicht ohne vorher nach dem Grund für die vielen Kameras und Scheinwerfer gefragt zu haben, die ihr Licht sogar von Hebebühnen aus großer Höhe herabwerfen.

Der Spielfilm über das Leben und Wirken John Crankos, den der Regisseur Joachim A. Lang mit großem Team im Auftrag der Produktionsfirma Zeitsprung Pictures gerade in Stuttgart dreht, will neben dem Gründer des Stuttgarter Balletts auch die Stadt, die seinen Erfolg möglich machte, auf der Kinoleinwand groß herausbringen. Solitude, Bismarckturm, Hoppenlau-Friedhof, die Weinsteige treten auf – und natürlich auch das Opernhaus und der See davor.

Dreh auf dem Hoppenlau-Friedhof Foto: Zeitsprung

Hier versuchen Neugierige in der Nacht auf Zehenspitzen einen Blick auf die Dreharbeiten zu erhaschen oder sich hinter der Absperrung durchzumogeln, immerhin sind veritable Leinwandstars wie Sam Riley am Werk. Der Schauspieler, der in Berlin lebt und wie John Cranko tolles Deutsch mit englischem Akzent spricht, spielt den Choreografen. Dessen Ballette sollen im Film erst als Vision eines Künstlers an verschiedenen Orten in der Stadt sichtbar werden, um dann zum fertigen Kunstwerk in seiner Bühnenversion überzublenden.

Auch Friedemann Vogel ist dabei

An diesem Abend tauchen die beiden Clowns aus Crankos Ballett „The Lady and the Fool“ vor Crankos innerem Auge am Eckensee auf. Friedemann Vogel ist einer der in lange Mäntel Gekleideten, die auf der Mauer kauern, während ein Teil des Ensembles wie nach einer Vorstellung in Bademänteln vorübergeht.

Ohne Hektik und Druck wird die Szene mehrfach geprobt. Die Anspannung des Filmteams ist dennoch hoch; das war am Nachmittag deutlich zu spüren, als in einem Ballettsaal im Opernhaus gedreht wurde und der Dalmatiner, der Crankos Hund Artus spielt, die emotionale Anspannung einer Szene mit Gebell kommentierte. „Wir brechen ab!“, setzt der Regisseur Joachim A. Lang die Aufnahme der Szene auf Neuanfang.

„Perfekt, dankeschön!“, lobt Cranko im Film seine Stars

Noch einmal tanzen Elisa Badenes und Jason Reilly als Marcia Haydée und Ray Barra. Noch einmal lobt Sam Riley als Cranko: „Perfekt, dankeschön!“ Noch einmal beginnt Jason Reilly die Tanzsequenz, in der Crankos erstem Startänzer 1966 bei einem Sprung die Achillessehne riss. Und wieder halten alle vor den Kameras und hinter den Monitoren die Luft an, als der Tänzer stürzt, wieder bellt Artus. „Der durfte schon damals alles machen“, erinnert Reid Anderson, der als Zeitzeuge die Filmcrew berät, an Crankos Hund.

Nur noch wenige Drehtage bleiben dem Filmteam; Sandra Maria Dujmovic, Redaktionsleiterin für Spielfilmsonderprojekte des SWR, macht die schwindende Zeit als Koproduzentin und Dramaturgin von „Cranko“ nun doch etwas nervös. Ein vorlauter Hund, lange Umschminkzeiten, der Publikumsverkehr im Opernhaus. „Es gibt tausend Probleme und wir müssen sie irgendwie, aber immer schnell lösen“, sagt Dujmovic.

Der Film ist eine Zeitreise in die 1960er Jahre

Ein gutes Zeitmanagement erfordern die Filmarbeiten auch vom Stuttgarter Ballett und seinen Disponenten. „Cranko“ versammelt kurze Szenen aus den unterschiedlichsten Balletten des Choreografen. „Das ist schon eine Herausforderung, so viele Werke, die gerade nicht im Repertoire sind, neben allem anderen zu proben“, sagt Vivien Arnold. Die Sprecherin der Kompanie verfolgt gebannt die Dreharbeiten, die am Freitag einen Ballettsaal mit alten Lautsprechern, Minivorhängen vor den Neonröhren sowie Tanzakteuren in altmodischem Trainingsoutfit sechzig Jahre in der Zeit zurückversetzen. Sogar der Qualm aus Crankos Zigaretten ist da: Ein Mitarbeiter der Filmcrew bläst ihn aus einem kleinen Handgerät.

Der letzte Drehtag wird beim Gastspiel des Stuttgarter Balletts am 29. April in Ludwigshafen sein, letzte Szenen aus „Onegin“ werden dort noch aufgenommen. Applaus und ein Solo Lenskis mit Henrik Erikson in der Rolle Egon Madsens wurden vorab bereits im Herbst in Stuttgart gedreht. „Alle diese Aufnahmen von verschiedenen Orten am Ende schlüssig zusammenzubringen, wird eine riesige Herausforderung“, sagt Sandra Maria Dujmovic. Doch das passiert unbemerkt von der Öffentlichkeit in einem Schnittstudio des koproduzierenden SWR. Bis zum Jahresende soll der Film fertiggestellt sein.