Italiens neuer Ministerpräsident Mario Draghi hat viel vor sich – aber nur wenig Zeit. Foto: AFP/Alberto Pizzoli

Mario Draghis Pläne für Italien sind das, was das Land braucht. Auch seine Minister hat er im Sinne der Pragmatik ausgewählt. Nur eine Superkraft fehlt dem Helden: Er hat keine Zeit, kommentiert unsere Redakteurin Almut Siefert.

Rom - Plötzlich haben sich also alle lieb in Italien. Plötzlich sitzen die politischen Zankhähne alle an einem Tisch. Plötzlich applaudieren die rechte Lega, Silvio Berlusconis Forza Italia, die Sozialdemokraten und Teile der Fünf-Sterne-Gemischtwarengruppe gemeinsam dem neuen Ministerpräsidenten „Super“ Mario Draghi.

 

Er soll es nun richten. Das, was die Politiker in Rom jahrzehntelang vor sich her und vor allem von sich weg geschoben haben. Mit ihrem Ja zur Einheitsregierung sind sie erst einmal fein raus. Und die Entscheidung für Draghi spielt ihnen langfristig in die Karten. Auch die Italiener scheinen ihre Hoffnung in den Ex-EZB-Präsidenten zu setzen: 85 Prozent sind mit Draghi als neuen Ministerpräsidenten einverstanden. Kurzfristig betrachtet ist der Wirtschaft-Experte tatsächlich eine gute, wenn nicht gar die beste Lösung für Italien. Ein Regierungschef mit Superhelden-Kraft?

Draghi will sich den lang ersehnten Reformen widmen

Gerade weil er kein Politiker ist, gerade weil er nicht all sein Handeln auf künftige Wählerstimmen ausrichtet, kann sich Draghi tatsächlich den so lange ersehnten Reformen widmen: Das viel zu langsame Justizsystem aufräumen, die Bürokratie verschlanken, die Digitalisierung vorantreiben. Alles eher dröge Themen, mit denen man in der Bevölkerung keinen Blumentopf und schon gar keine Wählerstimmen gewinnen kann. Das alles auch noch mit einem finanziellen Spielraum, den Italien schon lange nicht mehr hatte: 210 Milliarden Euro stehen dem Land aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds zu, etwa 80 Milliarden davon als kostenlose Zuschüsse.

Dass Draghi nicht politisch sondern vor allem pragmatisch unterwegs sein wird, beweist seine Auswahl der Minister. Die für die Umsetzung der wirtschaftlichen und strukturellen Reformen zentralen Ressorts hat Draghi mit parteilosen Experten besetzt. Daniele Franco, der bisherige Generaldirektor der Italienischen Zentralbank, wird Finanz- und Wirtschaftsminister, Marta Cartabia, einst Präsidentin des Verfassungsgerichts, kümmert sich um die Justiz. Die 15 Minister, die aus den Parteien der Einheitsregierung stammen, sind Politiker, die als proeuropäisch gelten und in der Vergangenheit nicht mit selbstverliebtem Machtgehabe aufgefallen sind.

Gute Reformpläne brauchen Zeit

So viel zum Positiven. Doch so hoch die Erwartungen an Draghi und sein Experten-Kaninett auch sind, so hoch ist das Enttäuschungspotenzial. Das Problem: Er hat keine Zeit. Spätestens im Frühjahr 2023 wird in Italien gewählt. In seiner 50-minütigen Rede vor dem Senat, in der Draghi sein Regierungsprogramm in dieser Woche vorstellte, sagte der Wirtschaftsexperte selbst: Gute Reformpläne brauchen Zeit. Und so groß die Zustimmung aus den Parlamentskammern nun auch sein mag, so vielfältig werden die Interessen sein, die Draghis Kabinett zu bedienen hat.

Die Granden der italienischen Politik können sich derweil entspannt zurücklehnen und Draghi den Scherbenhaufen aufkehren lassen, den sie in den vergangenen Jahrzehnten hinterlassen haben. Bei der kommenden Wahl werden die Salvinis, die Berlusconis, die Di Maios und vor allem die Melonis für nichts gerade zu stehen haben.

Die Faschisten stehen in den Startlöchern

Die letzte Experten-Regierung Italiens unter Mario Monti (2011-2013) führte zum Aufstieg der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die mit ihrer Unerfahrenheit und Zerrissenheit maßgeblich für das politische Chaos der vergangenen Jahre verantwortlich zeichnet. Schon jetzt steht eine politische Kraft in den Startlöchern, das erneute Machtvakuum zu füllen. Die faschistischen Fratelli d’Italia sind in den vergangenen Jahren von einer unbedeutenden Kleinpartei auf einen Umfragewert von 16, 2 Prozent geklettert – und stehen damit aktuell sogar vor den Sternen und nur noch knapp hinter den Sozialdemokraten.

Die „Brüder Italiens“ mit der polternden Führungsfrau Giorgia Meloni sitzen als einzige Partei geschlossen in der Opposition. Das werden sie für sich nutzen. Vor allem dann, wenn die Zeit für Draghis Leute am Ende tatsächlich zu knapp wird – und sie damit ihrer Superkräfte beraubt sind.

almut.siefert@stuttgarter-nachrichten.de