Eindrücke aus der finnischen Natur: Ein Motiv aus dem Jahr 1965 Foto: Hulton Archive

Sie zog von Schwaben in die finnische Wildnis, um zu dichten, sie studierte und übersetzte den englischen Frühmodernisten Gerard Manley Hopkins. Nun hat Dorothea Grünzweig einen eigenen neuen Gedichtband veröffentlicht, der Licht in die nordische Finsternis bringt.

Frau Grünzweig, Sie wurden in Korntal bei Ludwigsburg geboren und leben nun seit 25 Jahren in Finnland. Wie kam es dazu?
Wenn man in ein anderes Land zieht, gibt es meist äußere und innere Gründe. Der äußere Grund war bei mir die Entsendung an die deutsche Schule in Helsinki durch den Auslandsschuldienst. Tiefere Gründe lagen in dem Wunsch, wieder von Baden-Württemberg in den Norden zu ziehen. Nach dessen Kargheit und Weite hatte ich mich seit meiner Zeit in Schottland gesehnt.
Sie haben in Finnland gefunden, was Sie suchten?
Ich fand Anonymität, eine überwältigende, herausfordernde, bisweilen auch bedrohlich wirkende Natur und eine faszinierende Sprache, die mich noch immer unaufhörlich anregt. Finnland war in den 20er Jahren auch das Traumland meines Vaters gewesen. Es blieb ein unerfüllter Traum, der an die nächste Generation weitergegeben wurde.
Finnland war das Gastland der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Was zeichnet die finnische Literatur Ihrer Meinung nach aus?
Mein Leseschwerpunkt ist die Lyrik, ich übersetze sie auch. Sie ist bildstark, handfest, sinnlich, in der physischen Welt verankert und wenig verkopft. Das kann man wohl auch vom finnischen Roman sagen. Mich zogen besonders Texte an, in denen sich eine animistische Sichtweise erspüren ließ.
Die Texte Gerard Manley Hopkins’ haben Sie bereits während Ihres Studiums in Tübingen kennengelernt. Was war es, das Sie zuerst für sie begeistert hat?
Angezogen hat mich an Hopkins von Anfang an die dichte, aufgeladene Sprache, die das Ureigene der Dinge in den Blick nimmt und es gleichzeitig einordnet in die Harmonie des Schöpfungsganzen. Die Musikalität, die einem Flechtwerk aus Klang und Inhalt entspricht. Die dafür notwendige Eigentümlichkeit von Wörtern und Satzbau. Etwas Kindliches an ihm – kein Regieren der Sprache, sondern Begeisterung, wie wenn er entzückt über das ihm Zugekommene in die Hände klatschen würde. Die Seligkeit und andererseits die Verzweiflung in seinen Gedichten. Das alles rührt an.
Sie haben sich nach dem Abschluss Ihres Studiums gegen eine akademische Laufbahn entschieden. Sie schreiben: „Die Art und Sprache des Vorgehens kam mir fremd vor und schien von mir zu verlangen, mich gegen den Strich zu bürsten“. Hopkins seinerseits hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil er als Mitglied des Jesuitenordens Gedichte schrieb. Sehen Sie hier eine Parallele?
Ja, es gibt hier wohl Parallelen, die mir aber erst mit dem eigenen Schreiben in den Sinn kamen. Das dichterische Sprechen fordert eine völlig andere Grundhaltung als das akademische oder theologisch auslegende, besonders wie es von Hopkins damals vonseiten seines Ordens erwartet wurde. Es ist ja sinnlich-leiblich, speist sich aus tieferen Quellen, macht sich das Stoffliche der Sprache zu eigen und fordert viel Platz um sich. Hopkins hat das in Konflikte gestürzt, davon zeugt auch die Tatsache, dass er wegen unpassender Sprachbilder mehrfach Predigtverbot erhielt. Seine poetische Sprache brauchte aber wiederum die Norm, um sich von ihr wegstemmen zu können.
Sie stammen selbst aus einem Pfarrhaus.
Das stimmt. Als Jugendliche fühlte ich Sehnsucht nach einer Sprache, die sich der Welt behutsam nähert, durch Bilder, die das Gesagte in der Schwebe lassen und immer neue Räume eröffnen. So schien die Sprache für mich das „Geheimnis der Religion“ zu erhalten und eigentlich erst spüren zu lassen. In dieser Zeit schrieb ich auch „Songs“ – so nannte ich sie – für meine Gitarre. Ich mochte die Texte nur dann, wenn sie mich selbst überraschten und nicht erwartbar waren.
Gibt es heute noch in Ihrer Auffassung von Sprache und Schreiben Momente, in denen dieser biografische Hintergrund mitschwingt?
Die Bibel ist voller faszinierender poetischer Texte, die sich zum Beispiel in den Psalmen, aber auch im Neuen Testament finden. Die Sprache meines Elternhauses, die Bibel, andere von ihr kommende, jahrhundertealte Literatur, auch die Choräle sind ein Auslöser dafür, dass ich Gedichte schreibe. Eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Aber was mich daran interessiert, ist, was davon im Unterbewusstsein gelagert ist. Was die Sprache damit macht und wie sie dies mit anderen Elementen verknüpft, so dass eine neue Einheit der Wahrnehmung entsteht, die aber das Alte mitbewahrt.
Nachdem Sie Ihre Übersetzung der Gedichte von Gerard Manley Hopkins abgeschlossen hatten, haben Sie mit der Arbeit an einem eigenen neuen Gedichtband begonnen, der nun im Wallstein-Verlag erschienen ist. Können Sie beschreiben, inwiefern die Beschäftigung mit Hopkins Ihre eigene Arbeit beeinflusst hat?
Wenn man einen Dichter wie Hopkins über Jahre hinweg übersetzt, wird er zu einem verehrten Meister. Seine Ansicht, dass die Poesie der „verweilenden Energie des Geistes“ entspringt, beeinflusst die eigene Lebensweise. Seine preisende Haltung und der Wunsch, allem Gesehenen den Aspekt hinzuzufügen, was es bedeutet, färbt ab. In meinem neuen Buch „Kaamos Kosmos“ bringe ich „Licht ins Dunkel“ – Kaamos ist ein finnisches Wort, das die Polarnacht bezeichnet, das Dunkel gehört in einen Kosmos, der das Gegenteil von Chaos ist. Diese Deutung ist manchmal allerdings nur ein aus Splittern zusammengesetztes Mosaik.