Schon die frühen Entwürfe zeigen die blaue Farbe des Dachs. Foto: Behnisch Architekten

Während sich Architekten und Politiker um die Optik des Neubaus am Karlsplatz streiten, müssen die Bewohner mit Einschränkungen rechnen. Ihre Fenster werden auf politischen Wunsch hin an bestimmten Tagen automatisch verschlossen– auch gegen ihren Willen.

Stuttgart - „Kommt das noch weg oder bleibt das so?“ Auf dem Karlsplatz steht vor einigen Tagen ein älteres Ehepaar – den Einkaufstüten nach Kunden von Breuninger. Die Frage der Ehemanns bezieht sich auf die blaue Farbe des Dachs des Dorotheen-Quartiers. „Hoffentlich“, sagt seine Frau bevor sie in Richtung Café Planie weitergehen. Die Färbung des Dachs ist Thema in der Stadt. Nun ergreifen Politiker und Handelsexperten das Wort. Architekt Stefan Behnisch verteidigt hingegen seinen Entwurf.

 

„Ich war lange der Meinung, bei der Farbe müsse es sich um einen Art Schutzfolie während der Bauzeit handeln“, sagt Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. Die gleiche Vermutung hatte Iris Ripsam, Gemeinderätin und Bundestagsabgeordnete der CDU. „Die ursprünglichen Darstellungen des Quartiers zeigen ein lichtdurchflutetes Dach“, sagt sie und: „Die aktuelle Gestaltung entspricht nicht der Planung.“ Spannend sind die Aussagen Ripsams, weil sie als stellvertretende Preisrichterin Mitglied der Jury des Planungswettbewerbs war.

Architekt Stefan Behnisch begegnet der Kritik gelassen. „Wir waren etliche Male im Gemeinderat und haben die Pläne vorgestellt“, sagt er. Spätestens nach den Sitzungen im Juli 2013 hätten alle Beteiligten genau über die Optik des Dachs Bescheid gewusst. Eines hätten die Politiker schon damals klargemacht, berichtet Behnisch: „Ein gläsernes, transparentes Dach war nicht gewollt.“ Das Dach sollte bei Nacht nicht leuchten und am Tag nicht in Richtung der Halbhöhe reflektieren oder blenden.

Behnisch: Glasdach schöner als Klimaanlagen auf den Gebäuden

Die frühen Entwürfe sprechen für die Aussagen von Stefan Behnisch. Schon auf den ersten Zeichnungen erstrahlt das Dach in der nun so umstrittenen bläulichen Färbung. Mit seiner persönlichen Meinung hält Behnisch im Gespräch mit unserer Zeitung nicht hinterm Berg: „Ich finde die Diskussionen absurd“, sagt er. „Im Vergleich zu den Klimaanlagen und der Haustechnik, die auf anderen Gebäuden installiert sind, wäre ein gläsernes Dach sicher besser gewesen.“

Doch die Absurditäten enden an dieser Stelle noch nicht. Neben den Läden und den Büros gehören 19 Wohnungen in den obersten Geschossen zum Dorotheen-Quartier – in Immobilienkreisen wird für die teilweise 200 Quadratmeter großen Einheiten von Kaltmieten jenseits von 30 Euro pro Quadratmeter gesprochen. Einige der Fenster der Luxuslofts blicken Richtung Karlsplatz, wo Fischmarkt, Weihnachtsmarkt und ähnliche Veranstaltungen stattfinden. Doch aus Sicht der Stadt ist das ein Problem, denn kurz gesagt: Wo es abends auch mal laut wird, darf eigentlich nicht gewohnt werden.

Das Ergebnis: Die Fenster der Wohnungen werden an Veranstaltungstagen zwischen 20 und 22 Uhr automatisch geschlossen – ob den Mietern das gefällt oder nicht. „Das ist völlig skurril“, sagt Behnisch und schmunzelt. „Die Menschen ziehen doch bewusst an diesen Ort, weil da etwas los ist.“ Die Stadtverwaltung bestätigt auf mehrfache Nachfrage: Man habe einvernehmlich beschlossen, die Steuerung der Gebäudetechnik dahingehend zu erweitern, dass die Fenster bei Großveranstaltungen automatisch schließen. Stadtsprecher Sven Matis fügt hinzu: „Diese Lösung stellt einen tragbaren und pragmatischen Kompromiss zwischen dem Anspruch auf Lärmschutz der Bewohner in der Innenstadt, dem Wunsch des Bauherren nach erhöhtem Wohnungsanteil sowie dem Erhalt einer lebendigen Innenstadt dar.“

Der Marktplatz kommt noch mehr in Zugzwang

Neben allen absurden Details weist der Architekt des Dorotheen-Quartiers noch auf eine handfeste Folge des Projekts hin. „Der bislang rückwärtige Eingang von Breuninger wird zu einer Art neuem Haupteingang werden“, glaubt Behnisch. „Dadurch wird der Druck auf den Marktplatz noch größer werden.“ Und der Platz sei schon jetzt kein entsprechendes Vorzimmer für das Rathaus.

Breuninger-Sprecher Christian Witt erklärt: „Wir haben auch nach der Eröffnung des Dorotheen-Quartiers großes Interesse an einem belebten Marktplatz.“ Sobald die städtebaulichen Voraussetzungen geschaffen seien, könne man mit einem gastronomischen Angebot in Richtung Marktplatz starten, betont er. Sabine Hagmann hofft indes, dass die baldige Eröffnung des Buchgeschäfts Osiander im ehemaligen Haufler-Haus dem Platz Leben einhauchen wird.

Citymanagerin Bettina Fuchs erklärt zur Zukunft des Marktplatzes: „Es kommt auf die Stadt Stuttgart an, was sie aus dem Marktplatz macht und ob es gelingt, auf der Breuninger-Seite eine Gastronomie einzurichten.“ Zudem sagt sie: „Der Marktplatz fällt mit Eröffnung des Dorotheen Quartiers optisch noch mehr ab, als er dies jetzt schon tut. Hier ist Eile geboten, was die Sanierung und Ertüchtigung angeht.“

Stuttgarts Tourismuschef Armin Dellnitz erklärt: „Der Marktplatz darf nicht im Schatten des Dorotheen-Quartiers liegen. Er muss sich mit seiner Qualität auf Augenhöhe zum Nachbarn bewegen. Dann brauch niemand Frequenzverluste befürchten, egal, wo welcher Eingang liegt.“