Blutiges Familiendrama in Riedenberg: Warum mussten eine 43-jährige Frau und ihr 16-jähriger Sohn sterben? Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Vor dem Landgericht Stuttgart hat am Montag der Mordprozess gegen einen 53-jährigen Mann begonnen. Ihm wird vorgeworfen, er habe seine Frau und seinen Sohn ermordet. Doch auch vor Gericht schweigt der Angeklagte zu den Hintergründen der Bluttat.

Stuttgart - Ich habe zuerst einen dumpfen Schlag gehört und dann einen Schrei“, sagt die junge Frau vor der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts. Sie habe sich nicht allzu viel dabei gedacht. Denn in der Wohnung unter ihr in dem Mehrfamilienhaus am Mandarinenweg in Stuttgart-Riedenberg habe es öfter lautstarken Streit gegeben. Dass sich in der Wohnung an jenem 18. Oktober vorigen Jahres zwischen 8 und 9 Uhr morgens ein blutiges Familiendrama abspielte, konnte die Zeugin damals nicht wissen.

Staatsanwalt Matthias Schweitzer wirft dem 53-jährigen Facharbeiter zweifachen heimtückischen Mord vor. Mord an seiner 43-jährigen Ehefrau und an seinem 16-jährigen Sohn. Auch den Familienhund, einen Mischling aus einem rumänischen Tierheim, soll der Stuttgarter getötet haben.

Laut Anklage hat der Mann seine Ehefrau im Flur mit einem Kampfmesser mit 18 Zentimeter langer Klinge attackiert. Er soll ihr mehrfach in den Oberkörper gestochen haben. Die 43-Jährige floh ins Kinderzimmer, wo ihr der Angeklagte weitere Stiche in den Rücken versetzt haben soll.

Den Hund wollte er zuerst ersticken

Durch die Schreie seiner Mutter war der Sohn aufgewacht. Der Angeklagte soll den Gymnasiasten daraufhin mit Stichen in den Hals und in die Brust getötet haben. Den Hund hatte er zuerst ersticken wollen, ihn dann aber auch erstochen. Wie oft er insgesamt zugestochen hat, könne er nicht sagen, so der 53-Jährige vor dem Haftrichter. Weiter soll er bei dieser Vernehmung gesagt haben, er habe zuvor von der Tat geträumt.

Nach der Tat hatte der Angeklagte mehrere Flaschen Alkohol in sich hineingeschüttet und sich dann die Pulsadern aufgeschnitten. Um 9. 28 Uhr setzte er schließlich einen Notruf ab. Er habe seine Familie getötet, sagte er am Telefon.

Sein Suizidversuch war offenbar ernst zu nehmen. Der Mann verlor viel Blut und musste in der Klinik mehrere Tage beatmet werden.

Ein Motiv bleibt der Angeklagte schuldig

Vor Gericht macht der Angeklagte zu der Bluttat keine Angaben. Ein Motiv, warum er seine Familie ausgelöscht hat, bleibt er bislang schuldig. Ein Gerücht, das in der Nachbarschaft kursiert, ist allerdings aus der Welt geschafft. Nachbarn wollten mitbekommen haben, dass die Frau an Krebs erkrankt gewesen sei. Sofort wurde spekuliert, ihr Mann habe ihr die Leidenszeit ersparen wollen. Allerdings habe die 43-Jährige keine Krebserkrankung gehabt. Darüber gebe es keinerlei Erkenntnisse, so der Staatsanwalt. Der Angeklagte selbst sagt: „Sie hat sich nur die Haare sehr kurz schneiden lassen.“

Und auch der gut ein Meter hohe Schrank im Schlafzimmer sei völlig harmlos. „Der Schrank war proppenvoll mit Medikamenten – von unten bis oben“, so der Vorsitzende Richter Wolfgang Hahn. „Alles Homöopathie“, sagt der 53-Jährige. Seine Frau habe erwogen, sich als Heilpraktikerin ausbilden zu lassen.

Die Familie lebte offenbar sehr zurückgezogen

In der Wohnung hatte die Polizei eine Grußkarte der 43-Jährigen an ihren Mann sichergestellt. „Grüße von der Noch-Frau“ steht da zu lesen. Die Karte sei zwei Jahre alt, seine Frau habe damals geglaubt, er habe eine Affäre – was nicht gestimmt habe, so der Mann. Er jedenfalls habe keine Trennungsabsichten gehabt.

Offenbar hat die Familie sehr zurückgezogen gelebt: so gut wie kein Kontakt zu den Nachbarn, er keine Freunde, sie keine Freundinnen. Ansonsten hört sich das, was der 53-Jährige über das Familienleben sagt, alles andere als ungewöhnlich an. Fahrradausflüge, Wanderausflüge, Ausflüge in Freizeitbäder. Er habe gearbeitet, sie den Haushalt gemacht, der Sohn ging zur Schule. Merkwürdig allerdings: Der Stuttgarter konnte am ersten Prozesstag nicht sagen, ob sein Sohn in die 10. oder in die 11. Klasse ging. „Er war in der 11. Klasse“, so Richter Hahn.

Bei der Arbeit wurde der Angeklagte freigestellt

Zuletzt hätten sich seine Probleme bei der Arbeit gehäuft, sagt der Mann. Es habe auf den Baustellen, auf denen er gearbeitet hat, immer mehr „Beinahe-Unfälle“ gegeben. Er sei vermehrt in heftigen Streit mit Kollegen geraten. „Der absolute Belastungs-Horrortrip“, so der Facharbeiter. Er wurde im Juli 2015 zum Abteilungsleiter zitiert, um die Situation zu klären. Das ging so weit, dass er freigestellt und zum Arzt sowie zu einer Therapeutin geschickt wurde.

Nach dem Gespräch mit dem Abteilungsleiter sei er aufs Dach des Verwaltungsgebäudes der Firma gegangen und habe sich überlegt, hinunterzuspringen. Danach habe er keine Suizidgedanken mehr gehabt, sagt er vor Gericht. Allerdings sei er von Schlaflosigkeit geplagt worden. Zu Hause, bei Frau und Sohn, sei die Situation angespannt gewesen, man habe aber nicht gestritten.

Seine letzte Therapiesitzung absolvierte er am 14. Oktober 2015. Vier Tage später soll er seine Familie ausgelöscht haben. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.