Peter Leibinger (links) und Ulrich Dietz sehen beim Bewusstsein für den digitalen Umbruch noch Defizite. Foto: factum/Granville

Ulrich Dietz, Chef des IT-Firma GFT, und Peter Leibinger, Forschungschef bei Trumpf, im Gespräch mit Andreas Geldner über die baden-württembergischen Hausaufgaben beim Thema Innovation.

Herr Dietz, Herr Leibinger, die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hat für das Land einen neuen Technologiebeauftragten angekündigt. Was würden Sie ihm oder ihr ins Stammbuch schreiben?
Dietz Ich bin dagegen, immer neu zu postulieren, was die Politik tun sollte. In den letzten Jahren wurden dazu ausreichend Studien mit ganz vernünftigen Vorschlägen erstellt, wie den Ausbau der Ressourcen für Embedded Systems – also Software, die in Maschinen Verwendung findet – oder über den Aufbau von Clustern im Bereich der Gesundheitstechnologie. Man sollte einfach mal schauen, was konkret aus den Vorhaben geworden ist. Was ich besonders wichtig fände: Das Wissenschafts- und Bildungsministerium müssen gemeinsam das Thema Innovation und Technologie in die Lehr- und Ausbildungspläne bringen. Das ist eine Länderangelegenheit und kann auch hier konkret umgesetzt werden.
Leibinger Unternehmen wünschen sich Deregulierung. Im übertragenen Sinne muss sich ein Abteilungsleiter heute mit dem Unfallrisiko jeder Teppichkante beschäftigen. Sie müssen einen Energieeffizienznachweis an vielen Stellen erbringen. Für uns ist es noch machbar, weil wir groß genug sind. Wenn sich aber ein Entwicklungsleiter in einer kleinen Firma mit solchen Themen beschäftigt, hat er keine Zeit mehr für Erfindungen. Ein Technologiebeauftragter könnte in der Politik das Bewusstsein dafür schaffen, dass man Innovationen Raum geben muss. Kleine und mittlere Unternehmen haben bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle noch Nachholbedarf. Da gibt es derzeit vielleicht noch zu wenig Bewusstsein und zu wenig Forschung. Eine Landesregierung könnte auch die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen verbessern. Wir haben in Stuttgart eine gute Technische Universität, aber die deutschen Spitzenunis wie Aachen oder München haben uns inzwischen abgehängt. Diese Universitäten werden unternehmerischer geführt.
Und wo hat der Innovationsstandort Baden-Württemberg seine Stärken und Schwächen?
Dietz Wir sind in vielfältigen technologischen Kategorien unheimlich stark. Unsere Schwäche ist es jedoch, im Rahmen der Digitalisierung neue Geschäftsmodelle zu entwickeln – also auf Basis der Technologien, die wir heute schon nutzen. Leibinger Ich sage da nichts Neues: Wir haben eine starke Automobilbranche und einen starken Maschinenbau. Schwächer sind wir eher im Bereich der Software. Wobei das so pauschal nicht stimmt: Bei der Software für Computer, die in technische Systeme eingebettet sind, sieht es viel besser aus. Entscheidend ist die Vernetzung: Eine Maschine ist heute Teil eines Geschäftsmodells. Damit müssen wir uns verstärkt auseinandersetzen.
Und wo sollte sich die Politik beim Thema Innovationsförderung heraushalten?
Dietz: Ich neige nicht dazu, der Politik zu sagen, was sie tun oder lassen soll. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass der baden-württembergische Ministerpräsident sehr gut zuhört – und insbesondere beim Thema Digitalisierung verstanden hat, „was die Stunde geschlagen hat“. Leibinger: Die Politik neigt dazu, technologische Themen über den Absatz vorantreiben zu wollen. Ein gutes Beispiel ist die Solarstromförderung. Mit bekanntem Ergebnis – sie ist gescheitert. Dietz Ein weiteres Beispiel ist die Elektromobilität: Hier herrscht vor allem Aktionismus. Ein einzelnes Unternehmen kann sogar mehrere Milliarden Euro Strafgelder bezahlen. Diese Technologie also noch von staatlicher Seite zu fördern, ist ein Eingriff in die Marktwirtschaft – der gleichzeitig ein Schlag ins Gesicht eines jeden ordentlich wirtschaftenden Unternehmers ist. Leibinger Insgesamt denke ich, man sollte in diesem Feld vor allem auf die gezielte Förderung einzelner Leuchttürme setzen, anstatt Subventionen mit der Gießkanne zu verteilen.
Und wie sieht es bei der Innovationsförderung in Deutschland generell aus?
Leibinger Wir haben auf Bundesebene verschiedene Ressorts mit verschiedenen Zuständigkeiten. Führend ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das ist so richtig. Was ich schon erlebt habe ist, dass dieses Ministerium ein Projekt mit guten Gründen ablehnt – und dasselbe Vorhaben dann von einem anderen Ministerium gefördert wird. Das sollte so nicht vorkommen. Hier ist bessere Koordination zwischen den Häusern sicherlich zielführend.
Gibt es nicht in Deutschland schon zu viel Förderung und zu viele Start-up-Wettbewerbe? Wäre nicht mehr Risikokapital besser?
Dietz Es ist gut und wichtig, dass es so viele Wettbewerbe gibt, auch wenn es aktuell sicherlich eher ein Hype ist. Das Thema Risikokapital entwickelt sich in Deutschland stetig. Es wird zwar noch ein paar Jahre dauern, aber wir sind auf einem guten Weg. Leibinger Start-up ist nicht gleich Start-up. Wenn ich eine Idee habe, die auf Software basiert, kann ich das mit fünf Leuten und ein bisschen Kapital problemlos vorantreiben. Wenn ich aber Hardware entwickle, dann brauche ich eine Laborausrüstung, muss Prototypen bauen und Versuchsreihen fahren. In Deutschland kommen wir aus dieser Hardware-Ecke. Ein Start-up zu gründen stellt deshalb ein höheres Risiko dar. Deswegen beginnen wir oft langsamer und brauchen länger.
Ende September lanciert GFT Technologies in Karlsruhe ein großes Innovationsfestival rund um den Start-up-Wettbewerb von Code_n. Auch Trumpf ist als Partner mit dabei. Der Name „Festival“ strahlt Optimismus aus. Ist dort Platz über die zwiespältigen Folgen des technischen Fortschritts zu reflektieren?
Dietz Dafür ist immer Platz. Ich finde auch die kritische Auseinandersetzung mit Technologie wichtig. Für eine Zukunftsveranstaltung ist das ein integraler Bestandteil. Es wird Panels geben, wo etwa das Thema Cybersicherheit diskutiert wird. Es gilt aber auch, die Angst vor neuen Technologien zu nehmen und Lust auf Neues zu wecken – hierfür brauchen wir in Deutschland ein ganz neues Bewusstsein! Leibinger Die Frage ist typisch deutsch: Ja, man muss den Blick auf alle Aspekte richten. Aber auch Begeisterung gehört dazu. Wir gehen ja auch nicht auf ein Musikfestival, um über den Sinn und Zweck musikalischer Unterhaltung zu diskutieren. Der Name Festival ist bewusst gewählt, es soll positiv besetzt sein und Spaß machen. Natürlich gibt es kritische Fragestellungen: Was passiert durch die Digitalisierung mit den Arbeitsplätzen? Wie verändern soziale Medien die Gesellschaft? Nicht alle Veränderungen sind positiv – wenn ich etwa an den Einfluss sozialer Medien auf das Verhalten unserer Kinder denke. Aber zum technischen Fortschritt gehört auch die Reflexion über dessen Folgen – das ist ganz normal.
Warum werden digitale Themen so oft als Bedrohung angesehen?
Leibinger Das ist ein weites Feld … Ich weiß es nicht genau. Wir gehen aber zugegebener Maßen sehr ambivalent damit um: Wir nutzen exakt die Technologien, von denen wir uns bedroht fühlen.
Die Leute haben aber konkrete Ängste – etwa um den Arbeitsplatz.
Dietz Das möchte ich so nicht stehen lassen. Es wird oft so dargestellt, dass aus dem digitalen Umbruch vorrangig Verlierer resultieren. In Wirklichkeit schafft die Digitalisierung Tausende von neuen Arbeitsplätzen. Innovation schafft Arbeitsplätze, das war schon in der Epoche der Industrialisierung der Fall.
Aber manche Ökonomen sagen, dass diese Erfahrungen im Roboter-Zeitalter nicht übertragbar sind.
Dietz Firmen, die erfolgreich sind, schaffen Arbeitsplätze. Sie sorgen etwa für die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter. Durch die Automatisierung sind wir zum Beispiel in der Lage, viel günstiger zu produzieren als bisher – und das bedeutet, dass Arbeitsplätze aus dem Ausland zurückverlagert werden können und hier wieder ganz neue Möglichkeiten entstehen. Leibinger Wirtschaftlicher Erfolg schafft Werte. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass jeder an diesem Erfolg teilhat. Das gelingt in Deutschland ausgesprochen gut, viel besser als in Russland oder China. Wenn wir uns der Entwicklung verweigern, dann gibt es weniger Wohlstand. Dann haben alle weniger.