31 russische Biathleten werden im McLaren-Report mit Doping in Verbindung gebracht. Foto: firo

Es gibt keinen Zweifel daran, dass im russischen Sport konsequent gedopt wurde. Offen ist, welche Konsequenzen dies haben wird. Seit dem zweiten McLaren-Report ist kaum etwas passiert – was viele Experten verzweifeln lässt.

Stuttgart - Richard McLaren hat geliefert. 1166 Dokumente, darunter Fotos, forensische Berichte, E-Mails, Zeugenaussagen. Aus Sicht des Sonderermittlers der Welt-Antidopingagentur (Wada) „unzweifelhafte Fakten“ für systematisches Doping in Russland. 1000 Athleten sollen betrogen haben, darunter 26 Medaillengewinner der Olympischen Spiele in London (14) und Sotschi (12). Veröffentlicht hat McLaren seinen zweiten Report am 9. Dezember. Danach wurden zehn russische Athleten aus dem Langlauf, Biathlon und Skeleton vorläufig suspendiert. Doch nicht nur Franz Steinle, Präsident des Deutschen Skiverbandes (DSV), geht die Aufarbeitung des russischen Dopingskandals viel zu langsam: „Man muss zwar differenzieren zwischen Fakten und Verdachtsmomenten, aber das kann man nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.“

„Die Glaubwürdigkeit des gesamten Sports steht auf dem Spiel“

Auch Clemens Prokop beäugt mit Argwohn, wie mit den Enthüllungen aus dem McLaren-Report umgegangen wird. „Die Glaubwürdigkeit des gesamten Sports steht auf dem Spiel, und die wird nicht durch die eine oder andere sporadische Aktion wiedergewonnen“, meint der Chef der deutschen Leichtathleten. „Ich vermisse radikale Konsequenzen.“ So wie sie der Leichtathletik-Weltverband 2016 mit dem Ausschluss der Russen von Olympia und der EM gezogen hat. Der Bann gilt noch immer, ein Ende ist nicht in Sicht. Prokop meint mit Blick auf die nächste WM im August in London: „Ich gehe fest davon aus, dass Russland als Nation nicht an dieser Weltmeisterschaft teilnehmen wird.“

In anderen Verbänden scheint ein kompletter Ausschluss der Russen kein Thema zu sein. Dort tut man sich schon schwer damit, verdächtige Athleten zu suspendieren. Zum Beispiel im Biathlon. 31 russische Skijäger waren laut McLaren Teil des Dopingsystems, für 29 von ihnen blieb dies bislang ohne Folgen – obwohl sie zum Teil aktuell im Weltcup unterwegs sein sollen. Sportlern anderer Nationen missfällt das derart, dass mehr als 170 von ihnen den Weltverband (IBU) nun in einem Brief aufgefordert haben, endlich konsequenter vorzugehen.

Den Verbänden fehlt es an eindeutigen Belegen für Doping

Die Antwort dürfte ähnlich ausfallen wie jene, die der Bob- und Skeleton-Weltverband (IBSF) auf die Frage gegeben hat, warum das vorübergehend suspendierte russische Quartett am Wochenende in Winterberg schon wieder starten durfte: aus Mangel an Beweisen. Oder, um es in den Worten von IBU-Chef Anders Besseberg zu sagen: „Wir können nicht einfach jemanden sperren, wenn wir nicht genügend eindeutige Belege für Doping haben.“

Eine Tatsache? Oder nur der Versuch, das Problem auszusitzen? „Es ist wie immer“, sagt der Antidopingexperte Fritz Sörgel, „die Verbände haben kein Interesse, Dopingvorwürfe aufzuarbeiten.“ Das gibt es, davon ist auch Rechtsanwalt Michael Lehner überzeugt. Doch er sieht auch die andere Seite: „Viele Verbände sind mit dem Thema Doping heillos überfordert. Dort sitzen Funktionäre, keine Staatsanwälte.“

Dazu kommt, dass sich die Strategie des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) seit Rio 2016 nicht verändert hat. Weiter wird nicht das russische System verantwortlich gemacht, sondern der einzelne Athlet – das Problem der Beweisführung aber überlässt man den Fachverbänden.

Kratzspuren an etlichen Dopingproben von Sotschi

Laut McLaren fanden sich an etlichen Dopingproben russischer Athleten, die 2014 in Sotschi genommen wurden, Kratzspuren. Ein klarer Hinweis darauf, dass der Geheimdienst diese Glasbehälter manipuliert hat, um – logisch – Doping zu vertuschen. Andererseits gibt es nun Athleten, die strikt leugnen, jemals betrogen zu haben, von denen kein positiver Test vorliegt und bei denen auch eine Nachkontrolle (des manipulierten Urins) nichts bringt. „Die Verantwortung des Athleten endet in dem Moment, in dem seine Dopingprobe versiegelt wird“, sagt Lehner, „Kratzer an einem Glas oder ein beschädigter Behälter? Das reicht als Dopingbeweis nicht aus. Da braucht es schon weitere Indizien, wenn auch nicht mehr sonderlich viele.“

Weil offen ist, ob diese noch zu finden sind, herrscht in einem Punkt Einmütigkeit zwischen Funktionär Prokop, Anwalt Lehner, Pharmakologe Sörgel und Andrea Gotzmann, der Chefin der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada): Der Weg muss ein anderer sein. Ein viel konsequenterer.

„Es war ein fundamentaler Fehler des IOC, die Russen nicht von den Sommerspielen in Rio auszuschließen“, sagt Prokop, und er fordert, Versäumtes endlich nachzuholen: „Die IOC-Charta ermöglicht es, den russischen Sport grundsätzlich auszuschließen. Wenn das IOC dies jetzt nicht tut, nachdem klar ist, dass 1000 russische Athleten gedopt waren, dann wird der Sport seine Glaubwürdigkeit nie wieder zurückgewinnen.“ Auch aus Lehners Sicht gibt es keine andere Alternative: „Natürlich würde es wohl auch einige Unschuldige treffen. Trotzdem muss Russland für die Winterspiele 2018 gesperrt werden.“ Sörgel kann da nur zustimmen: „Das IOC muss mit dem Olympia-Ausschluss von Russland ein Exempel statuieren.“

Unbefristeter Ausschluss von Russland wird verlangt

Das deckt sich mit der Meinung von Gotzmann. Sie hat mit ihren Kollegen aus 18 anderen (westlichen) Antidopingagenturen den unbefristeten Ausschluss Russlands von allen internationalen Wettbewerben verlangt: „Die Sanktionen müssen so lange in Kraft bleiben, bis der russische Sport glaubhafte Antidopingmaßnahmen etabliert hat. Dazu gehört auch ein nachhaltiger Bewusstseinswandel.“

Von dem man in Russland allerdings noch ein gutes Stück entfernt ist. Vize-Premierminister Witali Mutko („Der russische Sport ist einer der saubersten der Welt“) forderte die Antidopingagenturen umgehend auf, sich nicht einzumischen: „Sie sollen ihre Urinproben einsammeln und sich aus der Politik raushalten.“