US-Präsident Donald Trump bei einem Auftritt vor Anhängern in El Paso. Texas. Foto: AP

Mit seiner Notstanderklärung – ohne echte Not – attackiert der übergriffige US-Präsident Donald Trump das Fundament der US-Demokratie, meint unser Kommentator Michael Weißenborn.

Stuttgart/Washington - Am Morgen nach der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA versammelte Eric Schneiderman, damals Justizminister im Staat New York, seine engsten Vertrauten zum „Kriegsrat“. Wie könnte eine juristische Verteidigung gegen all die Angriffe auf den Rechtsstaat aussehen, wollte er von seinen Top-Anwälten wissen, die Trump im Wahlkampf seinen Anhängern versprochen hatte – von der Einwanderungsfrage bis zum Verbraucherschutz. Schneiderman verstand früh, wie wenig sich Trump an irgendwelche gesetzlichen oder moralischen Grenzen gebunden fühlt.

Mehr als zwei Jahre später ist aus der Furcht vor einem Präsidenten außer Rand und Band Gewissheit geworden: Durcheinander, Chaos und permanente Verstöße gegen demokratische Normen und Institutionen sind bei Trump ein Herrschaftsmuster. Jüngstes Beispiel: Weil er politisch nicht mehr anders kann, als in einen Haushaltskompromiss einzuwilligen, der ihm einige Milliarden für den Bau „seiner“ Mauer an der Grenze zu Mexiko vorenthält, ruft er mal eben den nationalen Notstand aus, der gar nicht existiert: „Ich habe das absolute Recht zum nationalen Notstand“, hatte Trump dazu vor vier Wochen getönt.

„Imperiale Präsidentschaft“

Vor mehr als 40 Jahren schrieb der Historiker Arthur Schlesinger seinen Klassiker über die „imperiale Präsidentschaft“, in dem er vor einer Selbstermächtigung der Exekutive gegenüber der gesetzgebenden Gewalt, dem Kongress, warnte. Trump hat diesen historischen Trend nicht erfunden, aber er treibt ihn auf neue schwindelerregende Höhen. Denn er hebelt das Königsrecht des Parlaments – das Haushaltsrecht – aus, nur weil ihm eine Entscheidung des verfassungsmäßigen Gegenspielers nicht passt.

Sollte das Schule machen, sorgen sich sich sogar einige Republikaner, wäre das ein schwerer Schlag gegen die die 250 Jahre alte Gewaltenteilung. Es ist auch ein riskanter Präzedenzfall: Künftige demokratische Präsidenten könnten Trumps Negativbeispiel folgen. Gut, dass sich die Gerichte der kommenden Klagen gegen Trumps Notstand annehmen werden. Das wird aber dauern.

Trump und sein Team wissen das natürlich. Doch sie legen es darauf an, weil sie keine andere Chance mehr sehen, vor ihren Anhängern die Niederlage im Clinch mit dem Kongress um die Grenzbefestigung zu Mexiko zu kaschieren. Trump legt also die Axt an die altehrwürdige US-Verfassung – aus kurzfristigen politischen Gründen.

Verfassungsrechtliche No-Go-Zonen

Derweil zieht die neue demokratische Mehrheit im Abgeordnetenhaus mit ihren Untersuchungen die Daumenschrauben weiter an. Früher oder später schließt auch US-Sonderermittler Robert Mueller seine Ermittlungen über Verbindungen zwischen Russland und Trumps Wahlkampfteam ab. Was aber, wenn Mueller ein Mitglied von Trumps Familie anklagt? Oder ein Untersuchungsausschuss ans Tageslicht fördert, dass die Trump Organization russische Gelder gewaschen hat? Wird der Präsident dann noch mehr um sich schlagen, seinen Justizminister anweisen, die Ermittlungen zu stoppen und Verurteilte begnadigen? Alles verfassungsrechtliche No-Go-Zonen.

Die Republikaner bleiben dem Präsidenten bei einigem Grummeln auf Gedeih und Verderb verbunden. Die demokratischen Opposition aber muss Trump auf die Finger schauen, sich den US-Bürgern als regierungsfähige Alternative präsentieren und trotzdem auf die Republikaner zugehen, um den Kongress gegen einen übergriffigen Präsidenten zu verteidigen. Keine rosigen Aussichten für Amerika und die Welt. Aber die einzigen, die es gibt.

michael.weissenborn@stuttgarter-nachrichten.de