Traute Lafrenz-Page - auch sie gehörte zur Widerstandsbewegung der Weißen Rose gegen den Nationalsozialismus Foto: Film

Der studentische Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird oft nur mit den Geschwistern Scholl in Verbindung gebracht. Katrin Seybold zeigt in ihrer Filmdokumentation „Die Widerständigen – also machen wir das weiter...“, dass die beiden nicht allein waren.

Traute Lafrenz-Page, Hans Konrad Leipelt, Marie-Luise Schultze-Jahn: Diese Namen kennt in Deutschland so gut wie niemand. Dabei hätten die drei – wie so viele andere neben ihnen – sehr wohl einen Platz verdient in der deutschen Erinnerungskultur. Der Erinnerungskultur einer Gesellschaft, die an diesem Freitag, 8. Mai, den 70. Jahrestag ihrer Befreiung von den Schrecken des Nationalsozialismus feiert.

Lafrenz-Page, Leipelt und Schultze-Jahn lehnten sich auf gegen die Schrecken: Sie waren Teil einer Gruppe, welche die aufrührerischen Flugblätter der Gruppe Weiße Rose auch nach deren grausamer Zerschlagung weiter verbreitete. Die nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst am 22. Februar 1943 weiter ihr Leben für die höhere Sache riskierte. In München, Hamburg und Berlin, aber auch in Stuttgart und in anderen Städten Deutschlands.

Spätes Denkmal mit potenzieller Aufklärungskraft

Die Dokumentation „Die Widerständigen – also machen wir das weiter . . .“ setzt ihnen nun ein Denkmal. Es ist ein spätes Denkmal, doch das ändert nichts an seiner Bedeutung, seiner potenziellen Aufklärungskraft für spätere Generationen. „Wenn die Menschen tot sind, erzählt niemand mehr. Dann haben wir nur noch die Gestapo-Protokolle, die Dokumente der Täter. Das geht doch nicht“, fasst Regisseurin Katrin Seybold die Intention hinter ihrem langjährigen Filmprojekt zusammen.

„Die Widerständigen – also machen wir das weiter . . .“ ist der Nachfolger von Seybolds 2008 erschienenem Dokumentarfilm „Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose“. Die Arbeiten an dem Fortsetzungsfilm begann die auch in Stuttgart aufgewachsene Regisseurin im Jahr 2011. Nach ihrem plötzlichen Tod am 27. Juni 2012 setzte ihre langjährige Freundin Ula Stöckl das Projekt fort.

In Interviews, die Seybold zwischen den Jahren 2000 und 2004 führte, lässt Stöckl neun Zeitzeugen zu Wort kommen. Lässt sie berichten von der Verbreitung und der Vervielfältigung der Flugblätter, von Verhaftungen, Prozessen und Verhören. Keine Musik unterbricht ihre Schilderungen, die Kamera ist allein auf die Gesichter der Erzählenden gerichtet. So schafft Stöckl ein intimes Porträt jener Menschen, die sich als junge Studenten dazu entschlossen, den Unrechtsstaat, in dem sie lebten, nicht länger hinzunehmen.

„Mit 18 glaubt man, es kann einem nichts passieren“

Für die Filmemacherin aus Ulm sind die Aussagen der Zeitzeugen ein bleibendes Zeugnis ziviler Courage: „Mut brauchten sie schon für die aus heutiger Sicht banalsten Tätigkeiten, wie etwa das Kaufen von ungewöhnlich vielen Briefumschlägen und Briefmarken zur Versendung abgeschriebener Flugblätter.“

Diesen Mut nahmen die jungen Studenten selbst oftmals gar nicht als solchen wahr. „Mit 18 glaubt man, es kann einem nichts passieren“, erinnert sich Karin Friedrich, die in Berlin Flugblätter verteilte und sie mit ihrer eigenen Adresse auf dem Briefumschlag verschickte.

Mut, der Leben kostet

Ein Teil der Gruppe war sich aber sehr wohl des Risikos bewusst, dem sie sich aussetzten. Nach der Enthauptung von Hans und Sophie Scholl am 22. Februar 1943 in München entschieden sich die Chemie-Studenten Marie-Luise Schultze-Jahn und Hans Konrad Leipelt dazu, das Erbe der Weißen Rose weiterzutragen. „Wir haben uns gesagt: Keiner macht das jetzt weiter. Weil die das ja gemacht haben. Also machen wir das weiter“, berichtet Schultze-Jahn.

Die damals 25-Jährige hatte Glück, ihr zielstrebiges Handeln zu überleben. Andere wie Hans Konrad Leipelt waren nicht so glücklich. Seine Hinrichtung am 29. Januar 1945 war die letzte Vollstreckung eines Todesurteils im Zusammenhang mit der Weißen Rose.

Ein einmaliges Projekt

Inzwischen sind die meisten der damaligen Studenten tot. Auch das mache die Dokumentation Stöckls und Seybolds so wertvoll, erklärt Angela Bottin, die als zeitgeschichtliche Beraterin an dem Film mitgearbeitet hat: „Einen Dokumentarfilm mit dieser Thematik und Zeitzeugen gab es vorher nicht. Das Projekt ist etwas Einmaliges.“

Bottin beschäftigt sich seit den 1980er Jahren schwerpunktmäßig mit dem Hamburger Umfeld der Weißen Rose. Ihre Ausstellung „Enge Zeit“ von 1991 brachte sie mit Seybold zusammen.

Vor deren letztem Werk hat sie großen Respekt. „Mit einer künstlerischen Herangehensweise, die nicht dem Mainstream entspricht, versucht Katrin Seybold, die Menschen der Folgegenerationen zu erreichen. Ihr Film ist kein Spielfilm. "Man muss sich auf ihn einlassen“, so Bottin. Doch gerade diese Reduktion „nur auf den Menschen, der sich öffnet“, sei es, welche die Authentizität des Werks um ein Vielfaches erhöhe.

Auch Seybolds Arbeit mit den Zeitzeugen hält Bottin für etwas ganz Besonderes: „Seybold hat es geschafft, das gegenseitige Vertrauen aufzubauen, das es braucht, um ein erschütterndes Lebensthema zu besprechen.“ Viele der Zeitzeugen hätten die Erlebnisse aus der Nazi-Zeit nie losgelassen. Einige hätten jedoch erst bei den Arbeiten zu dem Film zum ersten Mal von ihnen berichtet.

„Die Täter von damals wurden viel zu schnell wieder in die Gesellschaft integriert. Man wusste nie, wen man gerade vor sich hatte“, erklärt Bottin das lange Schweigen der Widerständigen. Mit der Veröffentlichung des Dokumentarfilms wurde dieses Schweigen nun gebrochen.

„Die Widerständigen – also machen wir das weiter . . .“ (Basis-Film Verleih, 87 Minuten) läuft seit dem 7. Mai in vielen Kinos. In Stuttgart wird die Dokumentation erst ab Juni gezeigt. Ein genauer Starttermin steht noch nicht fest.