Chris (rechts) und sein Kumpel Alex unterwegs in Berlin Foto: privat

Die Filmemacherin Lilith Kugler kommt zur Vorführung ihrer mehrfach preisgekrönten Langzeitdokumentation „Hausnummer Null“ nach Kernen-Stetten. Mit der Doku verfolgt sie ein bestimmtes Ziel.

Zweieinhalb Jahre lang haben die Filmemacherin Lilith Kugler und der Kameramann Stephan Vogt den obdachlosen und drogenabhängigen Chris begleitet. Die Regisseurin, aufgewachsen in Kernen-Stetten und wohnhaft in Berlin, zeigt in „Hausnummer Null“ das Leben auf der Straße in schonungslosen, unkommentierten und filmästhetisch aufbereiteten Bildern. Am Montag, 23. September, 19 Uhr, zeigen Allmende Stetten, das Kommunale Kino Kernen und der Arbeitskreis Solidarische Welt Stetten den mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm in der Stettener Glockenkelter. Lilith Kugler wird mit dabei sein.

 

„Wir haben immer gesagt, wir sind Nachbarn“

Auf einer Wand, die die Kamera einfängt, steht in schnoddrigem Berlinerisch „Denk ma an die Liebe“. Rund um den S-Bahnhof Friedenau, dem Viertel, in dem auch Lilith Kugler zuhause ist, sind das nicht nur Worte. Direkt neben dem Ausgang Rembrandtstraße habe Chris seinen Schlafplatz gehabt, erzählt die Regisseurin. „Wir haben immer gesagt, wir sind Nachbarn, deshalb heißt der Film auch ‚Hausnummer Null’.“ Gleich als sie nach Berlin gekommen sei, sei sie quasi über Chris gestolpert, der Mitte 30 ist, einen Sohn hat, den er aber nie sieht und viele Jahre auf der Straße gelebt hat. „Wir haben uns von Anfang an verstanden und viel gelacht “, sagt die 33-Jährige, und dass die Begegnung mit Chris überhaupt erst zu dem Film inspiriert habe. Zunächst habe sie ihn eigentlich nur mal einen Tag mit der Kamera begleiten wollen. Am Ende seien es 70 Drehtage geworden. „Es hat sich einfach entwickelt.“

Die Filmemacherin Lilith Kugler Foto: privat

Es gebe drei Formen des Umgangs mit den Obdachlosen, habe Chris einmal zu ihr gesagt, erzählt Lilith Kugler. „Entweder ignorieren sie einen, hassen einen oder haben Mitgefühl.“ Die meisten der Nachbarn rund um den S-Bahnhof Friedenau gehören zur mitfühlenden Kategorie. „Da war Mila, die Chris und seinem Kumpel Alex fast jeden Tag warmes Essen gebracht hat. Nachts um 2 Uhr im Schneegestöber ist sie mit Tee und Leberkäs gekommen. Ein anderer hat ihm beim ganzen Papierkram geholfen.“ Manchmal sei Chris die fürsorgliche und gut gemeinte Nachbarschaftshilfe fast schon lästig gewesen, sagt die Filmemacherin. „Etwa, wenn ihm jemand mal wieder einen neuen Schlafsack gebracht hat. Das sei gut gemeint, er brauche ihn aber nicht, hat er erklärt.“ Er wolle nicht, dass sich andere für ihn aufopfern, sagt Chris im Film. Er habe „dolle Angst, alle zu enttäuschen“, erzählt Kumpel Alex.

Erklärungen, warum Chris auf der Straße lebt, liefert der Film nicht. Das Thema werde nur angerissen, sagt Lilith Kugler. „Etwa als wir ihn an Weihnachten beim Besuch bei seiner Mutter begleitet haben.“ Es gehe nicht um die Schuldfrage, und warum die Situation so ist, wie sie eben ist. „Wir zeigen, wie Chris und Alex mit ihrem Leben umgehen und die Umwelt mit ihnen.“ Der Film endet hoffnungsvoll, denn Chris – und auch Alex – lebt nicht mehr auf der Straße. Dass ein junger Mann, der nirgends hinpasste, doch noch seinen Platz in der Gesellschaft findet, auch das will Lilith Kugler zeigen.

Die Doku kommt auch ins Fernsehen

Wie in ihrem Erstlingswerk „La Maladie du Démon“ über Menschen mit psychischen Erkrankungen in Burkina Faso hat Lilith Kugler in „Hausnummer Null“ den Fokus auf den Rand der Gesellschaft gerichtet. Die Langzeit-Doku, entstanden in Kooperation mit der ZDF-Reihe „Kleines Fernsehspiel“ und dort am 21. Oktober, 00.40 Uhr zu sehen, wurde beim 45. Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken im Januar uraufgeführt. Sie hat beim „Achtung Berlin“-Festival den Preis der Ökumenischen Jury und beim „DOC.Fest“ in München den Student Award gewonnen. Am 11. September, dem „Tag der wohnungslosen Menschen“, wurde „Hausnummer Null“ bei einer SPD-Veranstaltung im Bundestag gezeigt. Bei einer Open-Air-Vorführung für die Nachbarschaft am Bahnhof Friedenau kam der SPD-Abgeordnete Kevin Kühnert vorbei. „Friedenau gehört zu seinem Wahlbezirk“, sagt Lilith Kugler.