Vier der dreizehn Protagonisten, deren Lebensweg die Dokudrama-Serie „Krieg der Träume“ erzählt. Foto: SWR

Mit der Dokudrama-Serie „Krieg der Träume“ von Arte und ARD zeigen die Öffentlich-Rechtlichen, zu welchen Großleistungen sie im Namen des Bildungsauftrags in der Lage sind. Das Mammutprojekt erhellt die Zeit von 1918 bis 1939 in dreizehn Lebenswegen. Die Stuttgarter Firma Mackevision trägt Effekte in Kinoqualität bei.

Stuttgart - Ein Matrose stürzt ins Meer, tote Kameraden treiben neben ihm im Trüben. Als er auftaucht, sieht er sich von einem Kriegsinferno umgeben. Er beginnt gellend zu schreien – und erwacht in seiner Hängematte auf einem Minensuchboot des Ersten Weltkriegs. „Ich will nicht verrecken wie Millionen anderer“, vertraut der Matrose, gespielt von Jan Krauter, seine Ängste dem Zuschauer an, „ich will leben!“ Mit diesem Albtraum von Hans Beimler beginnt die Dokudrama-Serie „Krieg der Träume“. Der Marine-Obermaat, der sich 1918 am Kieler Matrosenaufstand beteiligen, im Nationalsozialismus in den Widerstand gehen und als Brigadist im Spanischen Bürgerkrieg fallen wird, ist einer von 13 Protagonisten, deren Geschichte die Serie erzählt, basierend auf deren Tagebüchern, Briefen, Memoiren, Biografien. Wie schon bei der 2014 auf Arte und im Ersten ausgestrahlten Produktion „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ haben der Regisseur und Co-Autor Jan Peter und der Produzent Gunnar Dedio von Looksfilm die Aufzeichnungen von historischen Personen in Spielszenen übersetzt und mit dokumentarischem Material kombiniert, weitere Zeitzeugen-Stimmen werden eingeflochten.

Ging es bei der mehrfach preisgekrönten Auftaktstaffel darum, ein Mosaik der Kriegsjahre 1914 bis 1918 zusammenzusetzen, will man nun „eine Mentalitätsgeschichte der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen“ zeichnen – einer bislang im Historien-TV eher unterbelichteten Zwischenzeit. Wie konnte es zwischen 1918 und 1939 dazu kommen, dass ein neuer Krieg möglich wurde?

Wie der Katholik Höß zum Auschwitz-Kommandant wird

Mit der Kapitulation Deutschlands liegt die alte Welt in Scherben. Ideen, Ideale, Ideologien beginnen, um die Vorherrschaft zu ringen, und es ist eben nicht nur der Faschismus, der um Herzen und Köpfe wirbt, wie das Format zeigt. Das Regie- und Autorenteam um Jan Peters macht den abstrakten Kampf der Ideenströmungen in den privaten Lebenswegen der Figuren überaus plastisch, greift Schicksale heraus, die typisch für die Zeit waren. Der Zuschauer trifft auf die russische Soldatin Marina Yurlova (Natalia Witmer), die erst gegen den Bolschewismus kämpft, später in Amerika ihr Glück sucht; er lernt die schwedische Frauenrechtlerin und Sexualaufklärerin Elise Ottesen (Rebecka Hemse) kennen, staunt, als sich der Vietnamese Nguyen Ai Quoc (Alexandre Nguyen) als späterer Kommunismusführer Ho Chi Minh erweist. Beklemmend ist es, mitzuerleben, wie der Katholik Rudolf Höß (Joel Basman) sich zu dem Mann entwickelt, der 1940 Auschwitz kommandieren wird.

Das Mammutprojekt, an dem mehr als dreißig internationale Partner und Förderer beteiligt sind, ist der Beitrag von Arte und ARD zum 100. Weltkriegs-Jahrestag. „Wir zeigen die Historie aus den unterschiedlichen nationalen Sichtweisen“, betont Dedio – man kann und soll die Produktion als Manifest für die heute in die Krise geratene europäische Idee verstehen.

Unglaublicher Recherche-Kraftakt

Aus dem Krieg der Ideologien eine packende filmische Erzählung zu machen, das ist der Anspruch – es gelingt weitgehend, ihm gerecht zu werden. Die schnelle Montagetechnik und das Prinzip des horizontalen Erzählens fordern die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers, ein ordnender Geschichtsdeuter aus dem Off fehlt. Peters springt atemlos zwischen Ländern, Settings, Figuren hin und her, treibt deren Geschichte Häppchen für Häppchen voran. Das Archivmaterial, das in einem unglaublichen Recherche-Kraftakt aus 75 Archiven herausgefiltert wurde, fügt sich nahtlos in die Spielszenen ein, verdoppelt sie häufig– eine Perfektion, die indes wenig Mehrwert hat.

Ausstattung und visuelle Hochwertigkeit hingegen beeindrucken. Gleich die Auftakt-Albtraumszene mit Jan Krauter ist großes Kino. Der Schauspieler ist dafür in einen stillen See in Luxemburg gesprungen; die flammenlodernde Schlacht oberhalb der Wasserlinie stammt aus dem Computer: Die Effekte hat die Stuttgarter Firma Mackevisionbesorgt. Ihre computergenerierten Bilder tragen entscheidend zur Kinoästhetik bei. Bei einem Rundgang durch die Mackevision-Räume auf dem Bosch-Areal erklärt der Projektleiter Francesco Faranna die Arbeitsschritte und kann verblüffende Vorher-Nachher-Effekte vorführen. In Folge eins steht Charles Edward Montague, britischer Hauptmann der Militärzensur, im Moment des Kriegsendes auf einer Anhöhe in Belgien und blickt auf eine ausgebombte Stadt. Beim Dreh lag unter ihm eine friedliche Stadtansicht. Die VFX-Experten haben am Rechner eine apokalyptische Trümmerlandschaft kreiert. Auch der kalte Atem, die Sonne, die über Montagues Schulter blitzt – alles „Virtual Reality“-Details made in Stuttgart.

Es ist ein enormer Aufwand für eine Fernsehproduktion, die vorführt, zu welchen Großleistungen die Öffentlich-Rechtlichen auch im Namen ihres Bildungsauftrags in der Lage sind. Doch warum dann diese Ausstrahlungsstrategie? Arte zeigte acht 52-minütige Folgen an drei Tagen ab 20.15 Uhr. Die Neunzigminütiger, die die ARD ab Montag an drei Abenden ausstrahlt, sollen bekömmlicher sein für ein breiteres Publikum. Dem steht die Sendezeit entgegen: 22.45 Uhr. Im besten Fall ist das TV-Format sowieso nur der Einstieg für ein Weiterforschen im Netz, wo ein riesiges Infopaket bereit steht. Und in der Arte-Mediathek kann man noch bis 22. Oktober die achtteilige Langfassung sehen.