Atilla Özer in seinem Friseursalon, vor dem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Juni 2004 das Fahrrad mit der Nagelbombe deponierten. Foto: Realfiction

Im Juni 2004 explodiert in Köln eine Bombe. Wie alle NSU-Opfer gelten auch die Bewohner der Keupstraße als tatverdächtig. Andreas Maus’ Film „Der Kuaför aus der Keupstraße“ erzählt von ihnen.

Ludwigsburg – Wie alle Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) galten auch die Bewohner der Kölner Keupstraße für die Ermittler als mögliche Täter. Andreas Maus hat die Opfer des Nagelbombenanschlags besucht. Als Haus des Dokumentarfilms-Premiere (DOK-Premiere) wird sein Film „Der Kuaför aus der Keupstraße“ an diesem Mittwoch in Ludwigsburg gezeigt.

Herr Maus, halten Sie den Nagelbombenanschlag von Köln von 2004 nach Ihren Recherchen für aufgeklärt?
Nein. Es steht immer noch die Frage im Raum, inwiefern in Köln und an anderen Orten ein Netzwerk von NSU-Unterstützern bestand. Für viele ist klar, dass die Vorbereitung und der Bau der Bombe, also die ganze Logistik, von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht alleine hätte durchgeführt werden können. Es gibt also noch viele offene Fragen.
Was war für sie ausschlaggebend, einen Film über den Kuaför der Keupstraße, also einen Friseur und seine Kunden zu machen?
Es hing mit Recherchen über den NSU zusammen, die ich für das ARD-Politmagazin Monitor gemacht habe. Im Rahmen dieser Recherchen gab es viel Material, das so interessant war und das gleichzeitig aber auch dramaturgisch und visuell eine andere Art des Erzählens forderte. Es geht darin nicht vorrangig um Investigatives, sondern auch darum, wie die Polizei vorgegangen ist und wie die Opfer zu Tätern gemacht worden sind.
Das Nagelbombenattentat war laut, Ihr Film wirkt total leise. Haben Sie diesen dramaturgischen Kontrast bewusst gewählt?
Der ergibt sich. Wenn man die Bombe mal ausblendet, dann hat sich für die meisten Opfer der Keupstraße eine Situation ergeben, dass sie in den Jahren nach dem Anschlag wie in einem Vakuum gelebt haben. Sie lebten in einem Gefängnis, ohne eingesperrt zu sein. Sie lebten permanent unter Verdacht und waren nicht mehr Teil der Gesellschaft, weil man sie in die Ecke der Täter gedrängt hat. Das hat sich sieben Jahre wie eine Glocke über die Straße und ihre Menschen gelegt. Das hat bei vielen Menschen Depressionen oder Traumata ausgelöst. Das ist eine Stille, die gar nicht dem Bild entspricht, das man von einer türkischen Community hat.
Kannten Sie die Menschen, die sie zu Wort kommen lassen, schon vor Ihrem Film?
Nein. Ich habe sie durch die Recherchen und durch die Akten kennengelernt. Im Sound der Akten steckte schon eine Geschichte. Für mich ergab sich daraus die Frage, wie ich die Filmgeschichte erzähle. Ich bin dann an die Gruppe der Männer in dem Friseurladen – die beiden Friseure und ihre Besucher – herangetreten, die am Tag im Moment des Anschlags im Laden waren. An dem Friseurladen wurde ja das Fahrrad mit der Bombe abgestellt.