Birtat ist eine der größten Dönerfabriken Deutschlands und verkauft europaweit seine Spieße. Am Mittwoch legten Mitarbeiter in Murr (Kreis Ludwigsburg) vier Stunden die Arbeit nieder.
Es wirkt fast wie ein kleines Straßenfest: Aus einer Box kommen türkische Volkslieder, fünf Männer halten sich an den Händen und bewegen sich tanzend über die Straße. Immer wieder wechselt die Musik und die Sprache der Lieder. Wären da nicht die Warnwesten, der rote Rauch von Bengalos, der über den nassen Asphalt zieht, und die Trillerpfeifen. Im Industriegebiet von Murr haben sich Mitarbeiter versammelt, die für diesen ungemütlichen Mittwochmorgen zwar erstaunlich viel Lebensfreude ausstrahlen – aber ein ernstes Anliegen haben.
Birtat verkauft seine Dönerspieße aus Kalb, Rind, Pute und Hähnchen jeden Monat an 13 Millionen Endkunden in Deutschland und im europäischen Ausland. Bei einem Termin Ende 2023 mit unserer Zeitung fielen Zahlen: 200 Millionen Euro Umsatz macht die Aktiengesellschaft mit allen Standorten pro Jahr. Birtat ist eine der größten Dönerfabriken Deutschlands – und dennoch erzählen die Mitarbeiter, dass sie sich einen Besuch beim Dönerladen mit ihrer Familie kaum leisten können.
Birtat-Mitarbeiter fordern tarifliche Regelung
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat die Beschäftigten deshalb für Donnerstagmorgen zu einem vierstündigen Warnstreik aufgerufen. Die Forderung: eine tarifliche Regelung und ein Einstiegsgehalt von 3000 Euro brutto. Die ersten zwei Verhandlungsrunden blieben erfolglos, am Dienstag sollen sich die Parteien erneut treffen. „Wenn wir einen Tarifvertrag durchbringen, wäre es der erste in einer Dönerfabrik“, sagt Magdalena Krüger, Geschäftsführerin der NGG-Region Stuttgart und Verhandlungsführerin. Bislang würden individuelles Verhandlungsgeschick und persönliche Kontakte über das Gehalt bestimmen, „das ist weder gerecht noch transparent“.
Hört man sich bei den Mitarbeitenden um, verdienen viele zwischen 2300 und 3300 Euro brutto. Zur Einordnung: Die Lohnuntergrenze in Deutschland liegt bei 2161 Euro brutto im Monat. Verändert habe sich das Gehalt über die Jahre kaum, berichten Mitarbeiter. „Ich lebe in Stuttgart, habe eine Familie, wie soll ich so überleben“, fragt sich einer von ihnen. Im Unternehmen herrsche ein Kommen und Gehen, doch unter den Streikenden finden sich auch einige, die seit Jahrzehnten bei Birtat Dönerfleisch schichten. „Mir steht es bis hier“, sagt einer von ihnen und hält seine Handfläche an den Nasenrücken. „Früher hat der Döner vier Euro gekostet, heute acht – und wir verdienen trotzdem nicht mehr“, fasst einer von ihnen zusammen.
Cihan Karaman, Sprecher von Birtat, antwortet auf Anfrage unserer Zeitung, dass das Einstiegsgehalt bei 2600 Euro und damit für die Branche im oberen Lohnsegment liege. „Bei uns brauchen sie keinerlei Ausbildung und können innerhalb einer Woche hier arbeiten. Da können Sie sich vorstellen, dass wir keine 3000 Euro zahlen können“, so Karaman. Ältere Kollegen könnten etwas unter dem Einstiegsgehalt liegen, dieses Jahr habe man aufgrund der Verhandlungen keine Löhne anpassen können. Normalerweise passiere das im März automatisch.
Mehrere Mitarbeiter berichten von körperlichen Problemen: die Bandscheibe, Schulter, die Hände. Erst an diesem Morgen musste ein Rettungswagen angefordert werden. Einer von den wenigen Mitarbeitern, die nicht streiken, hat sich Erzählungen nach mit einem Messer geschnitten. Die Arbeit ist hart, die Raumtemperatur liege knapp oberhalb des Gefrierpunktes. Dazu seien die Dönerspieße bis zu 120 Kilogramm schwer, berichtet Magdalena Krüger.
Verhandlungstermin verschoben
Sie hat erst am Tag zuvor erfahren, dass der Verhandlungstermin, der ursprünglich am Freitag stattfinden sollte, verschoben wird. Die Arbeitgeberseite habe einen neuen Anwalt beauftragt. Sie befürchte deshalb, dass sie in der kommenden Woche nicht an der gleichen Stelle weitermachen können. „Dann verzögert es sich und die Mitarbeiter haben es dringend nötig, dass sich etwas bewegt.“ Erst im September 2024 haben die Angestellten der Dönerfabrik einen Betriebsrat mit 90-prozentiger Wahlbeteiligung gewählt. Damals hatte der geschäftsführende Direktor Adem Isbir mitgeteilt, dass er die Gründung begrüße. „Wir versuchen, gut miteinander zusammenzuarbeiten“, sagte er. Die Löhne seien gut, die Arbeitsbedingungen auch. „Da werden sie nicht gleich anfangen zu streiken.“
Acht Monate später tanzen vor dem Tor türkische, kurdische, deutsche, rumänische und bulgarische Angestellte. Teilweise verstehen sie sich untereinander nicht und doch eint sie der gemeinsame Wunsch nach fairer Bezahlung. Um elf Uhr startet dann für die Mitarbeiter der Arbeitstag – auf den Döner muss am Donnerstag also wohl kein Kunde verzichten.