Der Berufskraftfahrer Frank Stockmann ist voll des Lobes über Doc-Stop Foto: factum/Granville

Fern der Heimat und plötzlich stechende Schmerzen: Was tun Fernfahrer in einer solchen Situation? Viele greifen ohne Diagnose einfach zur Tablette – und werden am Steuer womöglich zur Gefahr im Straßenverkehr. Hilfe bietet das Netzwerk DocStop, es soll europaweit ausgebaut werden.

Vaihingen/Enz - An diese Fahrt erinnert sich Frank Stockmann mit Schrecken. Der 43-Jährige ist ein routinierter Fernfahrer, seit fast 20 Jahren sitzt er hinter dem Steuer von Last- und Sattelzügen. Stockmann mag seinen Job: „Fahren ist schon Leidenschaft“, sagt er und nickt. Doch dann war da jene Fahrt in der Schweiz, und diese Hilflosigkeit: „Ich hab’ schon beim Laden gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, erinnert er sich.

Dennoch ignorierte er zunächst das ungute Gefühl – schließlich war die Nacht davor mal wieder kurz gewesen, vielleicht hatte er auch zu hastig gegessen – es würde sich alles geben. Stockmann fuhr also von Winterthur nach Basel und weiter über die Grenze auf die A 5 Richtung Freiburg. Doch inzwischen plagten ihn schrecklich Bauch- und Magenkrämpfe. An Weiterfahren war irgendwann nicht mehr zu denken. Stockmann brauchte einen Arzt. Doch wie sollte er irgendwo im Nirgendwo auf der Autobahn medizinische Hilfe finden? Wer würde ihn behandeln, ganz ohne Anmeldung und Termin?

In weiser Vorahnung hatte er die Nummer eingespeichert

Stockmann erinnerte sich: Er hatte einmal von DocStop gehört. In weiser Vorahnung hatte er die Servicenummer in sein Handy eingespeichert. Stockmann wusste sich keinen Rat mehr und wählte: 0 18 05 / 11 20 24. Diese ADAC-Truck-Service-Hotline ist rund um die Uhr besetzt. Eine freundliche Stimme fragte Stockmann, ob er es noch bis zum Autohof bei Herbolzheim schaffe. Das waren nur noch wenige Kilometer, Stockmann stimmte zu.

Am Autohof angekommen, stellte er den 40-Tonner ab und wurde schon erwartet. „Viele Rasthöfe machen bei DocStop mit“, weiß Frank Stockmann heute. Eine Mitarbeiterin fuhr ihn von dem Autohof aus sofort zu einem Allgemeinmediziner, den sie zuvor bereits verständigt hatte. „Das hat traumhaft funktioniert“, sagt Stockmann – die Erleichterung ist ihm immer noch anzumerken. Er musste erst gar nicht ins Wartezimmer, kam als Zweiter an die Reihe. „Der Arzt muss mitziehen und die Fahrer vorrangig behandeln, sonst funktioniert es nicht“, sagt er.

Der Arzt verordnete ein magenberuhigendes Mittel

Nach einer eingehenden Untersuchung verordnete der Arzt dem Fernfahrer ein magenberuhigendes Mittel und drei Stunden Pause. „Ich habe dann Tee getrunken, und langsam wurde es besser“, sagt Stockmann. Wieder einsatzbereit, gab er erneut dem Disponenten Bescheid und fuhr weiter zur nächsten Abladestelle im Schwarzwald. Am folgenden Tag war Stockmann schließlich zu Hause.

Sein Arbeitgeber, die Spedition Hauser in Vaihingen/Enz (Kreis Ludwigsburg), unterstützt DocStop. Denn das Pilotprojekt ist in Notfällen oft die einzige Anlaufstelle für die Fernfahrer. DocStop ist ein eingetragener Verein, gegründet wurde er 2007 von Rainer Bernickel, der früher bei der Autobahnpolizei beschäftigt war. Unterstützt wird DocStop von immer mehr bekannten Firmen wie bekannten Lkw-Herstellern, aber auch dem ADAC oder Versicherungen.

Außerdem vom Landesverkehrsministerium: „Eine Aufwertung des Berufes in der öffentlichen Wahrnehmung ist aus meiner Sicht der Schlüssel zur Lösung“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). DocStop organisiere schnelle und unbürokratische Hilfe. Rainer Bernickel lobt das Engagement des Landes: „Das Wirtschafts- und das Verkehrsministerium und der Landesverband der Transportunternehmer unterstützen uns vorbildlich.“

Bernickel ist viel unterwegs, um auf Messen im In- und Ausland für seine Idee DocStop zu werben. „Berufskraftfahrer können nicht eben mal links abbiegen, um zu einem Mediziner zu fahren“, sagt er. DocStop wurde als Netzwerk aus Ärzten und Krankenhäusern gegründet, die bereit sind, schnell medizinisch zu helfen. Gemeinsam mit der ADAC-Truck-Service-Hotline und vielen Raststätten und Autohöfen besorgt DocStop die Anschrift eines Arztes oder Krankenhauses an der Strecke des Anrufers. Der Service ist kostenlos. Die Behandlung durch den Arzt trägt wie üblich die Krankenversicherung des Fahrers, eine Mitgliedschaft ist nicht notwendig.

Das Netzwerk der teilnehmenden Ärzte wächst. Mittlerweile machen rund 700 Mediziner in Krankenhäusern und Praxen mit. Seit Anfang des Jahres registriert DocStop monatlich rund 400 Bus- und Lkw-Fahrer, die DocStop nutzen. Häufigste Ursachen sind Zahnschmerzen, Magen-Darm-Probleme, akute Kopfschmerzen und Rückenbeschwerden. All diese Symptome zählen die Mediziner zu den berufsspezifischen Krankheiten der Fernfahrer. Denn sie haben generell zu wenig Bewegung und durch den hohen Termindruck viel Stress.

Die Wertschätzung des Berufs ist in der Bevölkerung gering

Gleichzeitig, so Bernickel, sei die Wertschätzung des Berufs in der Bevölkerung sehr gering. Das weiß auch Frank Stockmann: „Wir werden nur als Verkehrshindernis gesehen – man wünscht sich schon mehr Respekt von den Autofahrern.“ Auf der Ost-West-Achse, der A 6, komme es täglich zu Lkw-Unfällen. Doch oft seien auch Autofahrer schuld, wenn der Sicherheitsabstand nicht ausreiche: „Wir werden oft geschnitten“, sagt Stockmann.

Dies alles zerrt an den Nerven. Dann kommt die Meldung des Systems: Pause einlegen. Doch wieder einmal sind die Parkplätze an den Rastanlagen bis auf die Standstreifen hinaus belegt.

Der Stress macht die Fahrer krank. Rainer Bernickel hat noch als Autobahnpolizist die ersten Fernfahrerstammtische ins Leben gerufen. Dort hat er von den Truckern gehört: „Wir fühlen uns medizinisch unterversorgt.“ Für ihn war dies der Anlass, DocStop zu gründen. Aus seiner Sicht führt diese Einrichtung auch zu mehr Sicherheit auf den Straßen. „Die Fahrer können ihren Zustand oft sehr schlecht einschätzen und stellen eine falsche Diagnose.“ So seien in einigen Fällen Herzbeschwerden erst vom Arzt als Verdacht auf einen Herzinfarkt erkannt worden. Um keine Zeit zu verlieren, bleiben viele Fahrer auch mit erhöhter Temperatur hinterm Steuer: „Bei Bautzen ist einer mit 40 Grad Fieber in die Leitplanke gefahren“, sagt Frank Stockmann.

DocStop hat sein Info-Blatt in 23 Sprachen verfasst

Weil immer mehr Kapitäne der Straße aus dem Ausland sind, hat DocStop sein Info-Blatt in 23 Sprachen verfasst. Niemand soll ausgeschlossen werden. Bernickels Ziel: DocStop europaweit ausbreiten. Österreich und Polen haben bereits eigene DocStop-Vereine, in Dänemark gibt es vier DocStop-Info-Punkte. Außerdem unterhält der Verein Kontakte nach Frankreich, Holland und Ungarn.

Die Ärzte und Krankenhäuser nehmen freiwillig und ohne vertragliche Basis an dem Projekt teil. Sie erklären sich lediglich bereit, auf den Zeitfaktor der Fernfahrer Rücksicht zu nehmen und sie so rasch wie möglich zu untersuchen. „Die anderen Patienten reagieren darauf größtenteils mit Verständnis“, so Bernickels Erfahrung.

Ein wesentliches Ziel des Vereins ist es, einen humanen Arbeitsplatz für die Männer und Frauen in den Führerhäusern zu schaffen. Dazu gehört auch ein Überraschungspaket an Weihnachten. Dann wird Frank Stockmann von seiner Frau Marion begleitet, die ebenfalls den Lkw-Führerschein hat. „Am zweiten Weihnachtsfeiertag starten wir morgens um zehn an der Raststätte Sindelfinger Wald“, sagt sie. Dann werden an mehreren Rastanlagen im Land Lebkuchen, Nikoläuse und kleine Geschenke an die Fahrer verteilt, die dort oft das ganze Weihnachtsfest über festsitzen.

Zu dem Paket gehört natürlich auch der Flyer von DocStop. „Viele können es gar nicht fassen, dass sie etwas bekommen, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen.“ Und manche können Aufmunterung gut gebrauchen: „Letztes Mal trafen wir einen jungen Fahrer aus Portugal, der zum ersten Mal das Weihnachtsfest nicht bei seiner Frau und den Kindern verbringen konnte.“