Dumm gelaufen für Verkehrsminister Dobrindt – die Maut ist gewiss nicht sein Projekt Foto: dpa/StN-Montage: Klos

Die Maut-Pläne von Verkehrsminister Dobrindt entwickeln sich zum sommerlichen Reizthema für die schwarz-rote Koalition. Trotz heftigen Streits über Ausnahmen halten die Parteichefs aber die Hand darüber.

Berlin - „Rache wird kalt genossen.“ Der Satz fällt kurz vor der parlamentarischen Sommerpause in einem jener Hintergrundkreise, in denen sich Journalisten und Berliner Politiker gelegentlich vertrauensvoll zusammenfinden. Einer aus der obersten CDU-Spitze gibt da seine frischen Eindrücke von einer Unterredung mit der Kanzlerin wider. Es geht um die Maut. Ein Thema, so die Botschaft, bei dem Angela Merkel schnell eisig werden kann, auch im Sommer.

Rache ist kein Begriff aus dem Instrumentenkasten der Politik. Das zeigt schon: Im Kern dieser sich gerade zuspitzenden Sommerlochdebatte geht es nicht um Eckpunkte und Gesetzentwürfe, um Spiegelstriche und Formulierungen. Es geht um mehr. Um Gesichtswahrung. Um Macht.

Und es geht vor allem um Horst Seehofer. Der hat, so sehen es viele in der CDU-Führung, eine politische Todsünde begangen. Man darf – erst recht als CSU-Chef – der Kanzlerin widersprechen, man darf streiten und poltern, man darf sogar kleine Punktgewinne auf ihre Kosten erzielen. Nur eines darf man nicht: die Regierungschefin ultimativ binden, ihre Handlungsfreiheit einschränken, sie vorführen. Seehofer hat sich nicht daran gehalten.

Dass er im Wahlkampf tönte, ohne Pkw-Maut werde er keinen Koalitionsvertrag unterzeichnen, war schon sehr weitgehend. Immerhin musste Merkel im TV-Duell gegen SPD-Herausforderer Peer Steinbrück offen den Konflikt einräumen und sich ihrerseits festlegen: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“ Das war vielleicht noch gerade hinnehmbar. Die CSU konnte später auf ein fulminantes Bundestagswahlergebnis verweisen. Der Erfolg heiligt die Mittel. Aber als die Bayern dann tatsächlich – gegen den erklärten Willen der Kanzlerin – die Maut in den Vertrag der Koalition hineinverhandelten, spätestens dann hat Merkel das sehr übel genommen.

Ausbaden muss es Alexander Dobrindt, der Bundesverkehrsminister. Dumm gelaufen. Dabei ist die Maut gewiss nicht sein Projekt. Aber nun wird sie der alleinige Gradmesser seines Erfolges oder Scheiterns. Er hatte es sich anders vorgestellt. Ganz anders. Verkehrsminister – das ist traditionell der christsoziale Traumjob schlechthin in Berlin. CSU-Verkehrsminister haben ihrem weiß-blauen Freistaat zu prestigeträchtigen Großprojekten verholfen. Dem Luft- und Raumfahrtzentrum in Oberbayern, dem Donau-Ausbau, dem Flughafen im Erdinger Moos. Dobrindt ist jung und ehrgeizig. Partei-Patriarch Seehofer wird dagegen nicht mehr ewig die Geschicke von CSU und Bayern lenken. Von Berlin aus ließe sich also durchstarten. Und jetzt? Wenn er keine Vollbremsung hinlegt, fährt Dobrindts Karriere vielleicht krachend gegen die Wand.

Ist das übertrieben? Er hat doch geliefert. Die Eckpunkte seiner Maut-Reform stehen: eine Pkw-Vignette für alle Straßen – nicht nur für Autobahnen. Für einheimische Autofahrer soll sie im Schnitt 88 Euro kosten – vollständig kompensiert durch einen Freibetrag bei der Kfz-Steuer. Ausländische Nutzer trifft es dagegen voll. Das Ganze soll 600 Millionen Euro bringen. So viel wie die Verzögerung beim Bau des Berliner Flughafens den Steuerzahler im Jahr kostet – sticheln die Grünen. Viel ist das nicht, und um überhaupt ein bisschen Finanzvolumen zusammenzubringen, musste Dobrindt die Maut auch auf Landstraßen ausdehnen, was so nicht im Koalitionsvertrag steht. Das wird zum Problem für ihn. Er hat Kritikern das Einfallstor weit geöffnet.

Was nun passiert, ist was für Politik-Feinschmecker. Langsam wird das Projekt zerschossen. Nein, nicht doch. Das klingt zu gewalttätig. Es wird ausgehungert. Es ist so, als wenn man einen VW-Käfer mit einer einzigen Tankfüllung zu einer Weltumrundung schickt und freundlich Gute Reise wünscht. Und es sind nicht die politischen Gegner, die Dobrindt mürbe machen. Mit denen ist er noch immer fertig geworden. In seiner Zeit als CSU-Generalsekretär hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, alle frontal anzugehen, die ihn störten. Die FDP? „Eine Gurkentruppe.“ SPD-Vize Hannelore Kraft? „Das faulste Ei der deutschen Politik.“ Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi? „Ein Falschmünzer.“

Jetzt aber sind es die eigenen Leute. Na ja, nicht ganz. Es ist die CDU. Und dort nicht irgendjemand. Wer hätte schon gern Wolfgang Schäuble zum Gegner? Der Finanzminister ätzt unverhohlen, dass die Zollbehörde – zuständig für die Maut-Verwaltung – schon jetzt genug zu tun habe mit der Abwicklung der Kfz-Steuer.

Dobrindt hat sich zudem den Bundesländern ausgeliefert. Die Ausweitung der Maut auf alle Straßen – rechtlich übrigens ausgesprochen heikel – macht das Projekt im Bundesrat zustimmungspflichtig. Praktisch alle Bundesländer mit Außengrenzen haben aber längst erkannt, dass der für Tourismus und Wirtschaft wichtige kleine Grenzverkehr erheblich beeinträchtigt würde, wenn die Maut wie ein teures Eintrittsgeld für die Nachbarn wirkt. Bei alledem kann sich die SPD bequem zurücklehnen. Das Sommertheater bespielt in diesem Jahr die andere Truppe.

Dobrindt hat sich verändert. Im Vergleich zu seiner Zeit als CSU-Generalsekretär hat er heute 19 Kilo weniger und eine kecke Brille mehr. Auf große Sprüche verzichtet er. Manche in der SPD finden ihn inzwischen sogar ganz sympathisch. In seiner Heimat Peißenberg war er dreimal Schützenkönig. Doch nie hat er seine Treffsicherheit mehr gebraucht als heute. Inzwischen wird auch er längst gemerkt haben: Das ist nicht sein Spiel, das da gerade läuft.

Dabei hat Seehofer in einem großen TV-Sommerinterview gerade erst noch einmal bekräftigt, dass die Maut kommen wird. Auch Merkel gibt sich nach außen solidarisch. Wenn es mit dem Europarecht verträglich ist und die deutschen Autofahrer nicht zusätzlich belastet werden, dann sei Dobrindts Maut-Idee „voll auf Koalitionslinie“. Wenn! Denn die Sache ist auch deshalb so verfahren, weil der übliche Mechanismus der Politik zur Konfliktlösung – du gibst ein bisschen, ich gebe ein bisschen, dann ist der Kompromiss geschnürt – nicht greift. Kommt die Maut, hat sich die Kanzlerin beugen müssen. Kommt sie nicht, hat Seehofer sein Prestige-Projekt nicht durchsetzen können. Ein anderes hat die CSU nicht. Merkel kann warten. Rache wird kalt genossen.