Der russische Autor Dmitry Glukhovsky auf dem blauen Sofa auf der Frankfurter Buchmesse 2022. Foto: IMAGO/Hannelore Foerster

Der Science-Fiction-Autor Dmitry Glukhovksy schreibt seit Jahren über Missstände in seiner Heimat Russland. Nun sind seine Satiren und Kurzgeschichten auf Deutsch erschienen.

Lange Jahre galt Dmitry Glukhovsky vor allem im Ausland als populärer Autor dystopischer Science-Fiction-Storys, der mit seiner Metro-Trilogie einen Riesenhit gelandet hat. In den drei dicken Büchern erzählt er von Menschen, die nach einem Atomkrieg in den Tunneln der Moskauer U-Bahn überleben müssen, weil das oberirdische Moskau unbewohnbar geworden ist.

Kürzlich erzählte Glukhovsky in einer Ausgabe der ZDF-Kultursendung Aspekte, dass ihn seit einiger Zeit ukrainische Fans anschreiben und darauf hinweisen, dass sie infolge des russischen Angriffskrieges nun vegetieren müssten wie die fiktiven Moskauer nach dem Atomkrieg in der Metro-Trilogie: In Deckung unter der Erde, zusammengepfercht und nur mit dem Nötigsten lebend. Was Glukhovsky natürlich schmerzt. Seit vielen Jahren ist der Science-Fiction-Autor ein erbitterter Kritiker des Putin-Regimes.

Glukhovsky lebt im Exil

Glukhovsky opponierte öffentlich gegen den Angriff auf die Ukraine, weshalb er im Sommer 2022 auf der russischen Fahndungsliste landete und seine Bücher aus dem Buchhandel des Landes verschwanden. Nun lebt er in Berlin und ist als russischer Dissident gern gesehener Gast in den hiesigen Medien und in der Literaturszene – so etwa im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse.

Tatsächlich ist Glukhovsky schon viel länger politisch, wie ein Blick in sein vor kurzem in Deutschland erschienenes Buch „Geschichten aus der Heimat“ zeigt. Die dort versammelten Kurzgeschichten sind größtenteils vor zehn oder mehr Jahren entstanden, kritisieren also ein Russland zu einer Zeit, als Wladimir Putin hierzulande noch als allenfalls charakterlich schwieriger Demokrat galt.

Russland im Würgegriff einer Clique

Eine Krim-Annexion und einen Angriff auf den Nachbarn Ukraine später sind die Verhältnisse jedoch geklärt. Glukhovsky arbeitet mit den Mitteln der Groteske, um einen ruchlosen Schurkenstaat und dessen Scheitern zu zeigen. Das reizt bisweilen zum Lachen – ein Lachen allerdings, das im Halse stecken bleibt. Zu sehr deckt sich die satirische Überspitzung mit der Wirklichkeit.

Glukhovskys Russland ist fest im Würgegriff einer Clique aus ehemaligen Geheimdienstlern, opportunistischen Apparatschiks und skrupellos-brutalen Gangstern, die ihre kriminellen Seilschaften bedenkenlos in Wirtschaft und Gesellschaft hineingetragen haben – allesamt plündern sie das Land aus, auf Kosten einer mehr oder weniger entrechteten Bevölkerung, die mit Propaganda und schlechtem Wodka in Schach gehalten wird.

Was ist mit Russland passiert?

In der Sammlung gelingt Glukhovsky ein erstaunliches rundes Bild eines außer Rand und Band geratenen Landes: Es reicht vom systematischen Organhandel, für den Gastarbeiter aus Zentralasien umgebracht und ausgeweidet werden, über einen Ex-Gangster, der in seine Traumstadt Paris reist und nicht versteht, dass er dort nicht schalten und walten kann wie in seiner russischen Provinz, bis zum opportunistischen TV-Moderator, der für den Quotenerfolg aufrechte Demokraten über die mediale Klinge springen lässt.

Am anderen Ende der Leiter lässt Glukhovsky überforderte Soldaten aus der Provinz mit dem roten Knopf im Raketensilo allein sowie Arbeiter und Rentner an menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und einem hoffnungslos überforderten Gesundheitswesen krepieren. Manche Geschichte hievt der russischer Autor auf eine fantastisch-kafkaeske Ebene, um zu beschreiben, wie die Staatsmacht die Wirklichkeit beugt, um zu verschleiern, was tatsächlich geschieht: Ein seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion andauernder Raubzug in einem der größten und mächtigsten Länder dieser Erde, das daran zugrunde zu gehen droht und womöglich noch andere mit den Abgrund zieht.

Dmitry Glukhovsky hat seiner Sammlung ein Vorwort vorangestellt, über dem geschrieben steht: Was ist mit Russland passiert? Diese Frage zieht sich durch die 445 Seiten – in „Geschichten aus der Heimat“ sind eine Menge Antworten dazu zu finden.

Dmitry Glukhovsky: Geschichten aus der Heimat. Heyne Verlag München. 445 Seiten, 24 Euro.