Schattenspiele in der Leichtathletik: Bei manchen Athleten schwingt der Verdacht mit, gedopt zu haben Foto: Getty

Als Richter und Präsident der deutschen Leichtathleten kennt Clemens Prokop den Sport aus mehreren Perspektiven – und sagt: „Zu einem Anti-Doping-Gesetz gibt es keine Alternative.“

Stuttgart - Herr Prokop, wie gefällt Ihnen Hamburg?
Hamburg ist eine wunderschöne Stadt.
Und trotzdem haben Sie für Berlin gestimmt, als es um die Olympia-Bewerbung 2024 ging.
Das stimmt, weil Berlin dank vieler bedeutender Sportereignisse, die dort stattgefunden haben, ein großer Name im internationalen Sport ist. Berlin hätte deshalb nach meiner Vermutung bei der Bewerbung die besseren Chancen gehabt.
Trotzdem hat Hamburg gewonnen.
Ja, und auch wir Leichtathleten stehen nun natürlich voll hinter dieser Entscheidung. Das Konzept der Spiele am Wasser hat sehr großen Charme. Zudem bietet diese Bewerbung Hamburg die Chance, sich als internationale Sportstadt zu etablieren.
Reicht das, um die Olympischen Spiele auch zugesprochen zu bekommen?
Derzeit lesen Viele im Kaffeesatz, daran will ich mich nicht beteiligen. Klar ist für mich allerdings: Wenn Deutschland sich um Olympia bewirbt, dann muss es auch unser Anspruch sein, die Spiele zu erhalten. Und wenn dies 2024 nicht klappen sollte, dann eben 2028.
Früher gab es Leichtathletik-Großereignisse auch in Stuttgart. Nun ist außer einer langen Tradition nicht mehr viel übrig.
Da haben Sie recht. Doch wenn ich mich wie Stuttgart als Sportstadt definiere, muss auch die Leichtathletik eine Rolle spielen.
Also ist Stuttgart für Sie keine Sportstadt mehr?
Ich kenne natürlich nicht alle Facetten des Sports in Stuttgart, aber wenn ich mir die Situation der Leichtathletik anschaue, würde ich sagen: Tendenz negativ. Wir hatten in Stuttgart eine WM, die international Maßstäbe gesetzt hat, eine EM, das bedeutendste Hallen-Meeting der Welt, Weltfinals – wir hatten Leichtathletik auf höchstem Niveau.
Und heute?
Gibt es ein Stadion ohne Laufbahn. Das schmerzt die gesamte Leichtathletik immer noch. Zumal die Begründung, dass sich die fußballerischen Leistungen des VfB verbessern, wenn die Zuschauer näher am Spielfeld sitzen, sich ja auch nicht bewahrheitet hat. Mit dem Umbau wurde eine Entscheidung gegen eine ganze Sportart getroffen.
Weil sich die Stadt gesagt hat, dass es angesichts der großen weltweiten Konkurrenz ohnehin nicht mehr finanzierbar ist, Großereignisse nach Stuttgart zu holen?
Das glaube ich nicht. Und wenn, dann wäre es der falsche Ansatz. Es ist auch heute noch möglich, mit dem richtigen Konzept derartige Projekte zu stemmen.
Auch wenn es gegen Katar darum geht, wer eine Leichtathletik-WM ausrichtet?
Sagen wir so: Unter wirtschaftlichen Kriterien würde es selbst Stuttgart mit Katar nicht aufnehmen können. Aber Stuttgart hätte mit anderen Pfunden wuchern können – beispielsweise mit der auch bei den Entscheidern unvergessenen WM 1993. Ich bin mir sicher, dass Stuttgart mit dem früheren Stadion beste Chancen gehabt hätte, immer wieder Großereignisse in die Stadt zu holen.
Die Frage ist, wer das noch will – das Image der Leichtathletik ist durch die vielen Doping-Skandale der letzten Zeit reichlich angekratzt.
Natürlich sät Doping das Misstrauen in den Sport, vor allem dann, wenn immer wieder Ergebnislisten nach ein oder zwei Jahren geändert werden müssen.
Wie in der Leichtathletik.
Das ist teilweise richtig, vor allem bestimmte Länder tun sich da derzeit hervor. Andererseits wird in der Leichtathletik auch besonders intensiv kontrolliert. Wenn man sich die Kontrolldichte in den einzelnen Sportarten anschaut, dann gibt es da doch gewaltige Unterschiede. Wir Leichtathleten gehen den Weg des möglichen Schreckens mit dem Ziel, faire Wettkämpfe zu erreichen. Dafür brauchen wir aber einen möglichst einheitlichen Standard der Kontrollen überall auf der Welt. Und das nicht nur in der Leichtathletik, sondern in allen Sportarten.
Und in allen Ländern. In Russland soll sogar die Anti-Doping-Agentur Teil des systematischen Betrugs sein.
Dieser Vorwurf ist schockierend. Wenn sich das bewahrheiten würde, wäre es die Bankrotterklärung eines ganzen Systems.
Derzeit steht beim Thema Doping der Fußball im Fokus. Zu Recht?
Darüber könnte ich nur spekulieren. Aber Fakt bleibt, dass jeder Sportler seine Leistung durch Doping steigern kann. Auch ein Fußballer.
Welche Athleten sind besonders anfällig, dieser Versuchung zu erliegen?
Besonders groß ist die Gefahr bei den Athleten, für die Sport die Existenzgrundlage oder der Weg zum sozialen Aufstieg ist. In Kenia zum Beispiel gibt es derzeit überraschend viele Doping-Fälle, und das hat natürlich damit zu tun, dass der Laufsport dort wirtschaftlich enorme Chancen bietet.
Welche Lehren zieht Ihr Verband daraus?
Wir setzen ganz bewusst auf die duale Karriere. Wir legen Wert darauf, die sportliche Laufbahn der Athleten zu fördern, schauen aber auch auf ihre berufliche Qualifikation. Ich denke, dass wir auch deshalb aktuell unter unseren Top-Leichtathleten keine positiven Fälle haben.
Wie verseucht ist die deutsche Leichtathletik?
Wir haben so gut wie keine positiven Tests. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Wirklich nicht?
Ich weiß nur: Wir investieren erhebliche Mittel in das Kontrollsystem, sind in Deutschland bei der Zahl der Tests in den Individualsportarten mit großem Abstand die Nummer eins. Und wir versuchen in allen Gesprächen und Schulungen mit Sportlern, Trainern und Übungsleitern klar zu machen, dass wir den sportlich fairen Erfolg wollen. Wir wollen lieber auf einen Sieg verzichten, wenn dieser Sieg nicht mit legalen Mitteln erreicht werden kann.
Sie betonen ständig, wie wichtig Doping-Kontrollen sind. Andererseits haben sie auch schon gesagt, dass ohnehin nur die Doofen erwischt werden. Wie passt das zusammen?
Das war bezogen auf Wettkampfkontrollen, von denen die Athleten ja wissen, dass sie stattfinden. Hier überführt man nur die Unerfahrenen. Trainingskontrollen dagegen sind kaum berechenbar und daher von doping-gefährdeten Athleten gefürchtet. Es gibt keine Alternative zu einem effektiven Kontrollsystem.
Auch wenn sich die Zahl der Sünder, die von der Nationalen Anti-Doping-Agentur außerhalb des Wettkampfs aufgespürt werden, im Promille-Bereich bewegt.
Es gibt in der Tat wohl eine nicht unbeachtliche Dunkelziffer. Dennoch brauchen wir das Kontrollsystem der Nada.
Wofür?
Vor allem zur Abschreckung. Diese Tests haben eine ganz hohe präventive Wirkung, das ist unbestritten. Und nun kommt ja ein Anti-Doping-Gesetz als zweites Standbein hinzu, das es noch besser ermöglichen wird, auch die Hintermänner zu überführen.
Sie fordern schon lange ein deutsches Anti-Doping-Gesetz. Warum?
Weil ich davon überzeugt bin, dass es die Glaubwürdigkeit der sportlichen Leistung enorm erhöht, wenn nicht nur der Sport kontrolliert, sondern auch der Staat ermitteln kann. Und weil wir in der Leichtathletik wissen, welch verheerende Folgen Doping haben kann. Da müssen Sie sich nur das Schicksal vieler früherer DDR-Sportler anschauen. Das geht einem unter die Haut.
Innerhalb des Deutschen Olympischen Sportbundes haben Sie sich mit dieser Haltung nicht beliebter gemacht.
Das stimmt.
Spüren Sie nun, da der Entwurf für das Gesetz vom Kabinett verabschiedet wurde, so etwas wie Genugtuung?
Es geht ja nicht um meine persönliche Befindlichkeit, auch wenn ich teilweise massiv angegangen worden bin. Aber mich freut zweierlei: Erstens, dass dieses Gesetz kommen wird. Und zweitens, dass es auch im Sport immer mehr Befürworter gibt.
Der DOSB hat aber noch einiges an dem Entwurf auszusetzen, vor allem was die Besitzstrafbarkeit und das Nebeneinander von Sport- und staatlichen Gerichten angeht. Sind Sie mit dem Entwurf zufrieden?
Absolut. Ich würde mir als Ergänzung nur noch eine umfassende Kronzeugenregelung wünschen.
Haben Sie Sorge, dass der Entwurf noch verwässert werden könnte?
Die Minister Heiko Maas und Thomas de Maizière haben sich klar festgelegt – wenn man sie beim Wort nimmt, dürfte nicht mehr allzu viel passieren. Ich wüsste auch nicht, wo es Ansätze geben könnte, den Entwurf des Gesetzes noch einmal in Frage zu stellen. Es gibt keine Alternative dazu.
Welche konkrete Auswirkungen hätte das Gesetz auf den deutschen Sport?
Gefährdete Sportler werden sich neu überlegen, ob sie dopen oder nicht. Betrüger fürchten eine zweijährige Sperre, aber sie ist kein Vergleich zu einer staatlichen Strafe. Kein Sportler will wegen Dopings ins Gefängnis. Und auch die Gefahr, erwischt zu werden, ist künftig wesentlich höher.
Inwiefern?
Der Sport kann Urin- und Bluttests machen, mehr nicht. Staatliche Ermittler haben ganz andere Möglichkeiten, ein Vergehen aufzudecken. Zum Beispiel mit Durchsuchungen, dem Überprüfen von Festplatten oder Telefonüberwachungen. Die Erfahrungen aus der Justiz zeigen, dass nicht allein die Strafe abschreckt, sondern vor allem die Frage, wie hoch das Risiko ist, erwischt zu werden.
Theoretisch könnte es also sein, dass Strafverfolger das Hotelzimmer von Usain Bolt durchsuchen, wenn er beim Meeting in Berlin weilt.
Ja, aber nur wenn ein konkreter Doping-Verdacht gegen ihn vorliegt.
Reicht als konkreter Verdacht schon, der Einzige unter den besten zehn Sprintern der Leichtathletik-Geschichte zu sein, der bisher nicht des Dopings überführt wurde?
Das ist zu wenig (lächelt).
Was denken Sie, wenn Sie Usain Bolt laufen sehen?
Er hat einen Körper, der ihm biomechanisch unglaubliche Voraussetzungen bietet. Er ist ein Ausnahmetalent mit einer beeindruckenden läuferischen Ästhetik. Aber was ich denke? Er ist nicht positiv getestet, also hat er das Recht auf die Unschuldsvermutung.
Und wenn er überführt werden sollte . . .
. . . dann würde das die Leichtathletik weltweit ins Wanken bringen.
Sie sind als Präsident des Amtsgerichts Regensburg ein Mann der Praxis: Haben Staatsanwaltschaften und Gerichte überhaupt genug Kapazitäten frei, um sich um das Doping-Problem zu kümmern?
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaften in München und Freiburg zeigen, dass dies auf höchstem Niveau bei überschaubarem Personalaufwand möglich ist.
Bisher waren die Fahnder meist in der Bodybuilding-Szene unterwegs, künftig können sie sich dank des neuen Gesetzes vermehrt auch um verdächtige Spitzensportler kümmern. Da werden sie viel zu tun bekommen.
Das Grundproblem ist das absolute Streben nach Erfolg. Ein Athlet, der diese Haltung verinnerlicht hat, bei dem kann auch die Hemmschwelle sinken, illegale Mittel einzusetzen. Erfolg um jeden Preis, das ist die falsche Einstellung. Egal in welcher Sportart.
Aber diese Einstellung ist weit verbreitet.
Was natürlich auch daran liegt, dass mancher unterlegene Athlet sofort denkt, dass der andere nur deshalb besser war, weil er dopt. Das kann sozusagen die innere Rechtfertigung sein, es selbst auch zu tun. Deshalb haben Sportler bei öffentlichen Geständnissen auch behauptet, dass ihr Doping-Vergehen nur gelebte Chancengleichheit gewesen sei. Ich bezweifle aber, ob sie dies auch beweisen könnten.
Hat sich diese Haltung geändert?
Ich befürchte, das auch heute noch mancher dopende Sportler nicht das Gefühl hat, andere zu betrügen – und das ist ein ganz großes Problem.