Am DJ-Pult: Paul Kalkbrenner in Aktion Foto: promo

Der Techno-DJ Paul Kalkbrenner füllt zwei Abende hintereinander die Berliner Wuhlheide.

Berlin - Paul Kalkbrenner ist Deutschlands unbekanntester Popstar. Als DJ spielt er zwei Abende hintereinander in der Berliner Wuhlheide vor insgesamt 34000 Fans. Das zeigt, dass Techno gar nicht so tot ist, wie man bisweilen meinen könnte.

 Auf dem Weg vom Bahnhof zur Wuhlheide werden eisgekühlte Dosen verteilt. "Summer Rave" steht darauf. Passt ganz gut zu dem Ereignis heute. Darin ist aber Multivitaminsaft. Irgendwie steht das der Musik von Paul Kalkbrenner ganz gut. Das ist Techno, der jedem schmeckt. Sounds, geschaffen für einen Sommerabend. Süß und säuerlich zugleich. Die Mädchen in den langen Blumenkleidern trinken Erdbeerbowle, die Männer Berliner Weiße. Auf der Bühne steht ein wassertrinkender Kahlkopf hinter dem Pult. Paul Kalkbrenner ist der Star des Abends. Und vermittelt zugleich so wenig Startum wie möglich.

Was hier an zwei Abenden hintereinander auf der Bühne der Berliner Wuhlheide passiert, ist anders. Es ist eine große Party, kein Konzert. Mehr Happening, denn Show. Es geht um den Sound, aber nicht um die Songs. Kalkbrenner ist ein Discjockey, der ohne Platten zu seinem Gig kommt. Seine Musik produziert er selbst. Und auch live mischt er die Beats und Klänge zu einem großen Ganzen. Bei einem DJ-Set passiert nicht viel. Es ist kein Popkonzert und dennoch ein Ereignis. Die jungen Menschen hier, eine Mischung aus Berlin-Mitte-Hipster und Hauptstadt-Wochenend-Touristen, würden wohl "Event" dazu sagen.

Fast schüchtern winkt er ins Publikum

Ein dreistündiger DJ-Abend besteht nicht aus einzelnen Liedern, sondern aus einem Soundteppich, bei dem die Tracks nahtlos ineinander übergehen. Die Kunst des DJs ist es, einen Spannungsbogen aufzubauen, die Rhythmen, Lautstärken und Beats zu variieren, ohne dabei den roten Faden zu verlieren. Paul Kalkbrenner ist ein Profi darin.

Die "Paule"-Rufe werden lauter. Er kommt auf die Bühne. Fast schon schüchtern winkt er ins Publikum. Menschen jubeln. Seine Musik ist ansteckend. Sie hat eine Sogkraft, wie es elektronische Musik nur in ihren besten Momenten schaffen kann. Eben ist Paul Kalkbrenners achtes Album erschienen. Es trägt den Titel "Icke wieder" und ist eine Platte, die klar strukturiert ist, manchmal sogar kühl klingt. Es ist Musik ohne Gesang, die aber dennoch Seele hat. Nichts für den Massengeschmack, würde man meinen. Doch die Zahlen sprechen für ihn: 17000 Menschen. So viele sind heute gekommen. Genauso viele werden es am nächsten Abend sein.

Kalkbrenners Durchbruch kam mit dem Film "Berlin Calling" aus dem Jahr 2008. Kalkbrenner war für die Musik zuständig. Regisseur Hannes Stöhr engagiert ihn darüber hinaus für die Hauptrolle des DJ Ickarus. Seit 115 Wochen läuft der Film jeden Abend im Kino in Mitte. Der Titelsong "Sky & Sand" ist die Hymne einer Generation. Die samtene Singstimme stammt von seinem Bruder Fritz, der ebenfalls Technomusik produziert und diesen Abend in der Berliner Wuhlheide eröffnen darf.

Techno ist wieder wer

Es ist lange her, dass Techno ein großes Ding war. In den Berliner Club "Berghain" pilgern Touristen mit Billigflieger-Tickets, als wäre es das neue Mallorca. Wer wiederum in den 1990er Jahren auf Klassenfahrt in Berlin war, besuchte den Technoclub "Tresor". Danach fraß die Revolution ihre Kinder.

Heute aber ist Techno wieder wer. Daran ist Paul Kalkbrenner nicht ganz unschuldig. Er ist der unprätentiöse Superstar unter den deutschen Techno-DJs. Hat die Urgesteine wie beispielsweise Sven Väth überholt. Die Konzerte in der Berliner Wuhlheide waren nur der Anfang. Diesen Sommer tourt Kalkbrenner quer durch Europa, ach was, um die Welt. Er spielt auf Festivals in Wien, Barcelona oder Detroit. Darauf folgt die Hallentour. Dabei vermutet man Technomusik, wie sie Kalkbrenner macht, doch schon eher in Clubs. In dunklen Kaschemmen. Industriebauten mit puristischem Charme. Kalkbrenner ist inzwischen der Mann für die Massen. Einer, der erst mal keine Interviews gibt. Zu viel Aufmerksamkeit.

Die Fans der ersten Stunde wittern natürlich den Ausverkauf der Musik, die doch eigentlich mal Subkultur war. Kritik musste Kalkbrenner einstecken, als er Anfang des Jahres vor Bundeswehrsoldaten im afghanischen Kunduz auftrat. Da ist er also: der Technostar. Mittendrin. Ein Bestseller. Ein Popstar, der womöglich aber kaum auf der Straße erkannt oder von der "Bunten" nach seinem Privatleben befragt wird.

Der Moment, wenn 17.000 Menschen durchdrehen

Kalkbrenner möchte über seine Musik bewertet werden. Er sieht sich da auf der Bühne als Künstler nicht nur als bloßer DJ, der an den Knöpfen dreht. Die Lichtshow mit geometrischen Visuals passt perfekt zur Musik. Es gibt Momente, da lehnt er sich ans Pult, als würde er sich vor dem Jogginglauf etwas aufwärmen. Dann aber lächelt er. Schaut gen Bühnendecke. Er weiß genau, was jetzt kommt. Es ist der Moment, wenn die Musik anzieht, der Beat einsetzt. Einer dieser Momente, in denen jetzt gleich wieder 17000 Menschen durchdrehen werden. Es geht nicht um ihn. Keine Icke-Egomanie hier. Es geht um das Gefühl. Das auch nach drei Stunden noch nicht vorbei ist.

Paul Kalkbrenners CD "Icke wieder" ist am 4. Juni erschienen. Am 1. Oktober tritt er in der Schleyerhalle auf. Karten unter 0711/ 221105.