Auch in Berlin drängt sich der Berufsverkehr bis an die Belastungsgrenze. Foto: dpa

Eingriffe in den Straßenverkehr sind immer heikel – selbst wenn es um saubere Luft geht. Weil die Politik so zerstritten ist, müssen mehr denn je die Gerichte entscheiden.

Berlin/Stuttgart - Eine gemeinsame Umweltpolitik ist nicht nur Gesundheits- und Naturschutz, sie sichert auch gleiche Wettbewerbsbedingungen im gemeinsamen Markt. 2008 hat die EU eine Richtlinie über die Grenzwerte der Schadstoffbelastung von Luft erlassen – das reicht von Blei und Feinstaub über Schwefeldioxide bis hin zu Stickoxiden. Die EU-Mitglieder müssen EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzen, was auch Deutschland getan hat im Bundesimmissionsschutzgesetz. Trotzdem kommt es ständig zu Verstößen gegen die Grenzwerte – nicht nur in Deutschland, sondern in 23 der 28 EU-Staaten ist das der Fall, in 130 europäischen Städten kommt es regelmäßig zu Grenzwertüberschreitungen. Immer wieder sind den „Sündern“ Fristverlängerungen gewährt worden.

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Dem aus Malta stammenden EU-Umweltkommissar Karmenu Vella ist kürzlich der Geduldsfaden gerissen, er bestellte acht der schlimmsten Luftverpester zu sich und droht ihnen mit einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Neben Frankreich, Großbritannien und anderen war auch Deutschland dabei. Die Eltern eines an einer Bronchial-Erkrankung leidenden Kindes wollten rasch eine Luftverbesserung – Aktionspläne mit einem Zeitrahmen von zehn bis zwölf Jahren oder „ineffektive Maßnahmen“ würden denen nicht helfen, sagte Vella.

Vorstellungen des Bundes

Für die Luftreinhaltung sind sowohl das Bundesumweltministerium (SPD-geführt) als auch wegen des hohen Schadstoffaufkommens durch den Straßenverkehr das Bundesverkehrsministerium (CSU) zuständig. Damit fängt der Ärger schon an. Was das Umweltministerium möchte, eine Blaue Plakette und damit de facto Fahrverbote für den Diesel mit hohen Stickoxidwerten, das versucht das Verkehrsministerium mit allen erdenklichen Mitteln seit Jahren zu verhindern. Das lange Zeit von Alexander Dobrindt geleitete Ressort ist der Ansicht, dass Städte und Gemeinden befristete Fahrverbote auf Basis der gültigen Rechtslage eigenständig verhängen können. Über Fahrverbote zu entscheiden, das liege „in der Verantwortung der örtlich zuständigen Behörden“, meinte Dobrindt im Sommer 2017, aber generelle Fahrverbote seien der falsche Ansatz.

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Um den politischen Druck auf sein Haus zu mindern, setzte Dobrindt auf den Dialog mit der Autoindustrie, mit der man sich bei Dieselgipfeln auf eine Software-Nachrüstung bei „sauber“ getricksten Motoren einigte. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es: „Wir wollen Fahrverbote vermeiden und die Luftreinhaltung verbessern. Die Kommunen wollen wir unterstützen, die Emissionsgrenzwerte im Rahmen ihrer Luftreinhaltepläne mit anderen Maßnahmen als mit pauschalen Fahrverboten einzuhalten.“ Unter anderem soll modellhaft ein ÖPNV zum Nulltarif erprobt werden. Zuständig ist eine Bundesbehörde – das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg, das auch mit der Zulassung von Autos betraut ist. Es ist seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass Fahrzeuge, die wegen Trickserei nicht die Emissionsgrenzwerte einhalten, die Zulassung verlieren.

Regelungen der Bundesländer

Wenn wiederholt gegen Grenzwerte verstoßen wird, müssen laut einer EU-Verpflichtung Luftreinhaltepläne aufgestellt werden. Das erledigen in einigen Bundesländern – etwa Rheinland-Pfalz – die Städte selbst, in anderen wie Baden-Württemberg tun dies die Mittelbehörden des Landes, also die Regierungspräsidien. Ziel ist es, die Grenzwertüberschreitungen so kurz wie möglich zu halten. Einer der am meisten diskutierten Schadstoffe ist derzeit das Stickoxid, das vor allem von Dieselautos ausgestoßen wird, die dafür bessere Werte beim Treibhausgas Kohlendioxid haben. Der Grenzwert beim Stickoxid liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.

In Städten wie Reutlingen, wo der Gemeinderat einen Luftreinhalteplan ablehnt, werde das Land ihn mit einer „Ersatzvornahme“ durchsetzen, sagt Edgar Neumann, Pressesprecher im Verkehrsministerium. Mit politischem Werben – etwa für die Einrichtung der Blauen Plakette – versucht das Land Einfluss auf den Bund zu nehmen. Mit Mobilitäts- und Radwegekonzepten sowie der Förderung des ÖPNV kann es Akzente setzten. Auch Grün-Schwarz in Stuttgart wolle keine Fahrverbote, heißt es allenthalben in Stuttgart. Aber Nuancierungen zwischen CDU und Grün gibt es. Als das Verwaltungsgericht Stuttgart Fahrverbote im Luftreinhalteplan für Stuttgart für „verpflichtend“ hielt, da setzten sich die Grünen mit einer Sprungrevision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig durch. Bei einem Gang in die Berufung – was die CDU wollte – wären alle Argumente noch mal intensiv auf den Prüfstand gekommen, Fahrverbote wären wohl auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden.

Städte und Gemeinden mit eigenen Konzepten

Die Kommunen haben längst ihre eigenen Klimaschutzziele und Konzepte für nachhaltige Mobilität und einen besseren Verkehrsfluss. Sie müssen die Luftreinhaltepläne umsetzen, Schilder aufstellen und Verbote kontrollieren. Sie können den ÖPNV attraktiver machen und Fußgängerzonen ausweisen, eventuell auch die innere City ganz vom Autoverkehr befreien. Aber dürfen sie wirklich pauschale Fahrverbote etwa bei Feinstaubalarm oder erhöhten Stickoxidwerten mit eigenen „selbst gebastelten“ Schildern gegen ältere Diesel verhängen – wie Dobrindt es wollte? Das ist rechtlich heftig umstritten.

In einem Rechtsgutachten für den Arbeitgeberverband Südwestmetall heißt es, dass es für Städte unzulässig sei, Fahrverbote für Dieselautos mit Grüner Plakette – die besitzen viele ältere Modelle – zu verhängen. Denn es fehle ein Bundesgesetz dafür, wie es die Straßenverkehrsordnung oder das Bundesimmissionsschutzgesetz darstellen, in denen ja auch die Gelbe und Rote Plakette geregelt sind. Die „vollziehende Gewalt“ dürfe ohne gesetzliche Ermächtigung „keine belastenden Handlungen vornehmen“, sagt das Gutachten. Dass ein Fahrverbot das ist, steht außer Zweifel: Viele Halter von älteren Dieselautos fühlen sich enteignet durch drohende Fahrverbote.

Justiz hat viel zu tun

Die Verwaltungsgerichte haben viel zu tun mit der Debatte über Luftreinhaltung und Fahrverbote – weil die staatlichen Ebenen den Schwarzen Peter hin und her schieben. Am 22. Februar entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, ob Städte auf eigene Faust Fahrverbote wegen der hohen Stickoxidbelastung verhängen dürfen oder nicht. Dabei geht es um Düsseldorf und Stuttgart. Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe sagt, dass die Gerichte bei der Luftreinhaltung in den letzten Jahren mehr und mehr die Rolle der Politik übernommen hätten. Die Gerichte hätten die Behörden gezwungen, neue Luftreinhaltepläne aufzulegen oder wirklich wirksame Maßnahmen festzulegen.

So wurden der Stadt München bereits zweimal Zwangsgelder auferlegt. Eine Geldstrafe könnte auch der Bundesrepublik drohen, wenn die EU-Kommission sie vor dem EuGH verklagt, weil immer noch 70 deutsche Städte regelmäßig Stickoxid-Überschreitungen haben. Verkehrsexperten haben errechnet, dass eine EU-Vertragsstrafe Deutschland am Tag 400 000 Euro kosten könnte, rückwirkend könnten nochmals 25 bis 30 Millionen Euro fällig werden. Schlimmer wohl wäre der gewaltige Imageverlust für die angebliche Vorreiternation beim Klimaschutz, die sich vom effektiven Gesundheitsschutz für ihre Bürger mit einer Geldstrafe freikauft.