Jeder Unfall ist einer zuviel, darin war sich das gesamte Podium bei unserer Veranstaltung "Achtung, Schulweg!" in Stuttgart einig. Kontrovers wurde es bei der Frage, wie man die Gefahren eindämmen kann.
Fast 1400 Meldungen sind bei der Aktion „Achtung, Schulweg!“ bei unserer Redaktion eingegangen. Von Mitte Juli bis Anfang Oktober war die Stuttgarter Stadtgesellschaft dazu aufgerufen, potenzielle Gefahrenstellen auf den Schulwegen ihrer Kinder über ein von dem Recherchenetzwerk Correctiv zur Verfügung gestelltes Online-Tool einzutragen.
„Das Ergebnis hat uns selbst überwältigt“, sagte Lisa Welzhofer, Koordinatorin des Teams Familie/Bildung/Soziales bei unserer Zeitung, bei einer Diskussionsrunde zum Thema im Rahmen von „Zeitung erleben“. Zu dieser kamen am Sonntag etwa 70 Interessierte ins Kulturzentrum Merlin. Die Gäste auf dem Podium waren Annemarie Raab, Rektorin der Falkertschule, Dirk Herrmann und Andreas Liebig von der Straßenverkehrsbehörde Stuttgart, Nikolai Worms von der Initiative Kidical Mass, sowie Hermann Volkert, Leiter der Abteilung Prävention beim Polizeipräsidium Stuttgart.
Schlechte Infrastruktur und unzureichende Verkehrsüberwachung der Schulwege
Für Nikolai Worms sind die 1400 Gefahrenmeldungen ein Fingerzeig in Richtung Stadt. In ihr spiegele sich die schlechte Infrastruktur in Stuttgart und die unzureichende Verkehrsüberwachung wider. Als Beispiel nannte er, dass Falschparker nur selten vor 8.30 Uhr einen Strafzettel bekommen würden, weil es zu dieser Zeit kaum Kontrollen gebe, sagte der Vertreter von Kidical Mass. Dirk Herrmann widersprach. Die Verkehrsüberwachung sei sehr wohl auch schon in den Morgenstunden unterwegs, es gebe aber nur begrenzt Personal und man könne nicht überall gleichzeitig sein.
Hermann Volkert verwies darauf, dass für viele Parkverstöße die Eltern selbst verantwortlich seien. Seit 2003 beschäftige er sich mit der Schulwegsicherheit. Und schon damals habe es Aktionen gegeben, um Mütter und Väter für die Gefahren zu sensibilisieren, die entstehen, wenn sie ihren Nachwuchs mit dem Auto bis vors Schultor fahren. Natürlich könnten solche Situationen auch durch bauliche Maßnahmen verhindert werden. „Aber man muss schon auch danach fragen, wer die Schulwege unsicher macht“, so seine Meinung. Daher könne vor allem dann etwas erreicht werden, wenn Stadt, Polizei, Schule und Eltern zusammenwirken.
Probleme mit sogenannten Elterntaxis gibt es auch vor der Falkertschule in Stuttgart-West. Der Haupteingang befindet sich an einer Sackgasse, an der zudem noch das Dillmann-Gymnasium und ein Kindergarten liegen. Morgens ist dort einiges los. Darum hatte Annemarie Raab vorgeschlagen, die Falkertstraße zu einer temporären Schulstraße zu machen, sie also zu Schulbeginn und Schulende für den Autoverkehr zu sperren. Dirk Herrmann erklärte, dass Stuttgart das Thema Schulstraßen angehen wolle. Man habe sich bereits mit verschiedenen Modellen auseinandergesetzt. Wichtig sei der Stadt: „Es muss nachhaltig sein.“ Es brauche eine „planerische Gesamtbetrachtung“ und nicht nur eine Beschilderung. Sein Amt abreite bereits an einigen Beispielen.
Gute Nachrichten also für die Rektorin der Falkertschule. Sie kritisierte aber auch, dass bei Baustellen auf Schulwegen zu spät informiert und allgemein bei Meldungen von Gefahrenstellen zu spät gehandelt werde. Das halte Eltern davon ab, ihren Nachwuchs zu Fuß zur Schule zu schicken. Andreas Liebig entgegnete, dass „oft in unglaublich kurzer Zeit unglaublich viel angeordnet“ werde und es „viele schnelle Veränderungen gebe“. „Wir versuchen aber immer, eine verkehrssichere Situation herzustellen.“
Manchmal kann mit kleinen Maßnahmen für Schulwege schon viel erreicht werden
Auch mehrere Stimmen aus dem Publikum kritisierten, dass das oft zu lange dauere. Manchmal könne mit kleinen Maßnahmen schon viel erreicht werden. Doch es brauche oft eine Vielzahl an Meldungen aus der Bevölkerung, ehe gehandelt werde. „Die Stadt macht sich nicht zum Anwalt der Probleme der Kinder“, kommentierte Worms.
Eines der Hauptprobleme ist aus Sicht der Eltern die überhöhte Geschwindigkeit im Straßenverkehr. Dirk Herrmann betonte zwar, dass auf 70 Prozent der 1500 Straßenkilometer in Stuttgart bereits Tempo 30 gelte. Kritisiert wurde aber, dass das noch nicht flächendeckend vor Kindergärten und Schulen der Fall sei. Die Stadt will da nun noch einmal genauer hinschauen.
Hermann Volkert warf ein, dass Kinder ein Recht auf sichere Schulwege hätten, und Parkverstöße und Baustellen es den Mädchen und Jungen schwerer machen. Wichtig sei aber auch, dass Kinder einen gewissen „Verkehrssinn“ entwickeln. Sie müssten also lernen, mit gewissen Gefahrenstellen umzugehen. Und mit Blick auf die Statistik seien die Schulwege in Stuttgart sicher. Im vergangenen Schuljahr habe es 20 Schulwegunfälle gegeben. Volkert räumte aber auch ein, dass es eine Dunkelziffer gebe und betonte: „Natürlich ist jeder Unfall einer zu viel.“
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