Noch sind in Brüssel alle Flaggen vereint. Doch Europa steckt in der Krise und droht, in den kommenden Monaten auseinander zu brechen. Foto: dpa

Europa nicht nur negativ sehen - das ist eine zentrale Botschaft aus dem Stuttgarter Rathaus, wo über die Zukunft der Europäischen Union diskutiert worden ist.

Stuttgart - Die EU sei gar nicht so marode, wie ständig behauptet wird. Das zumindest ist die Überzeugung von Martin Kotthaus. Der Leiter der Europaabteilung im Auswärtigen Amt forderte die Zuhörer im Stuttgarter Rathaus auf, die Negativschlagzeilen zu vergessen und sich einmal das positive Szenario vorzustellen. „Die Briten sagen Ja zu Europa und Ende 2017 wird Zypern wiedervereint, Spanien bildet eine stabile Regierung und Griechenland kommt langsam auf die Beine“, arbeitete sich Kotthaus durch die schwelenden Krisen. Zudem funktioniere der Flüchtlingsvertrag mit der Türkei und man schaffe es, ein europäisches Asylsystem aufzubauen. Als Folge der Lösung dieser Probleme erhole sich die Wirtschaft in der EU und den Populisten sei damit das Wasser abgegraben.

Eine geschlossene Gesellschaft?

Das sei eine sehr schöne Vorstellung, erwiderte Silviu Mihai, die der Journalist und Osteuropaexperte allerdings nicht teilen wollte. Er bildete den Gegenpart zu Kotthaus. Diskutiert wurde über das Thema „Geschlossene Gesellschaften? Migration, Euro, Referenden und Populisten – wie geht es weiter mit Europa?“, veranstaltet wurde der Abend vom Institut für Auslandsbeziehungen (Ifa) und dem Auswärtigen Amt. Mihai unterstrich, dass vor allem in Osteuropa die EU-Abneigung zum weit verbreiteten Phänomen geworden sei und die Populisten in vielen Fällen längst die Macht übernommen hätten. Die Krisen in Europa lieferten ihnen genügend Argumente, um die Abneigung gegen Brüssel zu befeuern. Mihai sah kaum eine Möglichkeit, diesen Populisten Einhalt zu gebieten – außer ihnen den Geldhahn zuzudrehen. Diese Einschätzung entlockte dem Moderator Christoph Reisinger, Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, die Frage, ob die EU in Osteuropa denn nur als „Generator für Transferleistungen“ gedient habe? Silviu Mihai entgegnete, dass tatsächlich verstärkt über den tieferen Sinn der EU diskutiert werden müsse.

Das Phänomen Rechtspopulismus

Dem konnte Kotthaus zustimmen, erinnerte aber daran, dass der Rechtspopulismus mit seiner Europa-Abneigung kein osteuropäisches Phänomen sei. „In Frankreich, den Niederlanden oder auch Großbritannien haben wir ähnliche Bewegungen“, sagte der EU-Experte. Allerdings glaubt Kotthaus, dass sich die EU wehren könne. „Die Tatsache, dass sich Polen wegen der umstrittenen Reformen im Land, in verschiedenen EU-Gremien öffentlich rechtfertigen muss, das tut der Regierung in Warschau schon sehr weh“, erklärt er. Das habe auch dazu geführt, dass manche Eingriffe in den Rechtsstaat deutlich abgeschwächt worden seien.

Werbung für die EU

Kotthaus wurde nicht müde, um für die EU zu werben. „Ja, die Arbeit in Europa ist kompliziert,“ räumte er ein. Allerdings müssten sich die Kritiker ins Gedächtnis rufen, wie schwierig es sei demokratische Entscheidungen auch in einem kleineren Rahmen zu fällen – und erinnerte nicht ohne Süffisanz an das Projekt Stuttgart 21. Es sei eben eine Tatsache, dass Demokratien langsam funktionieren. Aber in der EU habe man „Mechanismen gefunden, in denen wir hochkomplexe Themen abarbeiten“, unterstrich Kotthaus. „Das reicht vom Roaming bis zur Bankenaufsicht.“ Und im Moment sei man eben dabei, die schwierige Fragen der Flüchtlingspolitik zu lösen.