Auf dem Podium: Ulrich Gohl, Waldemar Grytz, Jörg Schulze-Gronemeyer, Christiane Lander und Martin Haar Foto: Elke Rutschmann

Im Stuttgarter Naturfreundehaus Steinbergle wurde über Vergangenheit und Zukunft der Waldheime diskutiert.

S-Nord - Beim Stichwort Waldheim beginnt bei den meisten Stuttgartern ein von positiven Erlebnissen belegtes Kopfkino. Auch bei Christiane Lander ist ein Leuchten in den Augen zu erkennen, wenn die Mitarbeiterin einer Waldheimküche von ihren drei Kindern erzählt, die sie mit dem „Waldheimvirus infiziert“ haben. Sie spricht von einem gutartigen Virus und unvergesslichen Erlebnissen, die ihre Kinder geprägt haben. „Inzwischen arbeiten sie selbst als Betreuer im Waldheim“, sagt Christiane Lander. Sie ist eine der vier Podiumsgäste bei der Veranstaltung „Solidarische Naherholung – Geschichte und Zukunft der Waldheime“ in der Reihe Stadtleben, zu der die Friedrich-Ebert-Stiftung ins Naturfreundehaus Steinbergle eingeladen hatte. Ulrich Gohl, Historiker und selbst Mitglied eines Waldheimvereins, hatte die Gäste mit einem Impulsvortrag auf das Thema eingestimmt.

Das erste Waldheim entstand in Heslach

Vor mehr als hundert Jahren wurde das Waldheim als Erholungsort für Proletarier und ihre Kinder gegründet. Arbeiterkinder sollten sich am Stadtrand beim unbeschwerten Spielen im Grünen erholen können, die Luft im Kessel war damals so schlecht, dass das Atmen schwerfiel. Im Jahr 1908 entstand im Stadtteil Heslach das erste Waldheim, das den hart arbeitenden Familien die Möglichkeit einer bezahlbaren Freizeitgestaltung im Grünen eröffnete. 1909 folgte Sillenbuch, das nach seiner Gründerin Clara Zetkin benannt wurde, 1910 Gaisburg, 1911 das Waldheim Zuffenhausen, 1912 Wangen und im selben Jahr Hedelfingen. Die Arbeiterkinder konnten sich fortan in der frischen Waldluft von Unterernährung und Krankheiten erholen.

Der Erste Weltkrieg führt zu einer Spaltung der Arbeiterbewegung in Sozialdemokraten und Kommunisten. „Aber in den Waldheimen waren sie noch gemischt, man nannte sie deshalb auch die Heime der feindlichen Brüder“, sagt Ulrich Gohl. Mit dem Dritten Reich kam das vorläufige Ende für viele Waldheime, die zu dieser Zeit schon größtenteils von den Kirchen betrieben wurden. Gebäude wurden enteignet, viele Waldheim-Mitarbeiter verhaftet, eingesperrt oder ermordet. Nach dem Krieg lebte die Idee wieder auf.

Waldheime stehen für solidarische Naherholung – ortsnah, erschwinglich und attraktiv. Waldheimzeit das bedeutet auch heute noch Freizeitspaß, der hauptsächlich im Freien stattfindet, fernab von Playstation, Smartphones oder Computern. Rund 9500 Kinder werden laut Jörg Schulze-Gronemeyer, Vorsitzender der AG Kinderstadtranderholung Waldheime und Leiter des Bereiches Jugend und Soziales bei der evangelischen Kirche in Stuttgart und von 1800 Helfern betreut – 470 Mitarbeiter sorgen in den Küchen für die Verpflegung der Kinder, die morgens mit dem Bus eingesammelt werden. „Doch es wird immer schwerer ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen“, sagt Schulze-Gronemeyer. Zudem wird es für die Träger immer schwieriger, Gemeinnutz und Rentabilität zusammenzuführen.

Umdenken gefordert

In der von Martin Haar, Redakteur unserer Zeitung, geführten Runde wurde diskutiert, wie man dieses Stück Stuttgarter Identität erhalten kann. Waldemar Grytz, der stellvertretende Landesvorsitzende der Naturfreunde fordert ein Umdenken bei den Waldheimvereinen. „Man muss die Mentalität aufbrechen und sich für andere öffnen“, sagt Grytz. Viele Vereine und Verbände seien auf Raumsuche und könnten die Waldheime außerhalb der Sommerfreizeiten mitnutzen.

Aber auch aus dem Publikum kamen Ideen, wie man das Stück Kulturgeschichte durch Impulse beleben kann: Einen stärkeren Einsatz von Socialmedia, um Veranstaltungen zu bewerben, die Nutzung am Nachmittag für Ganztagesschulen sowie eine stärkere Einbindung der jungen Mitarbeiter bei Entscheidungen.