Das Bürgergeld sorgt für Diskussionsstoff: Es helfe Menschen in echten Notlagen, sagt der Kreisdiakonieverband Esslingen. Es senke die Motivation zur Aufnahme einer Arbeit, meint dagegen der Esslinger Politiker David Preisendanz.
Streit über das Bürgergeld. Die Meinungen gehen auseinander: Es sei eine soziale Hängematte, und die staatliche Leistung beschränke die Arbeitsbereitschaft der Empfänger, meinen manche. Andere, wie der Kreisdiakonieverband Esslingen, verweisen auf soziale Notlagen, Hinderungsgründe für die Aufnahme einer Tätigkeit und die geringe Höhe der Zahlungen.
Oft seien die Bezieher von Bürgergeld unverschuldet in die finanzielle Bredouille geraten, sagt Lisa Pranter, Beraterin beim Kreisdiakonieverband, und sie berichtet von einem Fall aus ihrer Berufspraxis: Eine Frau arbeitete in der Industrie, machte Schichtdienst, verdiente gutes Geld. Dann erlitt ihr Mann einen Schlaganfall und musste gepflegt werden. Die Frau fuhr ihre Arbeitszeit herunter, gab den Schichtdienst auf, arbeitete in Teilzeit. Das Geld wurde knapp. Die Frau war auf Bürgergeld angewiesen.
Diese staatliche Leistung, so rechnet Tanja Herbrik, Geschäftsführerin des Kreisdiakonieverbands, vor, beträgt für eine Einzelperson 563 Euro im Monat. Üppig seien diese Zahlungen nicht: Eine Einzelperson habe etwa 195,39 Euro für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke, 46,72 Euro für Bildung und Schule, 50,50 Euro für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs. Die Erhöhungen der letzten Jahre seien größtenteils von der Inflation aufgefressen worden. 813 Euro seien nach Ansicht von Wohlfahrtsverbänden im Monat für ein „armutsfestes“ Leben nötig, ergänzt Tanja Herbrik. Das Auszahlen einer solche Summe aber sei utopisch.
Motivation zur Arbeit sinkt, meint Esslinger Politiker
Auf die hohen Kosten des Bürgergeldes – bereits ohne eine solche Erhöhung – verweist der Esslinger CDU-Bundestagsabgeordnete David Preisendanz: „Wir geben mittlerweile zehn Prozent des Bundeshaushaltes für das Bürgergeld aus.“ Die Leistung werde immer mehr als „bedingungsloses Grundeinkommen des Staates“ verstanden. Mit dem aktuellen System würden viel zu wenig Menschen in eine Beschäftigung vermittelt – trotz hunderttausend offener Stellen. Die Leistung diene mittlerweile dazu, Abhängigkeiten zu verfestigen und die Motivation zur Arbeit zu senken.
Arbeitsverweigerer, meinen dagegen die beiden Vertreterinnen der Kreisdiakonie, seien die absolute Ausnahme: 25 559 Personen beziehen ihren Angaben zu Folge im Landkreis Esslingen Bürgergeld. In diese Zahl seien auch Kinder in den Bezieherhaushalten mit eingerechnet. 48 Personen oder 0,3 Prozent davon seien im November letzten Jahres mit Leistungsminderungen sanktioniert worden. Der Grund dafür müsse aber keine ablehnende Haltung gegenüber einer Beschäftigung oder böser Wille sein. Es genüge beispielsweise einen Telefontermin mit dem Jobcenter oder einer anderen Behörde zu verpassen, um das Bürgergeld für einen oder mehrere Monate um zehn Prozent zu kürzen. Die Gründe für das Versäumnis könnten vielfältig sein – Krankheit, nicht zugestellte Schreiben, Verständigungsschwierigkeiten aufgrund von Sprachproblemen.
David Preisendanz verweist dagegen auf ein Akzeptanzproblem des Bürgergeldes in der Gesellschaft: „Viele hart arbeitende Menschen fragen sich beim Blick nach links und rechts, warum sie eigentlich früh morgens das Haus verlassen und den ganzen Tag schuften.“ Eine Grundsicherung müsse daher den Schwerpunkt darauf legen, Menschen in Arbeit zu bringen. Die Anreize zum Arbeiten seien bei den Empfängern schon da, meint Tanja Herbrik vom Kreisdiakonieverband. In Vollzeit beschäftigte Menschen mit Mindestlohn würden durch ihre Tätigkeit um 532 Euro über dem Bürgergeld liegen.
Auf den Solidaritätsgedanken verweist aber David Preisendanz: „Diejenigen, die arbeiten können, dürfen nicht erwarten, dass andere für sie zahlen.“ Es gehe auch um Solidarität mit denjenigen, die arbeiten und mit ihren Steuern und Beiträgen Sozialleistungen finanzieren. Doch nach Erfahrung von Tanja Herbrik und Lisa Pranter würden es sich die meisten Empfänger von Bürgergeld nicht in der sozialen Hängematte bequem machen. Sehr oft würden Erkrankungen, körperliche Einschränkungen, psychische Probleme oder fehlende Qualifikation gegen ein Beschäftigungsverhältnis sprechen. In manchen Fällen seien auch kleine Kinder zu versorgen oder Angehörige zu pflegen, sodass die Aufnahme einer Arbeit nur eingeschränkt möglich sei. Doch die meisten der Menschen, die nach dem Bezug von Bürgergeld eine Arbeit aufgenommen haben und nicht mehr auf die staatliche Leistung angewiesen sind, würden sich wohler fühlen als zuvor. Meist würden Notlagen gegen ein Arbeitsverhältnis sprechen.
Menschen in Not bräuchten Hilfe, meint auch David Preisendanz: „Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die zusammenhält und für diejenigen da ist, die in Not geraten sind. Das ist für mich völlig klar.“ Doch das aktuelle Bürgergeld würde darüber hinaus gehen.
Das Bürgergeld
Leistungen
Alleinstehende erhalten ein Bürgergeld in Höhe von 563 Euro im Monat. Die Miete, so der Kreisdiakonieverband Esslingen, werde bis zur Mietobergrenze in der jeweiligen Region zusätzlich übernommen. Kosten, die über diese Obergrenze hinausgehen, würden vom Bürgergeld abgezogen.
Zahlungen
Volljährige Partner innerhalb einer Hausgemeinschaft erhalten ein Bürgergeld in Höhe von 506 Euro. Für Kinder bis fünf Jahre werden 347 Euro bezahlt. Jugendliche von sechs bis 13 Jahren erhalten 390 Euro, von 14 bis 17 Jahren 471 Euro, Jugendliche von 18 bis unter 25 Jahren 451 Euro. Leistungen wie das Kindergeld werden auf das Bürgergeld angerechnet.