Gelten Dienstleister wie Essenslieferanten als angestellt oder als selbstständig? Im Europaparlament ist diese Frage umstritten.Foto: Adobe Stock Foto: /kebox

Millionen Menschen arbeiten für Firmen wie Uber und Deliveroo. Das Europaparlament will nun deren Rechte wesentlich stärken – doch es gibt harten Widerstand.

Sind Essenslieferanten und Kurierfahrer Angestellte oder Selbstständige? Über diese Frage wird in der EU heftig diskutiert. Dabei schien zumindest im Europaparlament der Streit beigelegt. Im Dezember hatte sich der Beschäftigungsausschuss mit klarer Mehrheit für die Verschärfung eines EU-Kommissionsvorschlags ausgesprochen. Wer für Uber, Deliveroo oder andere Plattformen arbeitet, soll grundsätzlich als beschäftigt eingestuft werden. Wollen die betroffenen Plattformen das ändern, also die Arbeiter als selbstständig einstufen, müssen sie dafür den Beweis erbringen.

Doch nun beklagen die Sozialdemokraten, dass die Fraktionen von Konservativen und Liberalen im Parlament das „wichtige sozialpolitische Projekt auf europäischer Ebene offenbar torpedieren“ wollen. Der Grund ist, dass die Abgeordneten das Verhandlungsmandat in diesen Tagen beschließen sollen. Doch unerwartet haben Politiker der EVP, in der auch CDU/CSU politisch beheimatet sind, genügend Stimmen gesammelt, um über diesen Schritt im Plenum noch einmal abstimmen zu lassen.

War der Lobbydruck der Plattformen zu stark?

Gaby Bischoff, arbeitspolitische Sprecherin der Europa-SPD, ist konsterniert. „Die Konservativen haben diesen Kompromiss mit ausgehandelt und ihn im Ausschuss mehrheitlich angenommen“, sagt sie und betont, dass dieser Schritt „sehr ungewöhnlich“ sei. Sie vermutet, dass der Lobbydruck von Plattformen wie Uber und Bolt in diesem Fall erfolgreich gewesen sein könnte.

Die digitale Plattformwirtschaft wächst rasant. Bereits heute sind nach Angaben der EU-Kommission fast 30 Millionen Menschen in Europa in diesem Arbeitsmarkt beschäftigt. Im Jahr 2025 wird mit 43 Millionen Beschäftigten gerechnet. Die überwiegende Mehrheit dieser Menschen ist tatsächlich selbstständig.

Allerdings wird davon ausgegangen, dass 5,5 Millionen fälschlicherweise als Selbstständige eingestuft werden. Dabei geht es um sehr viel Geld. Zwischen 2016 und 2020 verfünffachten sich die Einnahmen in der Plattformwirtschaft annähernd, von schätzungsweise drei Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro.

Ärger über die Einflussnahme

In der EVP-Fraktion brodelt es wegen der angestrebten Regelung schon länger. Mehrere Male haben konservative Politiker Anlauf genommen, den Text abzuschwächen – letztlich ohne Erfolg. Die Abstimmung im Plenum ist für sie die letzte Möglichkeit, doch noch Änderungen in ihrem Sinne durchzusetzen.

Damit stoßen sie allerdings auch den CDU-Abgeordneten Denis Radtke vor den Kopf, der maßgeblich an der Ausarbeitung des Papiers beteiligt war. Er ärgert sich weniger über den Widerstand seiner konservativen Kollegen, ist aber geradezu empört, wenn er daran zurückdenkt, wie zahlreiche Lobbyisten versucht haben, Einfluss auf den Inhalt der Richtlinie zu nehmen.

„Da wurden teilweise gezielt Lügen und Halbwahrheiten gestreut“, sagt Radtke. Er erinnert sich noch an einen Brief des Verbandes der selbstständigen Handelsvertreter, in dem vehement vor der Richtlinie gewarnt worden sei. „Dabei sind die nicht einmal betroffen“, erklärt der CDU-Politiker mit ungläubigem Kopfschütteln. „Das habe ich doch selbst in den Text reinverhandelt.“

Auch der Vorwurf, dass hochqualifizierte Soloselbstständige wie Ingenieure oder Berater in Zukunft in ein Angestelltenverhältnis gezwungen würden, muss Radtke immer wieder entkräften. „Diese Aussage ist doch schlichter Unsinn, die können weiterarbeiten wie bisher“, kontert der Sozialpolitiker.

Radtke: Eine Frage des Anstands

Besonders ärgert den CDU-Mann aber, dass sich einige seiner Kollegen mit dem Argument gegen die Richtlinie stemmen, dass das Parlament angesichts einer drohenden Rezession in Europa die wichtige Arbeit über die Plattformen nicht abwürgen dürfe. „Da kann ich nur sagen: Wenn ein Geschäftsmodell nur funktioniert, wenn Menschen ausgebeutet werden, dann brauchen wir das nicht“, sagt Denis Radtke sehr entschieden. „Stundenlöhne weit unterhalb des Mindestlohnes als Antwort auf die Rezession anzusehen ist zynisch und eine moralische und politische Bankrotterklärung.“

Bis zu einer endgültigen Regelung ist es allerdings noch ein weiter Weg. So muss sich das EU-Parlament noch mit den Mitgliedstaaten einigen, aber auch dort liegen die Positionen weit auseinander. Die Sozialdemokratin Gaby Bischoff und der Christdemokrat Denis Radtke hoffen, dass sie mit einem starken Mandat in diese Verhandlungen gehen können. Schließlich gehe es um den Kampf für grundlegende Errungenschaften wie das Recht auf eine Arbeitslosen- oder Krankenversicherung.