Jeder dritte Arbeitnehmer im Land, dessen Partnerwahl oder Geschlechtsidentität als ungewöhnlich angesehen wird, erfährt Ablehnung von Kollegen Foto: dpa

Viele Arbeitnehmer, deren Partnerwahl als ungewöhnlich gilt, erfahren Ablehnung von Kollegen. Das Land will mit einem Aktionsplan gleiche Rechte für Schwule und Lesben schaffen. Für Arbeitgeber gibt es dadurch aber keine neuen Vorschriften. Vor allem Mittelständler hinken im Kampf gegen Diskriminierung hinterher.

Stuttgart - Mut braucht man nicht nur zum Klippenspringen, sondern manchmal auch zum Kaffeetrinken. In der Frühstücksrunde im Büro, sagt Mathias Reimann, „überlegt man schon, was man sagt“. Alle reden vom Wochenende – und damit meist von der Familie. Die weicht bei Reimann von dem ab, was viele als Norm ansehen. Der 39-Jährige ist schwul. Seinen Kollegen sage er das auch. „Aber sonst habe ich noch nicht viele Leute erlebt, die offen darüber sprechen, zum Beispiel bei Vorstellungsrunden in Seminaren“, sagt Reimann.

Wenn Mitarbeiter aus Angst vor Diskriminierung ihre sexuelle Orientierung verstecken, sind sie weniger leistungsfähig. Ein Drittel der Arbeitskraft, so Reimann, ginge beim Versteckspiel für permanentes Überlegen drauf: Wie viel vom Wochenende erzähle ich bei der Frühstücksrunde? Kann mein Partner im Büro anrufen, wenn ich krank bin? Wie würde mein Chef darauf reagieren, dass ich schwul bin?

Damit solche Gedanken im Hinterkopf nicht die Arbeit bremsen, engagieren sich einige Unternehmen in der Region Stuttgart bereits aktiv für Offenheit gegenüber sexueller Vielfalt. Mathias Reimann arbeitet als Gruppenleiter in der Sensortechnik bei Bosch. Das Unternehmen hat, wie der Konzern Daimler, eine eigene Abteilung zum Thema Vielfalt. In beiden Firmen gibt es schwul-lesbische Mitarbeiternetzwerke, die die Konzerne inhaltlich und finanziell fördern. Reimann ist der Sprecher des Netzwerks bei Bosch.

Mittelständler hinken beim Kampf gegen Diskriminierung hinterher

Neben Daimler und Bosch hat auch die Landesbank Baden-Württemberg eine eigene Stelle für Vielfalt, also einen sogenannten Diversity-Beauftragten. Die Stadt Stuttgart mit rund 14 000 Beschäftigten hat seit 2013 eine Ansprechstelle speziell für Lesben, Schwule, bi-, trans-, intersexuelle und queere Menschen (LSBTTIQ, siehe Infokasten).

Dagegen scheinen vor allem Mittelständler in der Region beim Kampf gegen Diskriminierung hinterherzuhinken. Viele mittelständische Arbeitgeber, zum Beispiel das Klinikum Stuttgart mit rund 7000 Mitarbeitern im Großraum Stuttgart, Wüstenrot und Württembergische (6000), Trumpf (3000), Dürr (2500), Mann und Hummel (1600) und der Caritasverband Stuttgart (1400), haben keinen expliziten Diversity-Beauftragten.

Bei der Caritas sei es wegen der kirchlichen Grundordnung streng genommen nicht möglich, Menschen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu beschäftigen, so ein Sprecher. Bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg habe nach Angaben eines Sprechers die Beauftragte für Gleichstellungsfragen sexuelle Vielfalt „mit auf dem Schirm“. „Einen expliziten Diversity-Beauftragten werden Sie bei kaum einem Mittelständler finden“, sagt Dürr-Sprecher Günter Dielmann. „Bei uns läuft das auf kleiner Flamme. Wir pushen das Thema nicht.“

Jeder Dritte hat negative Reaktionen erlebt

Das geringe Engagement vieler Arbeitgeber hat Folgen: Bei einer Online-Umfrage des Sozialministeriums Baden-Württembergs unter LSBTTIQ-Menschen gab fast jeder dritte Erwerbstätige an, am Arbeitsplatz in den letzten fünf Jahren negative Reaktionen erlebt zu haben – zum Beispiel Tuscheln, Witze, Gerüchte oder Herabsetzungen.

Der Bundesverband Schwuler Führungskräfte Völklinger Kreis kritisert, dass das Engagement von Unternehmen zum Thema sexuelle Orientierung stagniere. Der positive Entwicklungstrend, den der Verband noch 2011 beobachtet hatte, setzte sich in der Zeit danach laut einer Studie aus dem Jahr 2013 nicht fort. Dabei sei das Risiko von Diskriminierung gegen Homosexuelle gerade in Industrieunternehmen – im Südwesten stark vertreten – hoch, warnt ein Sprecher des Sozialministeriums: „Am Band herrscht oft eine üppige Machokultur. Da scheint es mir fast unmöglich, sich zu outen.“

Das Land Baden-Württemberg will nun mit dem Aktionsplan „Für Akzeptanz und gleiche Rechte“ Vorreiter für Offenheit gegenüber sexueller Vielfalt werden. Aber mit dem Plan, dessen Inhalt gerade noch verhandelt wird, setzt sich das Land in erster Linie Ziele für die eigene Verwaltung. Für andere Arbeitgeber wird der Plan nach Angaben des Sozialministeriums keine unmittelbaren Auswirkungen haben. Vorschriften aus der Politik seien kein guter Weg, um Diskriminierung in der Wirtschaft zu bekämpfen, so ein Sprecher des Ministeriums.

Das Ziel: ein respektvoller Umgang ohne Getuschel

Um Versteckspielchen zu vermeiden und die Leistungsfähigkeit aller Mitarbeiter zu sichern, müssen Unternehmen sich also selbst zu Veränderungen aufraffen. Eine feste Stelle oder ein Gremium als explizite Ansprechpartner zum Thema Vielfalt zu schaffen seien die wichtigste Maßnahme gegen Diskriminierung, sagen Experten.

Dieser Ansprechpartner oder Diversity-Beauftragte sollte unter anderem Daten über die am ehesten diskriminierten Gruppen sammeln und messbare Ziele erarbeiten, die eine Firma hinsichtlich der Mitarbeitervielfalt erreichen möchte. Das empfiehlt die Diversity-Forscherin Laura Dobusch. Sie unterstreicht, dass die Unternehmenskultur sich nicht von heute auf morgen wandele – und dass gutes Diversity-Management Geld koste.

Der Wiener Unternehmensberater Norbert Pauser unterstützt seit rund 12 Jahren Firmen zum Thema Vielfalt. Er betont, dass der Kampf gegen Diskriminierung keineswegs als Umerziehung gesehen werden sollte. Das Ziel sei nicht, den Leuten ihre Sichtweisen – zum Beispiel die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen – abzugewöhnen.

„Tolerieren bedeutet vielmehr, dass man etwas aushalten kann, dem man selbst nicht zustimmt“, sagt Pauser. Das Ziel müsse ein respektvoller Umgang ohne Getuschel sein. Mathias Reimann von Bosch ist optimistisch, dass dieser Anspruch – zumindest im eigenen Unternehmen – erreicht werden kann: „Wir sind auf einem guten Weg. Aber bis sich alle angenommen fühlen, wie sie sind, haben wir noch einen Schritt vor uns.“