„Diese Terrorakte haben in vielerlei Hinsicht eine neue Qualität“, sagt Frank Baasner. Foto: DFI

Frank Baasner, der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, erklärt im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung, warum Paris zum wiederholten Mal zum Ziel von Dschihadisten wurde.

Stuttgart - Die Nachricht von den Terroranschlägen in Paris hat Frank Baasner in der Nähe von Bordeaux erreicht. Dort bereitet der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts im Moment eine Buchpräsentation mit dem früheren französischen Premierminister Alain Juppé vor. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung erklärt Baasner, warum Paris zum wiederholten Mal zum Ziel von Dschihadisten wurde – und warum er nicht glaubt, dass Deutschland in gleichem Maß gefährdet ist.

Herr Baasner, wie beurteilen Sie die Anschläge von Paris?
Diese Terrorakte haben in vielerlei Hinsicht eine neue Qualität – nicht nur wegen der extrem hohen Anzahl von Opfern, sondern auch in der Art, wie die Nation darauf reagiert.
Nämlich wie?
Interessant ist, dass inzwischen alle von Krieg sprechen: die Politiker, die Sicherheitskräfte, ja sogar die Mediziner. In der Nacht zum Samstag wurden ja praktisch alle Ärzte in Paris zum Dienst zwangsverpflichtet – und die erklärten, dass sie jetzt Kriegsmedizin zu leisten hätten. Der frühere Staatspräsident Nicolas Sarkozy sprach sogar von „totalem Krieg“. Stellen Sie sich vor, was in Deutschland los wäre, wenn ein ehemaliger Präsident dieses Wort in den Mund nähme…
Ist diese verbale Entgleisung Kalkül, weil Sarkozy schon auf die Regionalwahl in zwei Wochen schaut, oder eher ein Zeichen von Verunsicherung?
Beides. Die Franzosen sind sehr verunsichert. Sie fühlen eine Ohnmacht, weil sie wissen, dass solche Anschläge nicht zu verhindern sind, wenn man weiterhin in einem freien Land leben will. Allerdings weiß man auch, dass in Frankreich etwa 4000 gewaltbereite Dschihadisten registriert sind. Der Generalsekretär von Sarkozys neuer Partei (die frühere konservative Partei „Union für eine Volksbewegung“ (UMP) firmiert seit einem halben Jahr als „Die Republikaner“, Anmerkung der Redaktion) hat deswegen gefordert, dass diese Schläfer aus dem Verkehr gezogen werden. Damit will er natürlich auch ein Zeichen an die Bevölkerung senden – und verhindern, dass Marine Le Pen und der Front National noch stärker werden.
Kann ihm das gelingen?
Es gibt nicht wenige, die schon immer einen latenten Rassismus praktizierten. Die fühlen sich durch die Anschläge bestätigt. Aber es besteht nun ein erhebliches Risiko, dass auch die schweigende Mehrheit nach rechts kippt.
Warum ist ausgerechnet Frankreich zum wiederholten Mal das Ziel von islamistischen Terroristen?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen beteiligt sich Frankreich an den Kämpfen gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien und dem Irak. Zum anderen finden die Terroristen in Paris den perfekten Nährboden vor. Es gibt dort viele frustrierte junge Araber, die sie instrumentalisieren können. Um solche Anschläge verüben zu können, brauchen die Hintermänner Leute mit Ortskenntnissen. Die müssen wissen, wo ein Konzert stattfindet, bei dem viele Zuschauer sind, man aber dennoch unerkannt reinkommt. So ein Terrorakt ist keine spontane Angelegenheit, sondern akribisch geplant.
Sehen Sie Parallelen zu den Anschlägen auf Charlie Hebdo?
Was die Ausgangslage und die Rekrutierung der Attentäter angeht, ja. Aber in der Gestaltung waren die beiden Aktionen sehr unterschiedlich. Die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und ein jüdischer Supermarkt waren sehr ausgesuchte Ziele. Dort sollten ganz bestimmte Personen oder eine ganz bestimmte Gruppe getroffen werden. Jetzt ging es um etwas anderes: Es sollte möglichst viele Tote geben. Die Attentäter haben wahllos auf alle Menschen geschossen, die sie treffen konnten. Darunter hätten auch Frauen in Burka sein können.
Befürchten Sie eine Ausweitung dieser Gewalt nach Deutschland?
Zunächst einmal glaube ich tatsächlich, dass wir Glück hatten, dass wir bis jetzt von Anschlägen dieser Größenordnung verschont geblieben sind. Aber wir haben auch eine andere Situation als in Frankreich. Dort sind die meisten Muslime Araber, bei uns sind es vor allem Türken. In Syrien und im Irak findet aber ein arabischer Krieg statt. Wäre das Kriegsgeschehen mit dem IS in der Türkei, hätten wir eine wesentlich schärfere Gefahrenlage in Deutschland.
Ein Großteil der Flüchtlinge, die jetzt nach Deutschland kommen, sind arabische Syrer. Befürchten Sie, dass mit ihnen auch der Terror nach Deutschland kommt?
Niemand weiß ganz genau, ob sich auch Dschihadisten in dem Flüchtlingsstrom befinden. Aber es würde mich wundern, wenn es viele wären.
Warum?
Weil diese Leute nicht von Schleusern geführt über die Balkanroute nach Deutschland kommen. Die sind bestens organisiert und könnten sich ein Flugticket zu ihrem Zielort leisten.