Bierfahrer in der Stiftstraße (1920er Jahre) Foto: Michele Danze

Die Brauerei Dinkelacker belebt eine Tradition wieder und fährt ihr Bier mit Bierkutscher und zwei Pferdestärken aus.

Stuttgart - Michel macht Rabatz. Er tritt in den Schubkarren, der einen Salto schlägt. Unwillkürlich weicht man einige Schritte zurück. Wenn ein solcher Kanten mit 1,90 Meter Schulterhöhe und 1200 Kilo Gewicht aufmuckt, hält man lieber Abstand. Peter Müller kennt seine Pappenheimer, er tätschelt das französische Kaltblut und sagt: „Es geht gleich los!“ Aha, dem achtjährigen Michel ist langweilig. Kein Wunder, um 6 Uhr ist er mit seinem Kumpel Mika (5) aufgestanden, gemeinsam haben sie Mais, Hafer, Zuckerrübenschnitzel und Heu gefrühstückt, und nun fünf Stunden später wird der Stall in dem alten Betriebshof der Brauerei in Heslach langsam zu klein. Sie wollen schleppen und schuften. Von wegen leichtlebige Franzosen. Mit der frischen Luft ihrer eigentlichen Heimat in Alfdorf haben sie wohl auch die schwäbische Schafferseele eingesogen.

Peter Müller spannt an. Er ist einer der letzten seiner Art. Er fährt Bier aus, nach alter Väter Sitte. Vom Kutschbock aus, neben ihm Harald Panser von der Brauerei, vorne ziehen Mika und Michel, hinten auf der Kutsche stapelt sich das Jubiläumsbier von Dinkelacker. 125 Jahre gibt’s die Brauerei, deshalb hat man ein spezielles Bier gebraut, und fährt es einige Wochen lang mit einer Kutsche in die Kneipen. Heute geht es ins Lehen im Lehenviertel, dann zu diversen Lokalen am Hans-im-Glück-Brunnen, ins Oblomov, ins Troll und ins Augustenstüble im Westen und dann zurück nach Heslach.

Müllers Vorgänger erkannte man an drei Dingen, der Mütze, der Lederschürze – und der Schwertgosch. Was dem Autofahrer die Hupe ist, war dem Bierkutscher die große Klappe. Man musste sich die Vorfahrt erbrüllen und eignete sich dabei ein beachtliches Repertoire an Flüchen zu. Zumal die Widersacher auch nicht maulfaul waren. Doch warum soll man heute noch zetern, der im Blech eingedoste Fahrer hört es eh nicht.

Kutscher und Pferde bringt nichts aus der Ruhe

Dafür zückt er heutzutage gerne sein Telefon und fotografiert die Kutsche. Würden Mika und Michel für jedes Foto einen Hafer Heu bekommen, könnten sie sich bis an ihr Lebensende kugelrund fressen. Gut, beiden scheint das Stargehabe fremd zu sein, unbeeindruckt von den Paparazzi trotten sie voran. Auch die Überholmanöver mancher Vollgastrottel, die linke Hand am Lenkrad, die rechte mit dem Telefon aus dem Fenster hängend, den Wagen kurz vor den Hufen einscherend, bringt sie nicht aus der Ruhe. „Denen macht das nichts aus“, sagt Müller. Und meint damit neben dem Verkehr auch den Lärm und den Asphalt.

Er selbst ist ebenso gelassen wie die Kaltblüter. Er ist ohnehin nicht der klassische Typ Bierkutscher, sondern ein Landwirt und Pferdezüchter aus dem Schwäbischen Wald. Eher wortkarg denn wortgewaltig. So kommt er mit vier Kommandos aus. Ruft er Hüüüü!, traben Mika und Michel voran. Ohaaa! heißt bremsen, hott! bedeutet rechts, auf Hüst! muss man nicht mit „Gesundheit“ antworten, das ist das Zeichen für Mika und Michel: Es geht nach links.

Daneben lenkt Müller mit dem Zügel, zieht an oder gibt nach, eine Trommelbremse hilft, wenn es bergab geht. Gerade in Stuttgart ist das sinnvoll. Mika und Michel sind es gewohnt. Seit Jahren ziehen sie mit ihren Kollegen von Müllers Hof die Festkutsche zum Volksfest und wieder zurück. Doch das ist nur Folklore, das Posieren vor dem Festzelt ist ebenso Tarnung wie die Lederhosen und die Dirndl der Trinker. Das Bier kommt selbstverständlich mit dem Laster zum Wasen. Nun ist das anders. Man frage nach bei Harald Panser. Er lädt die Kisten und Fässer ab. Während Müller Mikas und Michels Durst stillt, mit Wasser, nicht mit Bier. Da ticken sie anders als die Bauarbeiter, die an die Kutsche kommen und nach einer Flasche fragen. Und von Panser auch hin und wieder beschert werden. Zum Wohl!

Auch ein Pferd braucht mal ein Bier

Wobei Mika und Michel wohl auch ein Bierchen vertragen würden. Dem australischen Wallach Diamond Mojo hat eine Flasche Bier gar das Leben gerettet. Er litt an einer Kolik, sein Besitzer Steve Clibborn hatte schon Abschied genommen. „Nach 23 Stunden Leidens hatte ich mich von ihm verabschiedet“, sagt er, „da erinnerte ich mich an eine Legende und flößte ihm ein Bier ein.“ Diamond Mojo rülpste, es ging ihm besser, also schenkte Clibborn nach. Diamond Mojo trank, machte Bäuerchen und überlebte.

Vielleicht hätten Mika und Michel also auch Reichhaltigeres als Wasser verdient für ihr acht Stunden langes Tagwerk, bis zu 22 Kilometer legen sie zurück. Zumal es für Pferde keine Promillegrenze gibt. Doch bisher reicht ihnen Heu und Wasser. Was auch besser für Müllers Geldbeutel ist. Denn Diamond Mojo fand solchen Geschmack am Bier, erzählt Clibborn, dass er nun Wasser verschmäht und „mich seine Trinkerei ein Vermögen kostet“.