Der Neubau der Experimenta in Heilbronn (hier ein Fotomodell) soll mit der Planungs- und Baumethode BIM erstellt werden, die derzeit die Baubranche revolutioniert. Foto: Sauerbruch Hutton Berlin

Das Bauen im Land könnte schneller, günstiger und sicherer sein. Doch nur, wenn mehr Unternehmen die revolutionäre Planungs- und Baumethode BIM anwenden würden. Die Chancen stehen vor allem in der Region Stuttgart gut. Sie könnte bundesweit Vorreiter sein.

Heilbronn/Stuttgart - Wenn der Bauexperte Mirco Beutelspacher die Zukunft des Bauens beschreibt, dann verweist er auf Heilbronn. Dort entsteht gerade der Neubau des künftig größten deutschen Wissenschaftszentrums Experimenta. Der Entwurf des von der Dieter-Schwarz-Stiftung getragenen Gebäudes ist mit seiner spiralförmig versetzten Fassade und der riesigen Kuppel – dem Science Dome – spektakulär. Doch noch bemerkenswerter ist, was nicht sichtbar ist: Die komplexe Struktur des Gebäudes ist bis ins kleinste Detail digital erfasst, und selbst Funktionen wie Energie, Wärmepumpentechnik und Grundwassernutzung werden bereits virtuell getestet. „Allein das spart hohe sechsstellige Investitionsbeträge sowie Betriebskosten in jährlich fünfstelliger Höhe“, sagt Beutelspacher. „Mit der Methode BIM bekommen wir die virtuelle und reale Welt überein.“

BIM elektrisiert derzeit die Baubranche, denn mit der Methode lässt sich schneller, weniger fehleranfällig und damit günstiger bauen. Sie ist die Abkürzung für Building Information Modeling, also die Modellierung von Bauwerksdaten. Dabei werden potenziell all jene vernetzt, die ein Gebäude von der Planung, Instandhaltung bis zum Abriss begleiten: Architekten, Fliesenleger, Innendesigner, Facility Manager, Abrissfirmen. Sie alle haben Zugriff auf ein digitales, meist dreidimensionales Modell, das das Gebäude und seine Teile im Detail darstellen. Zu jedem Teil lassen sich neben Größe oder Gewicht zusätzliche Angaben wie Stückzahl, Bauzeitpunkt, Lieferant, Materialeigenschaften und Kosten ergänzen. Im Idealfall fügen sich Material und Arbeitsschritte nahtlos ein. Keine Lüftungsleitung, die sich mit der Heizungsleitung überschneidet. Kein Elektriker, der nicht ins Bad gelangt, weil der Fliesenleger schon vergeblich mit den falschen Plattenmaßen werkelt.

Das Bauen mit BIM zeigt: Die Kosten gehen herunter

„Schon jetzt haben wir bei dem Neubau der Experimenta die Bauabläufe deutlich optimieren und Kosten sparen können, obwohl das Gebäude sehr komplex ist“, sagt Beutelspacher. Als Partner bei der Stuttgarter Immobilienberatungsfirma Drees & Sommer und Experte für BIM-Themen integriert er die Methode in seine Projekte. Beim Experimenta-Neubau trägt das Unternehmen die Gesamtverantwortung. „Wenn BIM bei der Experimenta funktioniert, dann funktioniert die Methode bei jedem anderen Gebäude auch.“

Doch nur 15 Prozent der Unternehmen setzen BIM für die Bauausführung und 24 Prozent für die Bauplanung ein, wie eine Studie von BRZ, einem IT-Dienstleister für die Baubranche, ergibt. Und eine aktuelle Umfrage der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zeigt, wie sehr die Baubranche bei der Digitalisierung hinterher hinkt: Nur 26 Prozent der Bauunternehmen haben Digitalisierungsprojekte für die kommenden zwei Jahre fest eingeplant – das ist weit unter dem branchenübergreifenden Schnitt von 42 Prozent. 30 Prozent der Bauunternehmen sehen gar keinen Bedarf zu einer weiteren Digitalisierung. „Es gibt enormen Nachholbedarf“, kritisiert Bernhard Sänger, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V., zu der 1500 Unternehmen und rund 42 000 Beschäftigte des Baugewerbes und der Bauindustrie zählen. Dabei setzten viele ausländische Investoren, aber auch immer mehr öffentliche Auftraggeber und große private Bauherren im Land den Einsatz von BIM mittlerweile als Vergabekriterium voraus.

Vor allem die kleineren und mittelständischen Baubetriebe im Land hinken dieser Entwicklung noch hinterher, betont Hauptgeschäftsführer Dieter Diener. Oft seien zu wenige leitende Mitarbeiter mit Tablets ausgestattet, damit sie auf der Baustelle Daten erfassen und vorhandene Informationen zum Bauprojekt abrufen können. Viele altgediente Baufachleute würden zudem lieber noch mit zweidimensionalen Papierplänen arbeiten. „Wer aber im Wettbewerb bestehen möchte, muss sich und seine Mitarbeiter rechtzeitig qualifizieren – vom Bauleiter bis hin zum Polier“, kritisiert Diener.

In 15 bis 20 weiteren Städten haben sich nach dem Stuttgarter Vorbild BIM-Cluster gebildet

Fachleute wie Peter Steinhagen wollen das ändern. Der Prokurist des Stuttgarter Baukonzerns Ed. Züblin AG setzt sich als Vorsitzender des Fachbereichs Bautechnik im Verein Deutscher Ingenieure (VDI) für die Digitalisierung der Braubranche ein und gilt als einer der BIM-Pioniere im Land. 2015 hat er in Stuttgart den bundesweit ersten BIM-Cluster initiiert, der die Methode verbreiten helfen soll. „Wir haben das gemacht, um eine Plattform in Stuttgart aufzubauen und die Beteiligten zusammenzubringen. Die Baubranche ist kleinteilig, deshalb muss man über Unternehmensgrenzen hinweg zusammenarbeiten“, so Steinhagen. Mehr als 500 Teilnehmer habe man mit BIM seitdem vertraut gemacht. In 15 bis 20 weiteren deutschen Städten seien seitdem Cluster nach dem Stuttgarter Vorbild gegründet worden.

Denn hier seien die Voraussetzungen exzellent: Stuttgart habe nicht nur die höchste Architektendichte der Republik, international ausgerichtete Ingenieurbüros und renommierte Baufirmen. Die Landesregierung treibe die Digitalisierung der Planungs- und Bauwirtschaft im Ländervergleich am entschiedensten voran. „Hier stand zum ersten Mal die Digitalisierung der Bauwirtschaft im Koalitionsvertrag. Nordrhein-Westfalen hat jetzt nachgezogen“, sagt Steinhagen. Baden-Württemberg könne deutschlandweit ein Motor sein. „Bauen ist Ländersache. Im Ausland sind die Regierungen und große öffentliche Auftraggeber die Treiber. Das sollte auch hier so werden.“

Baden-Württemberg will die Akteuere länderübergreifend zusammenbringen

Tatsächlich hat Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) erst vor kurzem bei einem Treffen mit ihren Ministerkollegen der Länder das Thema auf die Tagesordnung gebracht. „Um die Branche bei der digitalen Transformation angemessen zu unterstützen, müssen Bund und Länder zusammenarbeiten“, sagt sie. „Es braucht hierbei klare Standards sowie eine entsprechende Weiterentwicklung des Aus- und Weiterbildungsangebots.“

BIM-Experten wie Beutelspacher und Steinhagen hätten lieber vom Digitalen schon jetzt mehr real und mahnen ein höheres Tempo an. Das betreffe aber neben der Politik auch die Bauwirtschaft selbst. Zu lange habe die Branche von günstigen Arbeitskräften profitiert und Innovationen hinausgeschoben, kritisiert Beutelspacher. Und Steinhagen betont: „Wir müssen uns nach der Decke strecken. Nur so bleiben wir auch für die Fachkräfte attraktiv.“