Auf dem Digitalgipfel in Stuttgart rücken auch Branchen jenseits der Industrie und der Metropolen in den Blick. Zehn neue Digitalzentren in den Regionen fördern technologische Kooperation zwischen Start-ups und etablierten Firmen.
Stuttgart - Das Land Baden-Württemberg will das Thema Digitalisierung über die großen Unternehmen und die Metropolen hinaus noch breiter verankern. Auf einer Großveranstaltung in der Stuttgarter Carl-Benz-Arena mit rund 1000 Teilnehmern – doppelt so viel wie ursprünglich erwartet – präsentierte das Wirtschaftsministerium vorbildliche Beispiele. Dabei richtete sich der Blick nicht nur auf die Industrie, sondern auch auf Handwerk und Dienstleistungen. In einer zu der Veranstaltung veröffentlichten Studie steht Baden-Württemberg leicht besser da als der Bundesdurchschnitt – allerdings vor allem wegen der großen Firmen und Branchen im Land.
Neue Digitalzentren in der Fläche
Um die Digitalisierung in den Regionen zu fördern, präsentierte die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole-Hoffmeister Kraut zehn ausgewählten Standorte für digitale Innovationszentren („Digital Hubs“) . Bei diesen vom Land geförderten Projekten soll auch abseits der Metropolen und im ländlichen Raum Start-ups mit etablierten Firmen zusammengebracht werden sowie die Verbindung zu den Hochschulen der jeweiligen Region intensiviert werden. Es gehe um „Erlebnisräume“ für die Digitalisierung, sagte die Wirtschaftsministerin.
Insgesamt werden vom Land zehn Millionen Euro investiert. „Wir wollen als Standort auch in der Fläche attraktiv bleiben“, sagte Hoffmeister-Kraut. Als eines der größten bestehenden Probleme bezeichnete sie die insbesondere im ländlichen Raum immer noch fehlende Kapazität an Internet-Breitbandverbindungen. Es sei im übrigen wichtig, über die starke Industrie hinauszudenken. Sie nannte als Beispiel die Medizintechnik, wo Baden-Württemberg großes Potenzial habe.
Erfolgsgeschichten abseits der Industrie – auch auf Youtube
Auf der Veranstaltung wurde auch Europas erfolgreichste Youtube-Bloggerin aus dem Bereich Kochen präsentiert. Vom badischen Waghäusel aus hat Saliha Özcan mit ihrem auf Koch- und Backtipps spezialisierten Kanal „Sally’s Welt“ mit zwölf Millionen monatlichen Nutzern und bereits 260 Millionen Aufrufen allein im deutschen Sprachraum den zweitgrößten Konkurrenten in Europa mit acht Millionen Besuchern klar auf Platz zwei verwiesen. Mit ihren 32 Angestellten will sie bald zwölf Millionen Euro Umsatz machen. „Soziale Medien“ nannte Özcan als ihren entscheidenden Standortfaktor. Peter Gress aus Esslingen zeigte, wie sich auch ein Friseur der Digitalisierung öffnen kann, insbesondere um für den Berufsnachwuchs attraktiv zu werden – etwa durch Kommunikation auf sozialen Medien oder durch eine Ausbildung mithilfe von virtueller Realität. „Anders können sie die jungen Leute heute weder gewinnen noch halten“, sagte Gress.
Mahnung zu globalem Denken
Ulrich Dietz, der Gründer und heutige Verwaltungsratsvorsitzende des Stuttgarter IT-Dienstleisters GFT, mahnte als Gastredner jedoch davor, im Land zu kleinteilig zu denken. Die Unternehmen im Land müssten sich noch viel mehr öffnen: „Sie können nicht alles alleine im kleinen Kämmerchen machen. Wenn sie schneller werden wollen, brauchen sie Know-how von außen.“ Ohne Kooperation mit anderen Firmen und ohne Talente im und aus dem Ausland sei dies nicht zu schaffen. „Sie können nicht nur da sitzen und darüber klagen, dass sie die Leute nicht in ihre Region bekommen“, sagte Dietz. Es gehe nicht mehr nur um einzelne Produkte, sondern um globale Plattformen wie sie etwa die USA und immer öfter auch China entwickelt hätten. Dazu brauche es eine globale Perspektive.
Jens Kühnapfel, Mitgründer von Virtual Q, bekräftigte diese These. Das Stuttgarter Start-up, das Warteschleifen bei Telefon-Hotlines vermeidet, hat inzwischen sogar Kunden in Afrika: „Vor 20 Jahren wäre das für ein kleines Start-up noch völlig unmöglich gewesen.“ Die Hilfen für Start-ups insbesondere bei der Entwicklung ihres Geschäftsmodells seien im Land heute viel besser als vor wenigen Jahren, sagte Andreas Bihlmaier vom Karlsruher Robotik-Spezialisten Robodev, einem typischen Vertreter der auf Geschäftskunden ausgerichteten, heimischen Start-ups. Woran es aber fehle, sei Kapital:. „Sie haben dann jede Menge Kunden. Doch wenn niemand bereit ist, in sie zu investieren, sind sie trotz Aufträgen in einem halben Jahr pleite.“
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