Die Mitarbeiter im Vertriebsinnendienst der Württembergischen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz. Foto: dpa

Der neue Vertriebsvorstand der Württembergischen Versicherungen drückt aufs Tempo. Er will den Vertrieb ins digitale Zeitalter führen. Ein kleiner Bereich bekommt die Auswirkungen als Erster zu spüren.

Stuttgart - Der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Kurz vor Weihnachten hat der designierte Vorstandschef der Württembergischen Versicherungen, Thomas Bischof, die Mitarbeiter des Vertriebsinnendienstes in Stuttgart überraschend in den großen Sitzungssaal eingeladen. Was der 43-Jährige, der erst vor gut einem halben Jahr als Vertriebsvorstand zur Württembergischen gestoßen ist, der Belegschaft zu sagen hatte, löste eine Unruhe aus, die bis heute anhält.

Dabei hat Bischof zunächst die bisherigen Erfolge des Vertriebsinnendienstes begeistert gelobt. Um dann, unterstützt von der Unternehmensberatung McKinsey aufzuzeigen, wo es besser laufen könnte. Dabei ging es nicht allein darum, Kosten zu senken. Bischof präsentierte eine vollkommen neue Organisation des Vertriebs im Innendienst. Die Ansage war: Niemand werde sich mehr in dem von ihm gewohnten Kästchen wiederfinden.

Was bei den Mitarbeitern vor allem ankam: Von den 160 Vollzeitstellen, die im Innendienst für den Vertrieb der Württembergischen Sachversicherung und der Württembergischen Lebensversicherung zuständig sind, sollen künftig 60 Vollzeitstellen wegfallen. Andererseits sollen für neue Aufgaben wie eine moderne Datenanalyse oder eine bessere Markt- und Wettbewerbsbeobachtung 25 Vollzeitstellen neu geschaffen werden. Unter dem Strich werden in diesem Bereich des Vertriebsinnendienstes 22 Prozent der Vollzeitstellen gestrichen. Insgesamt hat die Württembergische 3200 Vollzeitstellen im Innendienst, doch der betroffene Bereich, der den Außendienst unterstützen soll, gilt als besonders wichtig.

Es geht darum, den Vertrieb ins digitale Zeitalter zu führen

Was für Aufregung sorgt, bringt ein Mitarbeiter auf den Punkt: Jeder weiß, Veränderungen stehen an, aber keiner weiß, ob und wo er sich in der neuen Struktur wiederfindet. Zwar hat der Konzern seit der Sanierungsphase von 2006 bis 2009 immer wieder Stellen in weit größerem Ausmaß sozialverträglich abgebaut, der Vertriebsinnendienst der Württembergischen blieb davon jedoch bisher verschont. Umso mehr überrascht nun viele das Tempo, das der neue Vorstand an den Tag legt – und das Ausmaß der geplanten Veränderungen. Bis 1. Juli soll die neue Struktur stehen.

Es geht darum, „den Vertrieb ins digitale Zeitalter zu führen“, erklärt Bischof im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir stellen uns neu auf und wollen die Digitalisierung nutzen, um im Vertrieb effizienter zu werden.“

Digitalisierung ist nicht nur ein Thema, das sich bei dem Finanzdienstleister Wüstenrot & Württembergische (W&W) wie ein roter Faden durch den ganzen Konzern zieht, es ist das wichtigste Thema der Branche überhaupt. Digitalisierung, das heißt vor allem neue Technologien, neue Produkte und neue Wettbewerber – und weniger Arbeitsplätze. Über allem steht die Maßgabe, alles Handeln konsequent aus der Sicht des Kunden denken. Das sieht auch Bischof so: „Wenn die Mitarbeiter enorm viel arbeiten, aber die Kunden nicht zufrieden sind, dann liegt das grundsätzlich an den Strukturen.“

Verbesserungsbedarf besteht aus Sicht des Vorstands etwa an der Schnittstelle zwischen Innendienst und Versicherungsvermittlern. Die Einführung neuer Produkte soll beschleunigt, der Versand von Papier reduziert werden. Am Ende des Prozesses sollen deutlich mehr Kunden über digitale Kanäle gewonnen werden. Ganz wichtig: Die Versicherungsvermittler vor Ort sollen von Bürokratie entlastet werden und mehr Zeit für den Kunden haben. Heute verbringen sie viel Zeit mit der Vor- und Nachbearbeitung von Kundengesprächen, und für Schulungen zu neuen Produkten. Nur 25 Prozent der Zeit stehen für Beratung zur Verfügung. Bei den Besten der Branche liegt der Anteil bei 35 bis 40 Prozent, führt Bischof an: „Da wollen wir hin.“

Betriebsbedingte Kündigungen werden ausgeschlossen

Um seine Maßnahmen umzusetzen, braucht der neue Vorstand die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan haben erst angefangen. Im Raum steht, dass jeder Mitarbeiter sich neu bewerben muss. Dazu sagt Bischof, es gehe jetzt darum „zusammen mit den Arbeitnehmergremien das Auswahlverfahren für die Neubesetzungen zu definieren“. Geklärt werden muss, wer für neue Aufgaben geschult werden kann, für wen ein Wechsel innerhalb des Konzerns in Frage kommt, wer in die Altersteilzeit wechseln könnte, wie das Abfindungsangebot aussieht. Betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen werden. Für wie lange, ist noch offen.

Der Neue bringt frischen Wind ins Unternehmen

In den Reihen der Mitarbeiter wird anerkannt, dass der neue Vertriebsvorstand frischen Wind ins Unternehmen bringe und zumindest die Überprüfung der Abläufe im Innendienst sinnvoll sei. Bischof, der als „jung, dynamisch und blitzgescheit“ beschrieben wird, habe in kurzer Zeit viel erkannt und packe es an, sagen die einen.

Die anderen befürchten, dass der Druck weiter zunehmen werde, weil die Aufgaben auf weniger Mitarbeiter verteilt werden – falls sie dann überhaupt noch dabei sind. Bischof, der im Laufe des Jahres den Vorstandsvorsitz der Württembergischen Versicherungen übernehmen soll, will weder von seinem Vorhaben noch von seinem Zeitplan abweichen: „Ich habe positive Signale aus der Belegschaft für den Transformationsprozess. Das ermutigt mich.“