Dieter Roth, „Stuttgarter Bilderbogen“ Foto: Kunstmuseum Stuttgart

Wer Literatur buchstäblich verwurstet, kann nicht allzu viel von ihr halten. Oder er heißt Dieter Roth. Für ihn, so die These der am Sonntag endenden Sonderausstellung im Kunstmuseum Stuttgart, sind Literatur und Kunst zwei Materialien auf dem Weg zum Glück.

Stuttgart - Stuttgart und Dieter Roth – das ist eine eigene Geschichte, eine, die nicht geschrieben wurde, als sie sich ereignete, eine, die nicht mehr einzuholen ist, da viele Augen- und Ohrenzeugen in alle Länder verstreut sind. 1967 – der 1930 in Hannover geborene Roth kommt gerade aus den USA zurück, wo er „Nicht-Unterricht als Unterricht“ gelehrt hatte – findet die erste Einzelausstellung statt: „Die verwurstete Literatur“ heißt sie und stellt unmissverständlich die Grenzen der Kunstsparten infrage.

1968 beginnt die Zusammenarbeit mit der Edition Hansjörg Mayer, in der Lichtdruckerei Schreiber entsteht auf Anregung des Kritikers Günther Wirth und in der für Roth auch in der Folge wichtigen Produktion mit dem Drucker Frank Kicherer der erste Lichtdruck als Original. Ebenfalls in Stuttgart verwandelt der mit dem Kreis um Max Bense und Reinhard Döhl verbündete Dieter Roth einen Ort der Bilderpflege in das Labor eines Künstlerforschers.

So darf es verwundern, wenn das Kunstmuseum Stuttgart seinen umfassenden Blick auf das Wer von Dieter Roth damit bewirbt, dass nun erstmals auch die Bezüge zur Literatur sichtbar würden.

Wie war das noch 1979? Roth bringt in der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart das Stück Dieter Roth auf die Museumsbühne. Untermalt wird der vor Ort inszenierte Künstlerkosmos von einer donnernden Absage an die Kunst. Dieter Roth sagte damals den Stuttgarter Nachrichten knapp: „Die Kunst ist für mich erledigt.“

"Sie sagt nichts mehr, sie kann die Wahrheit gar nicht sagen"

Warum? „Sie sagt nichts mehr, sie kann die Wahrheit gar nicht sagen. Sobald man eine Zeichnung an die Wand hängt, erzählt sie nichts mehr. Es ist nur noch etwas fürs Auge. Sehen Sie sich diese Zeichnung an. Da habe ich das Blödeste getan, was ich überhaupt tun kann. Und es wirkt gar nicht doof an der Wand, es wirkt einfach ästhetisch.“

Die Literatur, zugleich immer Material seiner Arbeit, wird Fluchtfeld – und doch beschenkt Dieter Roth 15 Monate später Stuttgart und Wendelin Niedlich mit einem bitterbösen, an Fluxus (und Roths beständigen Kontakt zu Siegried Cremer) gemahnenden „Stuttgarter Bilderbogen“.

Ein Auszug dennoch aus der Wortwelt: „Wut und Angst . . ./Was sind die – oder, sollte ich sagen: Was ist das – ?/Hier ein Schmerz, mein Fragaffe: Du hättest fragen sollen: Wasse sind Die? Und hier Ernst: Habe ich Dir nicht gesagt: IST, das gibt es nicht?/Also, dat gibtis, DAT und WAT, und DATSUN?“

Ausstellungstitel „Balle Balle Knalle“ nur folgerichtig

Von Wortbildern und Bildworten also ist in der Auseinandersetzung mit Dieter Roth zu sprechen , und so ist der einem Roth-Gedicht entlehnte Ausstellungstitel „Balle Balle Knalle“ nur folgerichtig. An diesem Sonntag endet die Schau im Kunstmuseum Stuttgart, endet das verwirrende, bezaubernde und doch seinem Zauber beraubte Gastspiel des Grenzgängers Dieter Roth auf den drei Stockwerken des Kunstmuseum-Kubus.

Was aber bleibt, ist der Anspruch, der sich seit dem Direktorat von Johann-Karl Schmidt nicht mehr verändert hat – Stuttgart entsprechend seiner Rolle in der Roth-Biografie zu einem Roth-Zentrum zu machen. Aktuell ergibt sich so der schönste Widerspruch: Im Kubus, in der Sonderschau, einige Ausrufezeichen, in den Sammlungsräumen im Untergeschoss aber die Basis, der Grund, die Begründung für das Engagement für Dieter Roth.

„Die Zusammenarbeit Dieter Roths mit anderen Künstlern darf nicht unterschätzt werden“, gibt unser Kritiker Rainer Vogt in seiner Besprechung des Roth-Panoramas zu bedenken. „Er übersetzte ,Anekdoten‘ von Daniel Spoerri und fertigte eine ,Topographie des Zufalls‘ daraus, indem er den zuvor schon ins Englische übertragenen Text von Emmett Williams zugrunde legte.“

An diesem Freitag um 18 Uhr sowie an diesem Samstag und Sonntag jeweils um 15 Uhr gibt es im Kunstmuseum Stuttgart noch einmal Führungen durch das Dieter-Roth-Panorama. Ein empfehlenswertes Angebot.