Im Südwesten werden nachgerüstete Diesel derzeit getestet. Eine Verpflichtung der Hersteller, eine solche Nachrüstung auf eigene Kosten anzubieten und für das Ergebnis zu haften, wird es aber wohl nicht geben. Foto: dpa

Ein Missverständnis erklärt, warum die Branche in einen kuriosen Ablasshandel um Vergebung für Sünden bittet, die sie gar nicht begangen haben will, kommentiert Klaus Köster.

Stuttgart - Angenommen, an einem Regal fehlt eine Schraube. Wäre es dann angemessen, dass der Hersteller einen Rabatt auf ein neues Regal gibt, anstatt die Schraube nachzuliefern? Dieser Vergleich, den ein Twitter-Nutzer zum Verhalten der Dieselhersteller zieht, erscheint auf den ersten Blick plausibel. Denn die Autoindustrie wehrt sich in der Tat mit Händen und Füßen dagegen, alte Dieselfahrzeuge auf eigene Kosten und eigenes Risiko mit einem besseren Kat nachzurüsten. Sie bietet stattdessen hohe Zuschüsse für den Kauf eines anderen Diesel an. Und sie ist sich ihrer Sache sehr sicher.

„Ich erwarte, dass das Ergebnis sich im Rahmen dessen bewegt, was vorher diskutiert wurde“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche bereits vor Beginn der entscheidenden Sitzung der Politik – und er sollte recht behalten. Politiker, die die Nachrüstung zur unabdingbaren Voraussetzung für eine Lösung erklärt haben, stehen nun blamiert da. Sie hatten nie eine Handhabe, um eine Nachrüstung zu erzwingen, erweckten aber den Eindruck, genau dies anzustreben.

Die dreckige Luft ist ein Gemeinschaftswerk

Ein Regal, das nicht aufgebaut werden kann, hat einen Mangel. Doch wie ist es mit einem Diesel, dem ein Fahrverbot droht? Ist das Auto mangelhaft, weil in einer Reihe von Städten die Luft zu dreckig ist, obwohl es – wie vorgeschrieben – im Testlabor die Abgaswerte einhielt? Bis vor kurzem reichte es, wenn die Fahrzeuge die strengen Grenzwerte auf dem Prüfstand erreichten, auf dem sie gefahren wurden, als befinde sich auf dem Gaspedal ein rohes Ei. Die Regeln verboten zwar die Manipulation von Messungen wie bei VW, setzten hohen Abgaswerten auf der Straße ansonsten aber nur wenig entgegen. Die dreckige Luft ist somit ein Gemeinschaftswerk von Politik und Autobranche.

Selbstverständlich hinderte niemand die Autoindustrie daran, sich von vornherein so zu verhalten, als gäbe es keine Schlupflöcher. Doch war sie zu dieser Vorbildlichkeit auch verpflichtet? Ist es in einem Rechtsstaat angemessen, erst Gesetze zu beschließen und danach eine diese Gesetze relativierende Moral zu definieren? Welche Bedeutung hätten Gesetze noch, deren Einhaltung nicht vor Strafe schützt?

Wenn man die Industrie schon nicht zu packen kriegt, sollen ihr wenigstens die Folgen des Skandals so richtig wehtun, so eine verbreitete Vorstellung. Dass durch die Nachrüstung Milliarden Euro in die Reparatur überholter statt in die Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien fließen – selber schuld. Dass neue Autos auf der Straße viel sauberer sind als es durch die beste Nachrüstung erreicht werden kann – geschenkt. Und schon gar nicht solle die Politik den Herstellern ermöglichen, noch mehr Fahrzeuge zu verkaufen, und seien sie noch so sauber. Das Streben nach Sühne für bisher unbewiesene Taten rangiert für viele Kritiker somit noch vor dem angeblich alles überragenden Schutz von Umwelt und Gesundheit.

Hersteller berufen sich auf das Recht, Kritiker auf die Moral

Die Hersteller berufen sich auf das Recht, ihre Kritiker auf die Moral. Dieses Missverständnis erklärt auch, warum die Branche in einem Ablasshandel um Vergebung für Sünden bittet, die sie gar nicht begangen haben will. Es werden „weitere Gespräche folgen müssen“, erklärte sogleich der Branchenverband VDA. Die Hersteller streifen das Büßergewand über und handeln die Buße herunter. Reuig sind sie nicht.

Möglicherweise bietet die Bewertung nach rechtlichen Kriterien klarere Maßstäbe als vieldeutige Moralvorstellungen. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß es zu Manipulationen kam, ist noch nicht beantwortet, die Urteile der Justiz stehen noch aus. Sie werden glücklicherweise im Gerichtssaal fallen und nicht auf einem Dieselgipfel.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de