Vorfälle von Taschendiebstahl häufen sich in Zügen und Bahnhöfen - die Polizei ist wachsam Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In Fernzügen und Bahnen, an Haltestellen und Bahnhöfen ist Wachsamkeit geboten – eine Invasion von Langfingern nimmt zunehmend Bahnreisende ins Visier. Die Bundespolizeiinspektion Stuttgart konnte bisher immerhin 383 Diebe abfangen.

Stuttgart - Nicht einmal die amtierende Mrs. Germany wird verschont. Ihr 61-jähriger Manager will der Weinstädterin Daniela Reimchen einen größeren Geldbetrag für ihre USA-Reise zur Misses-World-Wahl vorbeibringen – doch auf dem Weg, in einem vollen Aufzug im Stuttgarter Hauptbahnhof, wird der Geldbote das Opfer zweier Taschendiebinnen. Eine junge Frau zückt den Geldbeutel mit 3200 Euro und reicht ihn an eine Komplizin weiter, die mit der Beute davonrennt. Videokameras helfen der Bundespolizei bei der Fahndung. Eine 20-jährige Bosnierin wird gefasst und kommt in U-Haft. Von der Beute und der zweiten Täterin aber fehlt jede Spur.

Taschendiebe und andere Langfinger sind das Schwerpunktproblem, mit dem sich der neue Leiter der Bundespolizeiinspektion Stuttgart gerade beschäftigen muss: „Die Zahlen haben drastisch zugenommen“, sagt Reinhard Pürkenauer. Schon jetzt gibt es im Zuständigkeitsgebiet der Reviere Stuttgart, Heilbronn, Tübingen und Ulm mehr als 1000 Diebstahlsdelikte – im Jahresvergleich der ersten elf Monate ein Plus von 21 Prozent. Noch dramatischer sieht es bei den Taschendieben aus: „Ein Plus von 186 Prozent“, sagt Pürkenauer. 355 Fälle von Taschendiebstahl – und das nur in den Zügen und an Bahnstationen.

Auf dramatische Lagen rasch und flexibel reagieren

Der Polizeidirektor, der als einstiger Vize-Kommandeur der Grenzschutzgruppe GSG 9 und nach Einsätzen in Krisen- und Kriegsgebieten weiß, dass man auf dramatische Lagen rasch und flexibel reagieren muss, setzt auf mehr verdeckte Fahnder und mehr sichtbare Präsenz durch Uniformierte. Immerhin werden dabei immer wieder Langfinger überrascht. Bisher wurden 85 Taschendiebe dingfest gemacht – im Vorjahr waren es lediglich 62.

Ein Brennpunkt ist die S-Bahn-Haltestelle Stadtmitte, wo alkoholisierte Nachtschwärmer immer wieder Opfer von Dieben werden. Dort werden die Täter aber auch am häufigsten erwischt. Die Verdächtigen sind dabei vorwiegend algerischer Herkunft.

Allerdings ist es für Pürkenauer zu einfach, die Straftat Diebstahl vorrangig ausländischen Tätergruppen zuzuordnen: „Von insgesamt 383 tatverdächtigen Dieben, die wir in diesem Jahr festnehmen konnten, sind 192 Deutsche – also gut die Hälfte“, sagt der Inspektionsleiter der Bundespolizei. Der ist sich nicht zu schade, selbst in Uniform mit der Bahn zu fahren – und arglose Fahrgäste, „denen die Geldbörse fast schon aus der Tasche fällt“, auf die Gefahren durch Arglosigkeit aufmerksam zu machen.

Mancher Beamte ist auch außerhalb der Dienstzeit erfolgreich: Ende Oktober beispielsweise sah ein Bundespolizist auf der Fahrt in der S-Bahn-Linie S 2 zwischen den Haltestellen Stadtmitte und Vaihingen, wie ein Langfinger die Umhängetasche eines Fahrgastes plünderte. Er nahm den 34-jährigen Dieb auf frischer Tat fest.

Gewaltkriminalität im Bahnverkehr sinkt

Während die Eigentumsdelikte steigen, sinkt erstaunlicherweise die Gewaltkriminalität im Bahnverkehr – trotz jüngster spektakulärer Zwischenfälle. Am letzten Samstag wurden couragierte Zeugen, die einem dunkelhäutigen Fahrgast in der S 1 helfen wollten, von einer Rowdytruppe am Bahnhof Böblingen zusammengeschlagen. Ein Quartett im Alter von 17 und 18 Jahren wurde festgenommen. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob sie Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung führt – oder sogar wegen versuchten Totschlags.

Allerdings, so Polizeidirektor Pürkenauer, gebe es im Bahnverkehr „kein quantitatives Problem“. Die Zahlen sind eher rückläufig. „Das Problem ist aber, dass eine spektakuläre Einzeltat eine enorme Wirkung auf das subjektive Sicherheitsgefühl hat“, sagt er. Deshalb sei die Bundespolizei immer wieder mit der Landespolizei in gemeinsamen Schwerpunktaktionen unterwegs, sei „sichtbar und ansprechbar“. In Waiblingen sind das Polizeipräsidium und die Bundespolizisten derzeit gemeinsam auf Streife, um Tageswohnungseinbrüche einzudämmen.

Eine andere Welle, die in den vergangenen Monaten über die Beamten der Bundespolizeiinspektion Stuttgart schwappte, ist aktuell etwas abgeebbt: illegal eingereiste Flüchtlinge. „Bei der derzeit schlechten Witterung sinken die Zahlen in Italien und damit auch bei uns“, sagt Pürkenauer. Dank zusätzlicher Kräfte und einer verbesserten Organisation könne man besser mit dem Massenansturm umgehen. Die Zahlen waren förmlich explodiert – von 74 auf 1475 binnen Jahresfrist. „Die Bundespolizei ist als erste Anlaufstelle ein guter Adressat“, sagt Pürkenauer, der die Krisengebiete von Libyen bis Pakistan bestens kennt. Er sei überrascht, wie offen und dankbar die Flüchtlinge auf die Behörden zugingen. „Die deutsche Polizei“, sagt der 44-Jährige, „hat im Ausland einen sehr guten Ruf.“

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