Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Daimler-Personalchef Wilfried Porth (re.) und Porsche-Vertriebsvorstand Detlev von Platen im Gespräch mit unserer Redaktion. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Ist Baden-Württemberg auf die automobile Zukunft vorbereitet? Diese Frage diskutieren Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Daimler-Personalchef Wilfried Porth und Porsche-Vertriebsvorstand Detlev von Platen im Interview.

Stuttgart - Ist Baden-Württemberg auf die automobile Zukunft vorbereitet? Wie stark belastet der Abgasskandal das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik? Diese Fragen diskutieren Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Daimler-Personalchef Wilfried Porth und Porsche-Vertriebsvorstand Detlev von Platen im Interview.

Das Wirtschaftsministerium hat 2017 den Transformationsrat gegründet – jetzt liegt ein erstes Positionspapier vor. Kommen die ganzen Initiativen aus Sicht der Wirtschaft nicht viel zu spät?
Porth Die Firmen haben gerade bei der Infrastruktur schon eine Menge selbst angestoßen. Dass wir nun die Kräfte bündeln, ist gut, weil die Fahrzeuge, die wir in den vergangenen Jahren entwickelt haben, jetzt auf die Straßen kommen: Daimler bringt nächstes Jahr das erste Fahrzeug der Elektromarke EQ auf den Markt und Anfang des kommenden Jahrzehnts folgen die ersten Robotaxis. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir die angesprochene Infrastruktur wirklich benötigen.
Von Platen Der Erfolg der Elektromobilität hängt vor allem von der Geschwindigkeit und dem Komfort der Ladeinfrastruktur ab. Da gibt es noch viele Fragen, die wir zusammen mit der Politik klären müssen. Welche Voraussetzungen müssen beispielsweise gegeben sein, um sich in einem Mehrmieterhaus eine Ladesäule in die Garage zu bauen. Bei der Definition solcher grundsätzlichen Rahmenbedingungen macht eine Zusammenarbeit mit verschiedenen, betroffenen Akteuren einfach Sinn.
Hoffmeister-Kraut Das sehe ich auch so. Ich hab eine klare Vorstellung, wohin sich unser Land entwickeln soll. Unser aller Anspruch ist, dass die Mobilität der Zukunft aus Baden-Württemberg kommt. Das ist mein klarer Anspruch, deshalb habe ich auch den Transformationsrat ins Leben gerufen: Wir wollen bei der Mobilität der Zukunft den Takt vorgeben.
Und dabei sind zwei Transformationsgremien besser als eines? Es gibt doch bereits den Strategiedialog des Ministerpräsidenten, der genau das gleiche Ziel hat.
Hoffmeister-Kraut Der Strategiedialog ist viel breiter angelegt. Im Transformationsrat liegt unser Fokus klar auf der Wirtschaft, darauf, wie wir Wertschöpfung und Arbeitsplätze erhalten.
Sie fordern in Ihrem Positionspapier den Aufbau einer Batteriezellproduktion in Baden-Württemberg. Der größte chinesische Batterieproduzent CATL hat sich jetzt allerdings für Thüringen als Produktionsstandort entschieden. Wie sehr wurmt Sie das?
Hoffmeister-Kraut Uns ist es in der Tat ein Anliegen, dass wir die Systemkompetenz für die Elektromobilität im Land haben und wir wollen bei wichtigen Komponenten nicht abhängig von asiatischen Herstellern sein. Darum investieren wir als Land 13 Millionen Euro in zwei Projekte zum Aufbau einer digitalisierten Zellproduktion und arbeiten mit Varta zusammen, dem einzigen Großserien-Zellhersteller im Land.
Bis wann soll es bei dieser Kooperation eine serienreife Zellproduktion für E-Autos geben?
Hoffmeister-Kraut Das Zentrum wird aktuell aufgebaut und soll bis spätestens Ende kommenden Jahres voll funktionsfähig sein. Das ergänzende Verbundforschungsprojekt ist zunächst auf zwei Jahre angelegt und startet auch nicht bei null. Allein durch mein Haus gefördert mit 30 Millionen Euro – insgesamt investieren Land und Wirtschaft hier 60 Millionen – arbeitet ein Konsortium aus Baden-Württemberg bereits seit einigen Jahren sehr erfolgreich an einer wettbewerbsüberlegenen Zelltechnologie.
Ist es für die Autohersteller wichtig, ob die Zellen aus Deutschland oder Asien kommen?
Porth Wir glauben, dass das Thema der Batteriefertigung – also der Zusammenbau der Zellen und der Batteriesteuerung – die Schlüsseltechnologie ist. Ob die Zelle aus Asien, Thüringen oder Baden-Württemberg kommt, ist für uns weniger entscheidend. Klar ist aber auch, dass der Bedarf nach Zellen so groß ist, dass auch mehrere Produktionen in Deutschland denkbar wären.
Von Platen Wichtig ist, dass wir nicht nur an die Hardware denken. Deutschland ist ein starkes Industrieland, heute müssen wir aber unbedingt auch auf ein entsprechendes Dienstleistungsangebot achten. Aus diesem Grund ist es auch Aufgabe des Transformationsrats, kleinen und mittleren Unternehmen hierbei eine gewisse Orientierung zu geben.
Wie meinen Sie das?
Von Platen Mit Unterstützung des Transformationsrats ist beispielsweise eine Art Transformationscoaching für kleine und mittelständische Unternehmen geplant, deren Geschäft von Fahrzeugen mit klassischem Verbrenner abhängt. Gemeinsam wollen wir ausloten, welche neuen und innovativen Geschäftsmodelle sich entwickeln lassen, wo die Kompetenzen des Unternehmens liegen und wie es in zehn Jahren aussieht.
Hoffmeister-Kraut Wir müssen bedenken, dass wir allein in Baden-Württemberg rund 440 000 Beschäftigte im Automobilsektor haben. Durch den Wandel und erwartete Produktivitätssteigerungen könnten bis zu 75 000 Vollzeitstellen überflüssig werden. Für den Standort geht es also wirklich um seine Zukunft. Darum ist im Transformationsrat etwa eine Pilot-Lernwerkstatt entstanden, durch die Beschäftigte im Bereich Kfz-Werkstätten und Kfz-Handel fit gemacht werden für die Anforderungen der Mobilität der Zukunft.
Welche Firmen sind durch den Wandel vom Verbrenner zum Elektro-Motor besonders betroffen?
Hoffmeister-Kraut Als erstes in der Kette trifft es die Anlagenbauer und Fabrikausrüster, die sich auf eine komplett neue Technologie einstellen müssen. Wir müssen jetzt die Weichen dafür stellen, dass diese Unternehmen sich so entwickeln können, dass sie auch in Zukunft noch markt- und wettbewerbsfähig sind. Wir müssen die Voraussetzungen für neue, insbesondere auch digitale Geschäftsmodelle schaffen und dazu gehört auch eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur. Da muss viel mehr viel schneller passieren als bislang.
Und was erwarten Sie von der Wirtschaft?
Hoffmeister-Kraut Wir sitzen an einem Tisch, um genau solche Fragen auszuloten. Ein Thema ist für mich, dass zu viele junge Köpfe von den IT-Unternehmen aus den USA für horrende Summen abgeworben werden, um deren Wissen abzuschöpfen. Um das zu verhindern, sind auch die Unternehmen gefordert, die permanent daran arbeiten müssen, als Arbeitgeber attraktiv zu sein. Ich wünsche mir außerdem, dass der Austausch zwischen der Wirtschaft und der Wissenschaft noch stärker stattfindet.
Können Sie das konkretisieren?
Hoffmeister-Kraut Es ist sinnvoll, dass Ingenieure im Laufe ihrer Karriere immer wieder einige Jahre aus den Unternehmen in die Wissenschaft wechseln und dort ihr Praxiswissen einbringen. Denn wir müssen feststellen, dass Deutschland und auch Baden-Württemberg nicht wirklich digital ticken. Damit die Digitalisierung gelingt, brauchen wir aber Mitarbeiter, die das in den Unternehmen, in der Wissenschaft und der Gesellschaft vorantreiben. Für viele Menschen ist das Thema Digitalisierung mit Angst verbunden. Die Menschen sorgen sich, dass sich die Arbeitsinhalte und der Arbeitsumfang in Zukunft verändern. Sie fühlen sich durch Künstliche Intelligenz und den Einsatz von Robotern potenziell bedroht. Mit diesen Ängsten müssen wir umgehen. Wenn wir uns den Zukunftstechnologien gegenüber nicht stärker öffnen, laufen wir Gefahr, dass wir wichtige Entwicklungen verpassen und gegenüber den USA oder Asien zurückfallen.
Gab es bei der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik im Transformationsrat auch Zeiten, in denen Ihr Verhältnis auf die Probe gestellt wurde? Etwa als die Vorwürfe lauter wurden, dass beim Abgas nicht nur in Wolfsburg, sondern auch in Baden-Württemberg getrickst wurde?
Hoffmeister-Kraut Wir sind uns einig darüber, dass dort, wo es Betrug gab, eine lückenlose Aufklärung stattfinden muss. Ansonsten ist mein Vertrauensverhältnis zu den Wirtschaftsvertretern im Land ungetrübt und darauf bauen wir auf.
Es traten immer neue Vorwürfe auf. Haben Sie sich von den Firmenvertreten da zu jeder Zeit ausreichend informiert gefühlt?
Hoffmeister-Kraut Wichtig ist, dass jetzt alles auf dem Tisch liegt und aufgearbeitet wird.
Porth Der Fokus dieser Initiative liegt ja nicht auf der Vergangenheitsbewältigung, sondern auf der Zukunftsgestaltung.
Schon klar, aber wenn man Zweifel hat, ob die Partner, mit denen man an einem Tisch sitzt, jederzeit offen kommunizieren, kommen ja durchaus Fragen auf.
Hoffmeister-Kraut Die aber inzwischen soweit geklärt sind.
Ist der Dieselskandal für die Industrie eher ein Innovationstreiber oder eine Bremse?
Porth Bei der Aufklärung des Themas werden sicherlich viele richtige Fragen gestellt. Was allerdings niemanden weiterbringt, ist, wenn in diesem Zusammenhang die komplette Dieseltechnologie totgeredet wird. Dass der Diesel sauber sein muss und kann unter den verschärften Rahmenbedingungen, die jetzt in allen Facetten definiert werden, haben wir mit unserer neuen Motorengeneration schon 2016 bewiesen.