Mario Dürr und seine Vereinskollegen haben die historische Lok einmal komplett zerlegt. Seit einigen Jahren fährt sie wieder. Foto: Haas

Einmal komplett zerlegt haben der Reutlinger Mario Dürr und seine Vereinskollegen die historische Lok, die fast 40 Jahre lang Passagiere von Honau auf die Schwäbische Alb beförderte. Seit einigen Jahren fährt sie wieder.

Reutlingen - Das sei eine Spinnerei, sagten die Spötter und belächelten die Ambitionen der Eisenbahnschrauber. „Ich hatte nie Zweifel, dass wir es schaffen“, sagt dagegen Mario Dürr und erinnert sich genau an jenen Tag, als die alte Zahnradlok das erste Mal wieder unter Dampf stand. „Nach 50 Jahren Stillstand haben wir den Kessel angeheizt“, erzählt Dürr und blickt stolz auf die restaurierte Lok. An jenem Oktobertag 2012 sei er auf dem Führerstand gewesen, alle im Verein hätten gejubelt.

Nichts liegt den „Freunden der Zahnradbahn Honau – Lichtenstein“ mehr am Herzen, als die württembergische Lok, die einst die Alb hinauf schnaufte, wieder auf die Schiene zu bringen. Sie womöglich eines Tages auf der längst stillgelegten Strecke durch das Echaztal hinter Reutlingen fahren zu sehen. Ihr kräftig mit vielen Schaufeln Kohle einzuheizen, damit sie es den Anstieg hoch nach Kleinengstingen schafft. „Wir haben sie erst in alle Einzelteile zerlegt und dann wieder zusammengebaut“, sagt Mario Dürr, gelernter Maschinenbaumechaniker und Tüftler. Er kann zu jedem Stück Blech, zu jeder Schweißnaht eine Geschichte erzählen. Der 44-Jährige mit der schwarzen Mütze zeigt auf eine kleine Delle, die Spur eines Querschlägers aus dem Zweiten Weltkrieg. Er stemmt mit seinen 75 Kilo die Handbremse auf. Es ist ein schöner Herbsttag, Dürr will die 76 Tonnen Stahl aus dem Dunkel des alten Güterschuppen am Reutlinger Westbahnhof ins Freie ziehen. Er startet eine Diesel-Rangierlok, hängt die schwarze-rote Schönheit mit geübten Handgriffen dran.

Eine Eisenbahn sollte her: Ende des 19. Jahrhunderts boomte die Textilindustrie entlang des Echaztals, und billige Arbeitskräfte mussten von der Schwäbischen Alb ins Tal gebracht werden. So ließ die Königlich Württembergische Staats-Eisenbahn neue Schienenwege bauen. 1892 wurde der Abschnitt von Reutlingen nach Honau eröffnet, ein Jahr später folgte der Albaufstieg zur Station Lichtenstein, die erste Zahnradstrecke im Personenverkehr und eine der steilsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Später rollten die Züge bis nach Schelklingen mit Anschluss an die Donautalbahn Richtung Ulm.

Mit Schnelligkeit kann die historische Lok nicht aufwarten

Den Rost haben sie ihr abgekratzt, den Rahmen stellenweise erneuert, ihr Alter ist dennoch nicht zu leugnen: „Maschinenfabrik Esslingen, 1922“ steht auf dem Originalkesselschild. „Von der Baureihe 97.5 gibt es noch drei Stück“, weiß Dürr. Eine ist ausgestellt im Deutschen Technikmuseum in Berlin, eine im Eisenbahnmuseum in Bochum. Für die Dritte opfert Dürr seit bald zwei Jahrzehnten jeden Samstag, das geht morgens an der Werkbank los und endet oft spät abends mit einem Feierabendbier unter Vereinskollegen. Dürr hat gehämmert und gefräst, hat die Bezüge für die ausklappbaren Sitze genäht und sich sogar zum Dampflokheizer ausbilden lassen. Selbst den Lokführer will er noch machen, mehr Eisenbahnliebe geht kaum. „Ab und zu beißt die alte Dame“, sagt Dürr, der sich so manche Brandwunde beim Kohleschaufeln geholt hat.

Mit Schnelligkeit kann die historische Lok nicht aufwarten, sie bringt es in der Ebene auf gerade mal 50 Stundenkilometer, bergauf keucht sie mit Tempo 10. Gemacht ist sie fürs Klettern, sie ist mit ihrem Zahnradantrieb eine Meisterin der Steigung und könnte jederzeit wieder eingesetzt werden. „Wir haben den Antrieb repariert“, sagt Dürr und erzählt, dass neulich die Schweizer angefragt hätten, ob die Württemberger Lokomotive nicht auf der Strecke von Rorschach am Bodensee hoch nach Heiden eingesetzt werden könnte. Das wäre endlich wieder eine Bergtour gewesen. Aus technischen Gründen habe der Abstecher leider nicht geklappt, sagt Dörr.

Ein letztes Mal nahm die Lok 1962 nach fast 40 Jahren Dauereinsatz den Aufstieg zur Schwäbischen Alb, Busse machten längst der Schiene Konkurrenz. Die Strecke wurde Ende der 60er Jahre stillgelegt, heute verläuft auf der Trasse ein Rad- und Wanderweg, im Tal ist ein Teil der Gleise noch zu finden. Dörr schätzt die Kosten allein für den Zahnradbahnabschnitt auf 15 Millionen Euro. Er setzt darauf, dass die geplante Regionalstadtbahn Neckar-Alb eines Tages kommt und mit ihr wieder ein funktionierendes Schienennetz auf der alten Nebenstrecke. „Wenn ich den Eurojackpot knacke“, sagt Dörr schmunzelnd, „dann lasse ich die Strecke hoch auf die Alb einfach selbst bauen.“