Kanzler Scholz und andere europäische Staats- und Regierungschefs hatten bei der US-Wahl auf einen Sieg von Kamala Harris gehofft. Wird es für Deutschland und die EU nun richtig ungemütlich?
Brüssel/Berlin - Die ersten Gratulationen für den künftigen US-Präsidenten Donald Trump aus Europa ließen nicht lange auf sich warten und fielen überraschend freundlich aus. Ganz vorn dabei war der französische Präsident Emmanuel Macron. "Ich bin bereit, zusammenzuarbeiten, wie wir es vier Jahre lang getan haben. Mit Ihren Überzeugungen und mit meinen. Mit Respekt und Ehrgeiz. Für mehr Frieden und Wohlstand", schrieb er an Trump auf X.
Wenig später folgte auch der deutsche Bundeskanzler mit Gratulationen erst auf X und dann vor den Kameras im Kanzleramt. Er bot Trump eine Fortsetzung der verlässlichen Partnerschaft zwischen Deutschland und den USA an: "Gemeinsam können wir viel mehr durchsetzen als gegeneinander."
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Europa weiß sehr genau, wie dramatisch Trump die transatlantischen Beziehungen verändern kann. Viele wollten das lange Zeit nicht wahrhaben und setzten auf die Hoffnung, dass die Demokratin Kamala Harris die Nachfolgerin von US-Präsident Joe Biden werden würde. Nun sind sie gezwungen, sich auf die zweite Ära Trump mit all ihren Ungewissheiten vorzubereiten. Wie schlimm es mit dem Rückkehrer ins Weiße Haus wird, mag niemand so richtig abschätzen.
Droht mit Trump ein Rückzug der USA aus der Nato?
Konkrete Hinweise darauf gibt es nicht. Trump prangerte im Wahlkampf zwar erneut an, dass ein Teil der europäischen Alliierten die Bündnisziele bei den Verteidigungsausgaben verfehlt und weckte Zweifel daran, ob die USA unter seiner Führung uneingeschränkt zur Beistandsverpflichtung stehen. Frühere Austrittsdrohungen wiederholte er allerdings nicht.
In der Nato wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass viele europäische Alliierte ihre Verteidigungsausgaben in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert haben. Auch Deutschland ist inzwischen bei den zwei Prozent Anteil der Militärausgaben an der Wirtschaftsleistung angekommen, die Trump in seiner ersten Amtszeit vehement eingefordert hat.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte ließ nach Trumps Wahlsieg mitteilen: "Durch die Nato haben die USA 31 Freunde und Verbündete, die dazu beitragen, die Interessen der USA zu fördern, die amerikanische Macht zu vervielfachen und die Sicherheit der Amerikaner zu gewährleisten." Zusammen repräsentierten die Bündnispartner die Hälfte der wirtschaftlichen und militärischen Stärke der Welt. Durch die Zusammenarbeit in der Nato trage man dazu bei, Aggressionen abzuschrecken, die kollektive Sicherheit zu schützen und die Wirtschaft zu unterstützen.
Was ist mit der Unterstützung der Ukraine?
Vor allem aus Sicht der ost- und mitteleuropäischen Nato-Staaten ist das die relevanteste Frage. Trump behauptete im Wahlkampf mehrfach, den russischen Angriffskrieg in 24 Stunden beenden zu können. In Brüssel wird deswegen befürchtet, dass er die Ukraine über einen Stopp der Militärhilfe in Verhandlungen mit Russland zwingen könnte. In denen könnte Kremlchef Wladimir Putin dann auch ein Verzicht auf eine weitere Nato-Osterweiterung angeboten werden. Aus Sicht der meisten europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein ungeheuerlicher und brandgefährlicher Tabu-Bruch. Putin könnte seinen Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen verleitet werden.
Bei einem Ausstieg der USA aus der Ukraine-Hilfe käme Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant eine maßgebliche Rolle zu. Die Bundesregierung wäre aber nicht annähernd in der Lage, die Lücke zu füllen - selbst dann nicht, wenn sie eine Haushaltsnotlage feststellen und erneut die Schuldenbremse aussetzen würde.
Welche Auswirkungen hat die Wahl auf die Wirtschaftsbeziehungen?
Trump hat im Wahlkampf angekündigt, auf Importe in die Vereinigten Staaten neue Zölle in Höhe von 10 bis 20 Prozent einführen zu wollen - für Produkte aus China sogar in Höhe von 60 Prozent. Damit will er den Produktionsstandort USA stärken und das aktuelle Handelsdefizit abbauen. Es ist Trump ein Dorn im Auge, dass europäische Unternehmen deutlich mehr Waren in den USA verkaufen als amerikanische Unternehmen in der EU. Für Unternehmen aus der EU waren die USA 2023 der wichtigste Waren-Exportmarkt
Wie könnte die EU reagieren?
In Brüssel werden die Äußerungen von Trump zu den Zöllen sehr ernst genommen. Für den Fall seines Wahlsiegs wurden in den vergangenen Monaten deswegen bereits Vorbereitungen für einen neuen großen Handelskonflikt getroffen. Sollte Trump neue Zölle einführen, würde die EU aller Voraussicht nach mit Vergeltungszöllen auf US-Importe reagieren. Im Idealfall wären diese so folgenreich für US-Hersteller, dass sie Trump an den Verhandlungstisch zwingen, wo dann eine einvernehmliche Lösung gefunden wird. Mit großer Sorge wird in Brüssel gesehen, dass hohe US-Zölle auf Waren aus China dazu führen könnten, dass diese dann auf den Markt in Europa gebracht werden und dort europäischen Herstellern das Leben schwer machen.
Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, warnte Trump gleich nach dessen Wahl vor Regelbrüchen und Alleingängen. "Die EU wird ihren Kurs im Einklang mit ihrer strategischen Agenda als starker, geeinter, wettbewerbsfähiger und souveräner Partner verfolgen und gleichzeitig das regelbasierte multilaterale System verteidigen", schrieb er zusammen mit Glückwünschen an den Republikaner.
Was für Branchen könnte der Handelskonflikt treffen?
Besonders hart könnte es für die deutsche Autoindustrie und ihre Zulieferer werden. Für Hersteller wie Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz sind die USA zusammen mit China der wichtigste Absatzmarkt außerhalb der EU. Sonderzölle hätten voraussichtlich erhebliche negative Auswirkungen. Erneut eskalieren könnte auch der Konflikt um von Trump in seiner ersten Amtszeit eingeführte Sonderzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. Dieser konnte durch einen Deal mit Noch-Präsident Biden entschärft werden - dessen Laufzeit endet allerdings im März kommenden Jahres.
Auf wen kommt es in der EU jetzt an?
Eigentlich auf die zwei größten Volkswirtschaften der EU, also auf Scholz und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die beiden telefonierten bereits am Morgen nach der Wahl miteinander, um über die Folgen des Wahlergebnisses zu sprechen. "Man hat vereinbart, sich dazu eng miteinander zu koordinieren", hieß es anschließend von deutscher Seite. In den vergangenen drei Jahren haben die beiden es aber nicht vermocht, eine gemeinsame europapolitische Linie zu finden.
Die Vorstöße Macrons für mehr europäische Souveränität waren schon bei der früheren Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf wenig Interesse gestoßen. Bei Scholz war das bisher nicht anders. Das könnte sich jetzt aber vielleicht ändern. "Die Europäische Union muss eng zusammenstehen und geschlossen handeln", sagte Scholz in seiner ersten Reaktion auf die Trump-Wahl. Darauf wolle er als Kanzler hinarbeiten. Die erste Nagelprobe gibt es in den kommenden beiden Tagen, wenn die Staats- und Regierungschefs der EU in Budapest zusammenkommen.
Was bedeutet die Wahl für die Krise der Ampel-Regierung?
Vorher muss Scholz in Berlin aber erst einmal seine Regierung zusammenhalten. Auch darauf könnte die Wahl Trumps aber Auswirkungen haben. Angesichts der weltweiten Unsicherheit, die Trump auslösen könnte, wäre es nur schwer vermittelbar, wenn sich die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt vorübergehend von der internationalen Bühne abmeldet. Genau das würde passieren, wenn nach einem baldigen Ampel-Aus Anfang nächsten Jahres eine Neuwahl des Bundestags stattfinden würde. In den ersten Monaten einer möglichen Amtszeit Trumps ab dem 20. Januar würde Deutschland dann entweder in der heißen Phase des Wahlkampfs oder in Koalitionsverhandlungen stecken und wäre in dieser Zeit nur bedingt handlungsfähig.