Links die Toten Hosen, rechts die Gebrüder Well bei ihrem Konzert in Ludwigsburg Foto: factum/Bach

Die Stromgitarren bleiben zuhause – und genau das hat den Unplugged-Abend in Ludwigsburg mit den Toten Hosen, Gerhard Polt und den Gebrüdern Well so reizvoll gemacht.

Ludwigsburg - Dass er einmal als Teil eines deutsch-deutschen Verständigungsabends auf der Bühne eines altehrwürdigen württembergischen Konzertsaals sitzen würde, in dem das Publikum begeistert bajuwarische Märsche mitklatscht – das hätte sich Stephen George Ritchie auch nicht träumen lassen, als er damals aus dem südenglischen Provinzstädtchen Billericay auszog, um als Drummer mit Doctor & The Medics und Stiv Bators die Punkwelt zu erobern. Aber so kam’s, und, um das vorwegzunehmen: dieses Konzert dürfte nicht nur bei ihm bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Auf der Bühne des erwartungsgemäß in Windeseile bis unters Dach ausverkauften Ludwigsburger Forums ist der britische Schlagzeuger am Sonntagabend allein unter Teutonen. Linkerhand sitzen (!) die Mitglieder der Düsseldorfer Rockband Die Toten Hosen, deren Schlagzeuger Ritchie seit nunmehr auch schon fast zwanzig Jahren ist, allesamt an akustischem Instrumentarium, was so noch nicht gänzlich unerwartet wäre, haben sie in dieser Konstellation doch vor zwölf Jahren im Wiener Burgtheater auch schon ein „MTV unplugged“-Album aufgenommen. Rechterhand befinden sich die Gebrüder Michael, Christoph und Hans Well, drei der fünfzehn Kinder des Schulmeisters Hermann Well aus Günzlhofen bei Fürstenfeldbruck, vormals bekannt als Biermösl Blosn, waschechte Bazis, wenn man das mal so sagen darf, mit entsprechendem Idiom und entsprechendem Instrumentarium.

Mehr Instrumente gehen kaum

Sie bringen Tuba, Baritonhorn, Steirisches Akkordeon, Drehleier und Hackbrett zum Einsatz, aber vorerst auch Bachtrompete, Harfe sowie Flöte. Sie können das sehr gut, zum einen, weil zwei der Brüder klassisch ausgebildete Musiker sind und einst bei den Münchner Philharmoniker spielten, zum zweiten, weil sie einen fein erprobten Triosatz beherrschen, und drittens schließlich, weil der Dritte im Bunde als studierter Germanist und Historiker dazu Schüttelreime aus dem Ärmel schüttelt, die in ihrer anarchischen Boshaftigkeit und Spottlust für all das stehen, für das der frühe deutsche Punkrock einmal stand.

Nun spielen die Well-Brüder jedoch reinrassige bayrische Stubenmusik, mit der sich jedes weißblaue Bierzelt beglücken ließe, während umgekehrt die Herren auf der linken Bühnenseite an ihren akustischen Gitarren und ihrem halbakustischen Bass einst einmal als Punkband in Spelunken wie dem Ratinger Hof in Düsseldorf starteten und mittlerweile als eine der drei größten deutschen Rockband die größten Arenen der Republik bespielen und wohl nirgends deplatzierter wirken würden als in Kombination mit einer bajuwarischen Blaskapelle in einem klassischen Konzertsaal.

Um das Ganze schließlich noch mit einem weiteren Pinselstrich zu versehen, wirkt als Dritter im Bunde der nun auch sehr urbayrische Kabarettist Gerhard Polt mit, der – haha - unter dem Namen Schikaneder in die Rolle eines Konzertagenten schlüpft und als eine Art Conferencier durch den Abend führt.

Schon der Auftakt überzeugt

Los geht das rheinisch-bayrische Gipfeltreffen mit einer von den Well-Brüdern eigens eingeübten galligen Moritat über die Gastgeberstadt Ludwigsburg, die „barocke Perle im Breuningerland“, über das stets segensreiche Wirken ihres Oberbürgermeisters Spec und des stets so schön braungebrannten CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl. Campino wiederum persifliert hernach launig den deutschen Showbetrieb, ehe er und die Toten Hosen sich mit einer akustisch fein gespielten Version des titelgebenden Stücks ihres soeben erschienenen aktuellen Albums „Laune der Natur“ revanchieren.

Das macht Spaß, beides. Der Rockstar von den Hosen hat sich hier auf ein angenehmes und unpeinliches Kumpelniveau heruntergezoomt, das Ambiente wirkt von Beginn an stimmig; vor allem aber funktioniert das Zusammenspiel, es gelingt sogar eine wirkliche Symbiose. Campino hat offenkundig auch fleißig geübt, er wechselt zwischenzeitlich an Harfe und Trompete, zum Finale Furioso bläst er mit den Well-Brüder ein Quartett am Alphorn, den „Gigalinern der Stubenmusik“, wie die Wells juxen. Gemeinsam verballhornen beide „Bands“, mustergültig verschmolzen zu einem Ensemble, Händel zu einer „Freiwilligen Feuerwehrsmusik“, später – um Polts Namensgag aufzulösen – singt Campino zum herzhaft-rustikalen Ensembleklang Papagenos Zauberflötenarie „Der Vogelfänger bin ich ja“. Auch das gerät, im besten Sinne, sehr komisch.

Gewürzt wird alles mit Polt’schen und Well’schen Welterklärungsversuchen („Schweinsbraten für die Welt, damit Europa nicht an die Islamisten fällt“), einer Menge Bashing der richtigen (Gabalier, Moik et al.), einer Tanzeinlage (mit, oh ja, Schuhplattler und Bauchtanz) und einer Verhohnepiepelung des Hip-Hop- und Hipsterwesens in der Nummer „40 Cent“.

Es darf gelacht werden

Der Humor ist volkstümlich, aber fein getaktet, die Grenze zum reinen Klamauk umschiffen alle Beteiligten galant, man darf – etwa im Spottgesang „An Tagen wie diesen muss jeder mal pieseln“ – gerne auch über sich selbst lachen. Und die unübersehbare Freundschaft der beiden Ensembles, die schon vor dreißig Jahren beim gemeinsamen Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf entstand und ja auch schon einmal mit Polt auf dem Hosen-Album „Auf dem Kreuzzug ins Glück“ dokumentiert wurde, wiegt ohnehin zu schwer, als dass sie durch ein paar rheinisch-bayrische Frotzeleien Schaden nehmen könnte.

Zum Kreuzzug ins Glück gerät somit auch dieser Auftritt. Nicht so sehr, weil er beiläufig (das Publikum muss gar nicht erst zum Mitmachen motiviert werden, weil es von vorherein fest vom Willen zum Mitmachen beseelt ist und tatsächlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit begeistert im Takt mitklatscht) auch zeigt, dass zum Verdruss der Kulturkritik zwischen Deutschrock und Musikantenstadel gar nicht jene Welten liegen, die beidseitig immer beschworen werden. Sondern weil er, bei den fein reduzierten Adaptionen der stadionerprobten Hosen-Kracher ebenso wie bei den krachledernen Anarchosongs der Well-Brüder, zeigt, wie gute Unterhaltungsmusik funktioniert und doch eigentlich immer funktionieren sollte: künstlerisch losgelöst von den Konventionen, beseelt von Musizierfreude, inhaltlich wider den Stachel löckend und ohne die totgerittenen habituellen Gesten des Rockbetriebs. Ein erstaunlicher Abend.