Die Messstelle am Stuttgarter Neckartor. Foto: dpa

Die Studie, die Daimler und Bosch über die voraussichtliche Entwicklung der Stickoxidbelastung am Stuttgarter Neckartor in Auftrag gegeben haben, hilft den Befürwortern von Fahrverboten, obwohl sie möglicherweise wichtige neue Erkenntnisse unberücksichtigt lässt.

Stuttgart - Auf diese Niederlage musste Winfried Hermann lange warten: Monatelang kämpften das Land Baden-Württemberg und sein Verkehrsminister vor Gericht gegen Fahrverbote, ehe sie in letzter Instanz unterlagen. Die Niederlage macht nun den juristischen Weg frei für Fahrverbote, mit denen Hermann Hundertausende Dieselautos von den Straßen verbannen und den Autoverkehr verringern will. Vor wenigen Tagen lud er bereits wichtige Verbände ein und präsentierte seine Pläne.

Ungewöhnliches Ergebnis eines Auftragsgutachtens

Ausgerechnet die Autoindustrie könnte ihm nun eine Steilvorlage für die geplanten Fahrverbote geliefert haben, mit der er wohl selbst nicht gerechnet hatte. Bereits vor gut einem Jahr gaben die Konzerne Daimler und Bosch eine Studie in Auftrag, bei der es um die Frage ging, ob tatsächlich Autos mit Fahrverboten belegt werden müssen, um die Luft so sauber zu bekommen, wie die EU dies verlangt. Bei einer Auftragsarbeit steht das Ergebnis oft im Voraus fest – doch die beiden größten Stuttgarter Unternehmen wollten kein Gefälligkeitsgutachten haben.

Sie beauftragten die Aachener Ingenieursfirma Aviso und stellten ihr einen dreiköpfigen wissenschaftlichen Beirat zur Seite, der ein breites Spektrum der Ansichten und Anschauungen repräsentierte. Das brisante Ergebnis, das nun durch Recherchen unserer Zeitung bekannt wurde, ist für ein Auftragsgutachten sehr ungewöhnlich: Die absehbare Verringerung des Schadstoffausstoßes wird demnach bei weitem nicht ausreichen, um bis 2020 den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft zu erreichen. Ohne irgendwelche Schritte würde der Stickoxidgehalt im Jahresdurchschnitt 2020 bei 69 Mikrogramm liegen, unter Berücksichtigung der Ausstattung von Dieselautos mit neuer Software und des beschleunigten Austauschs älterer gegen neue Fahrzeuge käme man auf 62 Mikrogramm. Der große Sprung nach unten wären demnach Fahrverbote, durch die der Wert auf 50 Mikrogramm stiege. Berücksichtigt man dann noch Faktoren wie den sinkenden Anteil von Dieselautos, kommt man auf 46 – immer noch 6 zu viel.

Warum soll die Belastung künftig nur noch langsam sinken?

Der Einfluss der Branche auf die Studie war so gering, dass sie auch Erkenntnisse enthält, an der industrienahe Experten erhebliche Zweifel äußern. Dass etwa die Belastung am Neckartor im vergangenen Jahr um 9 Mikrogramm sank, in den drei folgenden Jahren aber nur noch durchschnittlich um knapp vier Mikrogramm zurückgehen soll, gehört zu den großen Rätseln der Studie. Auftraggeber Bosch äußerte sich diplomatisch: Derzeit würden die Erkenntnisse der Studie „mit der aktuell realen Immissionsentwicklung abgeglichen“. Erst dadurch ergebe sich ein ganzheitliches Bild.

Nach Ansicht von Johannes Schmalzl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), gehört zu einer vollständigen Bestandsaufnahme auch die Sondersituation in der Stadt Stuttgart. Die großen Firmen der Autobranche stellten ihren Mitarbeitern weit schneller als der Durchschnitt der Firmen neue, schadstoffarme Dienstwagen zur Verfügung. Dadurch vollziehe sich der Übergang zu besseren Technologien hier schneller als in anderen Regionen.

Bereits Ampel und Blitzer verändern das Ergebnis

Auch mit der Messstelle hat die Branche ihre Probleme, denn sie misst nicht nur die Qualität einer Luft, der kaum ein Mensch ausgesetzt sei, sondern stehe auch direkt an einer Ampel, an der ständig gebremst und Gas gegeben wird. Die beiden Blitzer in der Nähe verstärkten diesen Effekt noch.

Sollte also die Freigabe der Cannstatter Straße für Raser die Lösung für das Stickoxidproblem sein? Keineswegs: Würde man das Tempo statt durch Blitzer durch die Zeitmessung über eine längere Strecke erfassen, würde das den Verkehr an der Messstelle verflüssigen. „Schon dadurch würden die Werte wahrscheinlich sinken“, sagt der Experte.