SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (Mitte) beschwört nach der Wahlniederlage in Schleswig-Holstein den Zusammenhalt der Sozialdemokraten. Foto: AP

In der SPD-Führung steht der Schuldige für die Niederlage in Schleswig-Holstein fest: Torsten Albig habe es total vergeigt, heißt es dort. Mit diesem Narrativ soll vor allem verhindert werden, dass Kanzlerkandidat Martin Schulz Schaden nimmt.

Kiel/Berlin - Kanzlerkandidat Martin Schulzgibt am Tag nach dem Wahldebakel in Schleswig-Holstein eine klare Losung aus. Jetzt bloß nicht tagelang kabbeln, nicht in den Rückspiegel gucken auf die grässlichen Zahlen des Wahlabends. Stattdessen: Augen gerade aus und vorwärts Marsch in Nordrhein-Westfalen, seinem Heimatland. Denn wenn es für Schulz vor seinem persönlichen Härtetest im September einen vielleicht schon vorentscheidenden Schicksalstag gibt, dann den nächsten Sonntag. Dann können an Rhein und Ruhr rund 13 Millionen Wähler ihr Votum abgeben. Für Nabelschau und exzessives öffentliches Wundenlecken bleibe, da sind sie sich in der Parteiführung einig, deshalb gar keine Zeit. „Mission Schulterschluss“ ist nun das Motto, Kräfte bündeln nach dem Nackenschlag.

Es gebe Momente im Leben, „wo Beifall wie warmer Regen ist“, sagt Schulz kurz bevor er dem bedröppelt dreinblickenden Noch-Ministerpräsidenten Torsten Albig einen Blumenstrauß von überschaubarer Qualität in die Hand drückt. Die Belegschaft des Willy-Brandt-Hauses hatte die beiden mit mitfühlendem Applaus bedacht und so die Laune von Schulz für einen Moment etwas heben können. Man sei „heute in einer schwierigen Lage“, die Wahl in Schleswig-Holstein sei verloren, nichts sei da schön zu reden, sagt er dann. Aber es sei eine „Tugend der Sozialdemokratie, in guten, wie in schwierigen Momenten zusammenzustehen“.

Im Hintergrund beginnt die Fehleranalyse

Auch wenn öffentlich auf Geheiß des Parteichefs zurückhaltend geurteilt wird, den Schuldigen haben sie in der Parteiführung schon ausgemacht. Torsten Albig habe es total vergeigt, so die einhellige Auffassung. Ein Interview in der „Bunten“, in dem er ein überkommenes Frauenbild erkennen ließ, der starke Fokus auf seiner Weigerung, Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben, eine völlig falsche inhaltliche Akzentsetzung also auf der Schlussgeraden, das seien die Gründe für das Scheitern. Das Ziel: nichts soll an Martin Schulz kleben bleiben, der nach der Saarlandwahl nun schon zum zweiten Mal erleben muss, dass der Trubel um seine Person sich nicht in die harte Währung von Wahlerfolgen umtauschen lässt.

Gleichwohl beginnt auch im Schulz-Lager im Hintergrund die Fehleranalyse. Es sei wohl falsch gewesen, den Kandidaten zuletzt fast ausschließlich übers Land touren zu lassen, um sich den Menschen vor Ort bekannt zu machen. Man habe, übrigens in Abstimmung mit den Wahlkämpfern in Kiel und Düsseldorf, deren Kampagnen nicht mit großen programmatischen Impulsen stören wollen. Das aber habe dazu geführt, dass die Frage aufkam, ob die SPD ihren Kanzlerkandidaten verstecken wolle. Auch die Demoskopen haben den Parteistrategen inzwischen signalisiert, dass der Unmut über die mangelnde Präsenz des Kandidaten zunehme. Diese Strategie sei also „möglicherweise ein Fehler“ gewesen. Ähnlich kritisch diskutiert wird mittlerweile auch die Entscheidung des Kandidaten, nicht ins Bundeskabinett einzutreten, um unbelastet von dem mäßigen Ruf der großen Koalition als taufrische Alternative auftreten zu können.

Kraft will an ihrer Strategie erst einmal nichts ändern

Es werde nun aber auch „kein hektischer Aktionismus“ ausbrechen. Der Kurs werde beibehalten und Schulz auch weiterhin auf das Thema Gerechtigkeit setzen, das er in den kommenden Wochen bis zum Programmparteitag am 25. Juni noch um wirtschafts- und bildungspolitische Konzepte ergänzen werde. Mit Blick auf Nordrhein-Westfalen machen sich die Genossen Mut. Sie erwärmen sich an den Sympathiewerten von Amtsinhaberin Hannelore Kraft, die deutlich besser seien als die von CDU-Herausforderer Armin Laschet. Es klingt trotzig.

Kraft selbst gibt sich zum Auftakt der Schicksalswoche, in der sie ihr Amt verlieren könnte, äußerlich völlig unbeeindruckt. Das Kieler Ergebnis vom Vorabend wertet sie in Herne vor Journalisten zwar als „bittere Niederlage“ und „schwere Enttäuschung“. Das sei keine schöne Nacht gewesen. Doch sei „manches hausgemacht“ beim schleswig-holsteinischen Ergebnis – ein deutlicher Hinweis auf Fehler ihres SPD-Amtskollegen Albig.

Kraft will jedoch an ihrer Strategie erst mal nichts ändern. „Ich bin da sehr ruhig.“ Der Terminkalender sei ausgereizt, sagt sie und verweist auf ihre „Morgenröte-Aktion“: Um vier Uhr will sie in dieser Woche wieder vor einem Werkstor stehen. Doch werde man schauen, „dass wir es inhaltlich noch zuspitzen können“. Keine Spur von schlechter Laune – stattdessen voll im Wahlkampfmodus. Kraft glaubt sogar, dass die Motivation in der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ jetzt eher noch wachsen werde, noch mehr Gespräche zu führen.

Wie zum Beweis lässt die Regierungschefin bei ihrem Auftritt vor 180 ehrenamtlich tätigen Menschen aus vielen Bereichen im idyllisch gelegenen Parkhotel nicht ein öffentliches Wort darüber fallen, dass die SPD an der Küste baden gegangen ist. Lieber äußert sie sich über den Zusammenhalt der Gesellschaft. In NRW bekleide jeder Dritte ein Ehrenamt, sagt sie. „Das ist eine Dimension, um die uns andere Länder beneiden.“ Auf den Zusammenhalt bei den Genossen in NRW muss sie nun mehr denn je hoffen.